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Er imitierte einen Schnabel mit seiner rechten Hand. »Quak, quak!«

      *

      Hier im Keller der Gerichtsmedizin war es immer kalt. Das war im Winter unangenehm, doch jetzt bei den unerträglichen Außentemperaturen eine reine Wohltat, trotz des intensiven Geruchs nach diversen Chemikalien, die in der Nase brannten.

      »Du kommst spät«, sagte Erwin Buchmann, ohne von seinem Bildschirm aufzusehen. Er tippte hektisch ein paar weitere Sätze auf seiner Tastatur. »Du wolltest schon vor einer Stunde hier sein.«

      »Ich weiß. Tut mir leid«, sagte Jessica merklich betreten. »Aber das Essen mit Florian hat länger gedauert als vermutet. Er ist auf die glorreiche Idee gekommen, etwas außerhalb auf einer Wiese ein Picknick zu machen. Herrgott, und das mitten in der Woche und während der Arbeitszeit. Langsam wird er mir unheimlich«, sagte sie mehr zu sich selbst, starrte an dem Rechtsmediziner vorbei auf das Bild einer Allgäuer Kuh an der Wand hinter dem Schreibtisch und dachte angestrengt nach, bis Ewe sie breit grinsend unterbrach.

      »Und?«, wollte er wissen.

      »Was ›und‹?«

      »Was ist passiert? Was hat er gesagt? Und vor allem, was hast du gesagt?«

      Er war so aufgeregt, dass Jessica ihn misstrauisch ansah.

      »Was ist denn los mit dir, Ewe?«

      »Nun sag schon. Hat das Picknick geschmeckt?« Das letzte Wort betonte er ein wenig zu dramatisch.

      »Also, wenn du es genau wissen willst«, sagte Jessica und schüttelte irritiert den Kopf, »Florian hat das Picknick ausgepackt und ist dann von einer Bremse gestochen worden. Wir haben fluchtartig die Wiese verlassen, weil es von den Mistviechern dort nur so wimmelte.«

      »Scheiße«, entfuhr es Ewe. »Der arme Kerl hat immer Pech.«

      »Na ja, so schlimm ist es auch wieder nicht. Immerhin ist er nicht allergisch auf Bremsenstiche. Der soll sich nicht so anstellen. Was ist jetzt mit meiner Leiche? In deinem Bericht stand, Weixler habe sich vor seinem Tod geprügelt und jemand habe ihm später mit einem Stein eins übergezogen.«

      Ewe stand auf, kam um den Schreibtisch herum auf Jessica zu und legte ihr eine Hand auf den Oberarm, als wolle er sie trösten. Jedenfalls schaute er sie bedauernd an. »Das stimmt. Der Schlag mit dem Stein war die Todesursache. Ob er später in den Felsspalt geworfen wurde oder nach dem Schlag gefallen ist, ist also nebensächlich. Alle Knochenbrüche, bis auf die Fraktur des Nasenrückens, hat er sich erst nach seinem Tod – vermutlich beim Sturz – zugezogen. Den Nasenbruch gute 24 Stunden früher.«

      »Kannst du mir sagen, ob der Schlag sehr heftig war? Kann es eine Frau gewesen sein?«, fragte Jessica und befreite sich von Ewes Hand, die noch auf ihrem Oberarm lag. Was war nur los mit ihm? Hatte ihn der blöde Bremsenstich seines besten Freundes so aus der Fassung gebracht?

      »Ich glaube, da reicht auch der sanfte Hieb einer Frau, um derart tödliche Verletzungen hervorzurufen«, sagte Ewe belustigt. »Der Schlag kam schräg von oben. Wenn der Ermordete nicht vor seinem Mörder kniete – was ich nicht mehr rekonstruieren kann –, muss der Angreifer recht groß gewesen sein, um einiges größer als Weixler. Das trifft auf die wenigsten Frauen zu.«

      »Hast du wirklich keine fremde DNA gefunden? Es muss doch etwas geben, das einen Hinweis auf den Täter gibt.«

      Ewe schüttelte den Kopf. »Nichts. Der Regen hat alle Spuren zerstört. Wir hätten sogar den Stein, der als Mordwaffe diente, nicht eindeutig zuordnen können, selbst wenn wir damals danach gesucht und ihn gefunden hätten. Ein nasser, matschiger Tatort ist immer ungünstig. Allerdings kann ich dir sagen, was der Tote gegessen hat, falls dir das weiterhilft.«

      »Das bezweifle ich zwar, aber bitte.«

      »Es war Rindfleisch. Vermutlich Filet. Irgendetwas Zartes und Teures. Außerdem Bohnengemüse und Soße mit einem Schuss Wein. Ob rot oder weiß habe ich noch nicht untersucht, weil ich es nicht für wichtig hielt. Aber wenn du willst, lässt sich das sicher feststellen.«

      Jessica winkte dankend ab.

      10

      Das Reihenhaus am Ende der Sackgasse war ein typischer 70er-Jahre-Bau, wirkte aber durch die erst kürzlich ausgetauschten Fenster und die neu gestrichene Fassade gepflegt und einladend. Im Vorgarten blühten zahlreiche Stauden. Die niedrige Buchsbaumhecke war frisch geschnitten und begrenzte das Beet zum Fußweg. Dieser Steinplattenweg führte zum Haus. Er war zwar alt und ausgetreten, doch sauber und kaum mit Moos und Flechten bewachsen.

      »Es ist schön, dass ihr gekommen seid«, begrüßte Thomas Glasinger seinen Besuch an der Eingangstür. Der Oberwachtmeister sah in Zivil mit Jeans und T-Shirt bekleidet viel jünger aus als in Polizeiuniform. »Kommt rein.«

      »Vielen Dank für die Einladung. Ich weiß, wir sollten nichts mitbringen, aber vielleicht magst du ein gutes Glas Wein«, sagte Jessica und reichte ihrem Kollegen die in buntes Geschenkpapier verpackte Flasche. »Man bekommt nicht jeden Tag so eine Auszeichnung verliehen. Gratuliere!« Sie umarmte den Polizisten und trat ins Haus. »Ist Sylvia im Wohnzimmer?«

      »Nein, sie ist heute leider nicht da.« Thomas Glasinger legte seinen Arm um Florian und klopfte ihm kumpelhaft auf den Rücken. »Herein mit dir. Schön, dass du da bist. Du kannst mir gleich beim Grillen helfen. Ein paar Kollegen haben erzählt, deine Grillfeste seien legendär.«

      Florian lachte. »Na ja, wenn man sich schon nicht mit seinen Taten als Polizist rühmen kann wie du, dann muss man sich auf andere Art einen Namen machen.«

      »Ausgerechnet heute ist Sylvia nicht da. Wie schade. Ich habe mich sehr auf sie gefreut.« Jessica sah enttäuscht aus.

      »Ja, leider. Sie musste ganz kurzfristig zu einer Fortbildung«, sagte Thomas und wirkte nervös. »Aber meine Mutter ist auf der Terrasse. Erinnerst du dich an meine Mutter? Sie hat schon nach dir gefragt. Ihr habt euch auf Sylvias Geburtstag im letzten Jahr so gut unterhalten.«

      Jessica nickte. Sie hatte ein seltsames Gefühl. Warum konnte Thomas ihr kaum in die Augen sehen? Sie beschloss, jetzt nicht nachzuhaken, lächelte zaghaft und entschuldigte sich schließlich. »Dann werde ich deine Mutter mal begrüßen.«

      Im Wohnzimmer traf Jessica auf ein paar weitere Kollegen und ihren Chef, Dienststellenleiter Götze.

      »Frau Grothe, gut, dass Sie da sind. Ihre Unterschrift fehlt noch auf der Karte.« Götze versperrte ihr den Weg zur Terrassentür und wedelte mit einer bunten Klappkarte vor ihrem Gesicht. »Geld für das Geschenk habe ich bereits von Ihnen bekommen.«

      »Was haben Sie denn von dem gesammelten Geld gekauft?«, wollte Jessica wissen, nahm den Kugelschreiber entgegen, den ein Kollege ihr reichte, und unterschrieb. Neben ihrer Unterschrift zählte sie mindestens 20 weitere. »Ist es der Gasgrill geworden?«

      »Nein«, sagte Götze. »Er hat schon einen. Gut, dass ich nachgefragt habe. Er bekommt einen Baumarkt-Gutschein. Den kann man immer gebrauchen.«

      »Aha.« Jessica wusste nicht, was sie anderes sagen könnte. Ein Baumarkt-Gutschein war nicht originell, aber praktisch, da hatte Götze recht.

      Florian tauchte neben ihr auf und legte den Arm um ihre Schultern. »Sollte ich jemals eine Auszeichnung von Ihnen bekommen, Herr Götze«, sagte er lachend, »hätte ich gern einen eigenen Dienstwagen oder eine persönliche Sekretärin. Nur für das Tippen der Berichte natürlich«, fügte er schnell hinzu und gab Jessica einen Kuss auf die Stirn.

      Sein Vorgesetzter lachte. »Aus welchem Grund sollte ich ausgerechnet Ihnen eine Auszeichnung verleihen? Obwohl ich zugeben muss, dass eine Sekretärin vermutlich sogar eine gute Investition wäre bei Ihren hundsmiserablen Berichten.«

      »Machen Sie mir eine Freude und stoßen mit mir an?« Die alte Frau Glasinger hielt Jessica einen edlen Weinkelch mit Goldrand entgegen und nahm ungebeten auf dem freien Stuhl neben ihr Platz. »Ich freue mich so für Thomas. Diese Auszeichnung hätte seinen Vater unheimlich stolz gemacht – Gott hab ihn selig!«

      »Er hat

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