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darf euch doch alle zum Einstand zu einer Runde Schoppen einladen?“

      Die allgemeine Zustimmung war ihm sicher. Damit war das Eis gebrochen und das Begrüßungsritual abgeschlossen. Anni kam gleich herbei, um die Schoppenfetzer nach ihren Wünschen zu fragen. Als der Neue einen trockenen Silvaner bestellte, stellte Rottmann fest, dass der Mann, zumindest was seinen Weingeschmack betraf, ausgezeichnet in die Runde passte.

      Die Aufmerksamkeit der Schoppenfetzer wandte sich langsam wieder dem zurzeit aktuellen Thema in Würzburg zu: dem Film. Selbstverständlich wurde Seibold sofort in das Gespräch miteinbezogen. Dennoch beschränkte er sich in erster Linie auf die Rolle des Zuhörers. Rottmanns erster Eindruck, dass sich der Mann unwohl fühlte, erhärtete sich. Hin und wieder, wenn er sich unbeobachtet fühlte, drückte er seine Hand gegen den Bauch. Als wenn Seibold Rottmanns Gedanken gelesen hätte, erklärte er später, dass er am Vorabend auf einer Party gewesen sei und einiges an Alkohol konsumiert habe. „Ich bin heute total gerädert“, schloss er seine Erklärung und lächelte um Verständnis bittend in die Runde.

      „Man ist halt nicht mehr ganz der Jüngste“, stellte Ron Schneider fest. „Vor zehn Jahren hätten wir derartige Feten locker weggesteckt.“

      Seibold zuckte mit den Schultern. Eine knappe Stunde später erklärte er der Runde überraschend: „Ich bitte mir das nicht zu verübeln, aber ich möchte mich jetzt doch gern verabschieden. Ich fühle mich wirklich nicht fit. Wahrscheinlich eine Magenverstimmung. Ich hoffe, dass ich beim nächsten Stammtisch besser beieinander bin.“ Er nahm sein Glas und tat einen kräftigen Zug, trank es aber nicht ganz leer. Schließlich erhob er sich schwerfällig. Die Stammtischbrüder riefen ihm Grüße zu, dann ging er zur Tür. Für einen Augenblick hatte Rottmann den Eindruck, als würde der Mann ein wenig schwanken. Da musste der Gute, wenn er bei den Schoppenfetzern bestehen wollte, noch etwas an sich arbeiten. Als sich die Aufmerksamkeit des Exkommissars wieder auf den Tisch richtete, streifte sein Blick zufällig das Glas mit dem Rest Silvaner, das Seibold stehengelassen hatte. Er stutzte, dann zog er das Glas näher zu sich heran und betrachtete den Inhalt eingehender. Im Weinrest schwebte eine rötliche Schliere. Es gab eigentlich keine andere Erklärung: Das war ganz offensichtlich Blut!

      „Na, Erich, seit wann trinkst du die Reste anderer Leute aus? Haben sie dir die Pension gekürzt?“ Xaver Marschmann grinste ihn schelmisch an.

      „Quatsch“, gab Rottmann zurück, ging nicht weiter darauf ein und wandte sich wieder der allgemeinen Unterhaltung zu.

      Seibold hatte in der Weinstube nur mit größter Selbstbeherrschung durchgehalten. Schon den ganzen Tag über spürte er merkwürdige Schmerzen in der Magengegend, die sich langsam, aber stetig verschlimmerten. Zunächst dachte er, er hätte sich bei der Feier eine Magenverstimmung eingehandelt. Der Alkoholkonsum war reichlich gewesen und er hatte auch durcheinandergetrunken – was ihm noch nie sonderlich gut bekommen war. Aber diese Schmerzen gingen über das bekannte Unwohlsein in Folge eines Katers hinaus und hatten auch insgesamt eine andere Qualität. Schon am späten Morgen, als er mit dröhnenden Kopfschmerzen aufgewacht war, hatte er sich gefühlt, als wäre er unter eine Dampfwalze geraten. Zwei Aspirin statt Frühstück hatten ihm nur wenig Erleichterung gebracht. Den ganzen Tag hatte er gegen dieses Unwohlsein angekämpft. Es hatte ihm wirklich sehr viel Energie abverlangt, den Stammtisch im Maulaffenbäck aufzusuchen. Aber nachdem dies die erste Einladung in diesen Kreis gewesen war, wollte er auf gar keinen Fall absagen.

      Nach dem Verlassen des Maulaffenbäck blieb er zunächst einmal an eine Hauswand gelehnt stehen und schöpfte Luft. Plötzlich musste er sauer aufstoßen. Er griff in die Hosentasche, zog ein Papiertaschentuch heraus und wischte sich den Mund ab. Als er danach einen Blick auf das Tuch warf, stutzte er. Im Licht der Straßenlampe sah er, dass es stellenweise dunkel verfärbt war. Er sammelte Speichel im Mund und spuckte auf das Taschentuch. Es gab keinen Zweifel, das war Blut.

      Seibold stieß sich von der Hauswand ab. Er würde sich in der Nähe des Mainfrankentheaters ein Taxi nehmen. Scheinbar brütete er irgendeine Krankheit aus. Er wollte nur noch nach Hause. Seibold überquerte die Schönbornstraße und lief weiter durch die Herzogenstraße, weil dies der kürzeste Weg zum Theater war. Nach einigen Metern verspürte er plötzlich einen fürchterlichen Stich in seiner Leibesmitte, so als wäre in seinem Inneren etwas zerrissen. Gleichzeitig wurde ihm schwarz vor Augen. Nur mit letzter Kraft ließ er sich auf einen der leeren Stühle fallen, die an den Tischen der Trattoria Augusto, einem Edelitaliener, standen. Würgend musste er sich plötzlich übergeben. An den anderen Tischen saßen Gäste, die den Mann, der stark angetrunken schien, verärgert anstarrten. Es gab erboste Bemerkungen, die Vittorio, der Kellner, hörte. Als er sah, dass der ungebetene Gast sich über den Tisch erbrochen hatte, begann er laut zu schimpfen. Das Erbrochene war dunkelrot und roch stark nach Alkohol. Für Vittorio war es keine Frage, dass sich der Mann sinnlos mit Rotwein hatte volllaufen lassen. Da Seibold keine Reaktion zeigte, wurde der Kellner wütend und begann heftig an ihm zu zerren, um ihn zum Gehen zu bewegen. Der einzige Erfolg, den er damit erzielte, bestand darin, dass der Mann vom Stuhl rutschte und vor Vittorio auf den Boden krachte. Sein Kopf schlug dabei haltlos gegen das Stuhlbein.

      Jetzt hatte der Italiener genug. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei. Der Kerl musste so schnell wie möglich weg von hier. Einige Gäste griffen schon nach ihren Gläsern, um sich ins Innere der Trattoria zu setzen.

      Die Polizeistreife war schnell vor Ort. Die Beamten betrachteten die Szene und hörten sich Vittorios Schimpfkanonade an. Beiläufig warf einer der Beamten einen Blick auf das Erbrochene. Er stutzte, dann rief er seinem Kollegen zu: „Ruf den Notarzt! Das hier ist kein Rotwein, sondern Blut.“

      Der zweite Polizist griff zum Funkgerät und verständigte die Einsatzzentrale. Anschließend brachten die beiden Beamten Seibold in die stabile Seitenlage. Er atmete ganz flach und aus seinem Mundwinkel lief ein rotes Rinnsal.

      Schon hörte man in der Ferne die Sirene eines Rettungswagens, der mit hoher Geschwindigkeit die Schönbornstraße entlanggerast kam. Als die Rettungsassistenten ihre Utensilien ausluden, näherte sich mit dem Klang eines weiteren Signalhorns aus Richtung Juliusspital der Notarzt.

      Keine Minute später wimmelte es um den bewusstlosen Seibold von Männern in weißen Hosen und roten Jacken mit dem Symbol des Malteserkreuzes.

      Plötzlich rief der Notarzt: „Vorsicht, er erbricht sich wieder!“ Ein weiterer Schwall Blut ergoss sich aus dem Mund des Liegenden. Der Notarzt wandte sich an den Fahrer des Rettungswagens. „Verständigen Sie die Notrufzentrale, dass sie das Juliusspital anfunken sollen. Wir bringen einen Patienten mit schwersten inneren Blutungen. Einen Transport in ein weiter entferntes Krankenhaus würde er nicht überstehen.“

      ❖

      Der Rächer hatte alles verfolgt. Als Seibold gegen 18 Uhr 15 in den Maulaffenbäck gegangen war, hatte er sich an einen der Tische gesetzt, die in der Maulhardgasse vor der Weinstube aufgestellt waren, eine Weinschorle bestellt – und gewartet. Als Seibold dann überraschend früh wieder in der Tür der Weinstube erschienen war, hatte der Rächer beobachten können, wie sich sein Opfer erschöpft gegen eine Hausmauer gelehnt und sich dabei gekrümmt hatte. Dabei war ein böses Lächeln über das Gesicht des Rächers gehuscht, der nun die erwartete Wirkung eintreten sah. Er war Seibold in einigem Abstand gefolgt und hatte noch dessen Zusammenbruch beobachtet, bevor er sich unter die Neugierigen vor der Trattoria mischte. Ihm war sofort klar gewesen, dass das rote Erbrochene kein Rotwein war. Mit dem kühlen Interesse, das ein Wissenschaftler einer im Versuch verendenden Laborratte widmet, hatte der Rächer den am Boden liegenden Mann gemustert. Als der Notarzt den Atemstillstand festgestellt und massive Rettungsmaßnahmen eingeleitet hatte, hatte sich der Rächer dann doch über den plötzlich so rasanten Fortgang gewundert. Der Vollstrecker hatte ganze Arbeit geleistet.

      ❖

      Nachdem Erich Rottmann die Toilette aufgesucht hatte, verließ er die Weinstube und ging nach draußen, um frische Luft zu schöpfen. In der Gasse vor dem Maulaffenbäck standen die Raucher und unterhielten sich. Gerne hätte Rottmann sich zu ihnen gesellt, um eine Pfeife zu rauchen, doch er wollte Öchsle nicht so lange allein lassen. Heute schienen die Nikotinfreunde ein besonders heißes Thema zu diskutieren, denn es herrschte ein regelrechtes Stimmengewirr. Rottmann

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