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ist mir das nicht ganz geheuer.

      »Wirklich nicht. Ich schwöre. Bist du deswegen so früh losgelaufen?«

      »Nein, nein, ich brauch für die Strecken einfach länger und will so weit wie möglich kommen, wenn’s noch nicht so heiß ist.«

      Ich ziehe meine Sneakers aus und stelle sie betont weit von unserem Sitzplatz weg. Ein kleiner Gefallen, den Liz amüsiert zur Kenntnis nimmt.

      »Danke für die Karte übrigens.«

      Das kalte Wasser an den Füßen tut extrem gut.

      »Woher wusstest du das?«

      »Was wusste ich?«

      »Das mit Köln.«

      Ich spüre ihren Blick und wünsche mir mal wieder, ich hätte meine Klappe gehalten. Aber es ist zu spät. Mein gestotterter Rettungsversuch macht es nicht besser. »Und das, was du geschrieben hast. Mit dem Sehen. Ausgerechnet, also, auf einer Köln-Karte.«

      »Ich weiß nicht, was du meinst.«

      »Ach, ist auch egal. Blöder Zufall halt.«

      »Gibt es Zufälle?«

      »Klar, ist ja wohl einer, dass wir uns hier wiedergetroffen haben, oder?«

      »Hm.«

      Selber hm. Was soll es auch sonst sein? Ich reagiere nicht mehr darauf, sondern krame zwei belegte Panini aus meinem Rucksack, die ich mir im letzten Dorf gekauft habe.

      »Magst du auch eins?«

      Liz verneint. »Ist nett, danke, ich hatte schon was.«

      Zum Glück. Ich genieße stumm vor mich hin, und als mir meine Füße signalisieren, dass sie wieder Normaltemperatur haben, und die Stille um uns nur vom Plätschern des Wassers und einem weit entfernten Traktor gestört wird, realisiere ich, dass auch meine rasenden Gedanken etwas zur Ruhe gekommen sind. Der Platz scheint perfekt dafür zu sein, das schweigende Nichtdenken zu üben. Liz sieht das anders.

      »Magst du mir davon erzählen? Von der Köln-Sache?«

      Irgendwie habe ich diese Frage schon erwartet.

      »Nee, lass mal. Ist nur alter Kram.«

      »Alter Kram, der mitwandert.«

      »Meinst du dich?«

      Liz lacht laut auf und boxt mir auf die Schulter. »You’re an idiot.«

      Ich lache mit, weil ich froh bin, dass sie den Witz verstanden hat. Weiß man bei alten Leuten ja nie. Und weil sich gerade die Gelegenheit bietet, stelle ich ihr mal eine Frage, um nicht immer der Typ im Kreuzverhör zu sein. »Wo in Amerika lebst du eigentlich?«

      »Ach, wir sind viel umgezogen. Am Schluss waren wir in New York.«

      »Am Schluss?«

      »Mein Mann ist gestorben und dann wollte ich auch nicht mehr dableiben.«

      »Okay.«

      Tolle Frage, die ich mir da ausgedacht habe, denn eine einfühlsame Erwiderung auf ihre Antwort fällt mir schon nicht mehr ein. Irgendwie klingt darauf doch alles falsch. Tut mir leid, zum Beispiel? Dafür kenne ich Liz doch viel zu wenig, um es ernst zu meinen. Und vielleicht gibt es ja auch gar keinen Grund für Mitleid, wer weiß das schon. Doch als ich nach einer höflichen Pause aufschaue, sehe ich, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Und dann fällt mir doch noch etwas Kluges ein, also jetzt nicht nobelpreisverdächtig, aber immerhin der Situation angemessen.

      »Ihr wart lang verheiratet, oder?«

      Liz nickt. »Fast sechzig Jahre.«

      »Krass.«

      Ich rechne schnell nach und komme zu der Erkenntnis, dass ich in den kommenden drei Jahren heiraten müsste, um das mit der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Mannes noch erreichen zu können. Allerdings bin ich Realist genug, um zu wissen, dass die Chancen auf eine Hochzeit in naher Zukunft eher gering sind, weil ich es noch nicht mal eine Woche mit jemand aushalte und, wie gesagt, die Sache mit den Polypen auch noch nicht geklärt ist.

      »Wenn du das machst, also mit geschlossenen Augen reisen, reist du dann zu deinem Mann?«

      Noch mal so was Kluges, ich bin von mir selbst beeindruckt. Doch Liz antwortet nicht. Sie starrt erst ruhig vor sich hin, als würde sie überlegen, und beginnt dann einfach wieder zu erzählen. Nicht von sich, sondern von Helmut und Enzo und dem Freundeskreis, zu dem sie allem Anschein nach auch gehörte. Ich akzeptiere das, weil es mich ehrlich interessiert und ablenkt und weil ich schließlich auch nicht mit jedem Dahergelaufenen über meine privatesten Sachen reden würde.

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      Mittlerweile war der Frühling richtig und dauerhaft in Köln angekommen. Und mit ihm Tausende Touristen, die im Deutzer Rheinpark die gerade eröffnete Bundesgartenschau besuchen wollten. Vorzugsweise mit der Seilbahn, die seit einigen Tagen das rechte und linke Rheinufer miteinander verband. Alle wollten mit dieser einmaligen Attraktion fahren und Köln und den Rhein von oben sehen. Auch Helmut und Marlene. Darum reihten sie sich an diesem ersten Mai-Sonntag in der Nähe des Zoos in eine nicht enden wollende und ziemlich aufgedrehte Menschenschlange ein. Überall um sie herum wurde gelacht und geschwatzt und sobald eine Gondel über ihnen in den Himmel stieg, wurde sie mit einem großen Hallo verabschiedet.

      Im Vergleich zu allen anderen war Helmut auffällig schweigsam und komplett nass geschwitzt. Nicht nur wegen der Temperaturen, sondern auch vor Angst, weil er gleich das erste Mal so richtig und nicht nur in Gedanken fliegen würde. Die meiste Aufregung kam aber daher, dass heute Marlenes Geburtstag war und er ihr auf der mehrminütigen Fahrt nach Deutz die Frage stellen musste, die er sich die letzten Wochen tausendfach mal laut, mal leise eingetrichtert hatte: Willst du mich heiraten? Es war alles genau geplant. Auf der anderen Rheinseite warteten ihre Freunde Jutta, Gerdi und Martin, um mit ihnen ihre Verlobung zu feiern, sofern er trotz seiner Höhenangst den entscheidenden Satz rausbringen und Marlene Ja sagen würde.

       »Sollen wir nicht doch lieber mit dem Fahrrad fahren? Damit wären wir sicher schneller in Deutz.« Marlene fächerte sich mit einem in 4711 getränkten Taschentuch Luft zu und zählte die Menschen, die vor ihnen standen. »Wahrscheinlich wären wir sogar zu Fuß schneller. Wenn die alle Gondeln mit vier Personen besetzen, was sie nicht tun, sieht man ja, sind wir trotzdem erst an neunzehn, zwanzig, einundzwanzigster Stelle.«

      Helmut schüttelte energisch den Kopf.

       »Auf keinen Fall, wir warten. Das geht ganz schnell. Außerdem ist das dein Geburtstagsgeschenk.«

       Marlene lächelte liebevoll und reichte ihm ihr parfümiertes Taschentuch. »Willst du auch? Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«

       »Lass mal.«

      Helmut mochte den Geruch noch nie. Aber weil Marlene in der Buchhaltung dieser Parfumfirma arbeitete, hatte sie immer eine Flasche bei sich.

       »Lieber eine Zigarette?«

       »Danke, mir ist schon schlecht.«

       »Wirklich?«

       »Nein, war nur ein Witz.«

      Helmut grinste bemüht unbekümmert. Doch Marlene inspizierte ihn genau.

       »Siehst aber tatsächlich so aus. Wirklich alles in Ordnung?«

       »Ja. Wirklich. Ich weiß halt nur nicht, was mich erwartet. Ist schon ziemlich hoch.«

       »Was soll denn passieren?«

       »Es könnte wackeln.«

       Marlene stöhnte belustigt auf. »Ich sag doch, lass uns mit dem Rad fahren.«

       »Nein.«

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