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Radfahren, Essen und Schlafen. Die sportlichen Aktivitäten waren Bestandteil meines Triathlon-Trainings; Essen und Schlafen waren zwar notwendige, trotzdem oft vernachlässigte Tagesordnungspunkte. Ich sah meine Zukunft vor mir ausgebreitet wie ein Büffet: lauter köstliche Entscheidungsmöglichkeiten.

      Die ersten drei Monate dieses Jahres hatte ich auf ein Ziel hingearbeitet: den Triathlon von Palm Springs am 12. April.

      Das Rennen fing schon nicht gut an. Weil doppelt so viele Teilnehmer aufgetaucht waren wie erwartet, ließen die Organisatoren nicht alle gleichzeitig starten, sondern teilten sie in zwei Gruppen. Als ich zum Einchecken am Sammelpunkt auftauchte, stand die erste Gruppe bereits knietief im See und fingerte an ihren Brillen und Kappen herum, um sich startbereit zu machen.

      Während einer der freiwilligen Helfer mir eine Nummer aufs Bein schrieb, fragte ich einen der Organisatoren, wann meine Gruppe dran wäre. »In etwa zwanzig Minuten«, erwiderte er. Noch bevor ich mich bedanken konnte, schallte jedoch ein Startschuss über den See. Der Mann sah mich an und meinte achselzuckend: »Geht wohl doch schon los.«

      Ich konnte es kaum glauben, fasste mich aber schnell, rannte Richtung Umkleidebereich und sprintete barfuß um ein Ende des Sees, um zum Startbereich zu gelangen. Obwohl ich ein paar Minuten nach den anderen aus meiner Gruppe ins Wasser kam, befand ich mich schon bald mitten im Pulk zwischen einer Unzahl durchs Wasser wirbelnder Gliedmaßen. Während ich mich vorwärtskämpfte, musste ich mir bewusst machen, dass die Zeit lief und wir noch einiges vor uns hatten. Eine Meile später schwamm ich an Land, alle Muskeln angespannt und durchaus beansprucht, aber ich fühlte mich geistig fit. Die nächste Disziplin, das Radfahren, war schon immer meine Stärke gewesen. Diesmal standen uns 26 Meilen bevor.

      Ich sauste zum Umkleidebereich und sprang in meine Radlerhosen. Sekunden später rannte ich mit meinem Rad zur Straße. Nach wenigen Hundert Metern kam ich bestens voran und ließ das Hauptfeld hinter mir. Ich entspannte mich auf meinem Sattel, duckte mich so flach wie möglich und ließ einfach nur meine Beine arbeiten. Die ersten 10 Meilen liefen großartig – ich fühlte mich bestens. Ich hatte mir die Strecke vorher angesehen und wusste, vor mir lag eine schwierige Kurve, wo wir auf den normalen Verkehr treffen würden. Ich erspähte den Streckenposten, drückte ein paarmal auf die Bremse, um die Geschwindigkeit ein wenig zu drosseln. Dann sah ich, dass ein Streckenposten mich weiterwinkte, und schaltete in den höchsten Gang, um möglichst viel Schwung mitzunehmen.

      Ich war noch nicht ganz um die Kurve, da sah ich in meinem äußeren Blickwinkel etwas aufblitzen. Plötzlich flog ich durch die Luft: Eine rote Geländelimousine hatte mich mit 90 km/h gerammt und von meinem Fahrrad gerissen. Der Bronco fraß erst mein Rad, dann nahm er mich aufs Korn. Ich landete mit voller Wucht auf meinem Hinterteil und krachte anschließend heftig auf die Seite. Zum Glück hatte die Fahrerin inzwischen bemerkt, dass etwas passiert war, und trat auf die Bremse. Der Aufprall war so stark gewesen, dass es mich noch meterweit über den Asphalt schleuderte. Erstaunlicherweise geschah all das binnen ungefähr zwei Sekunden.

      Während ich auf dem Rücken lag, hörte ich die Leute schreien und einen Hornissenschwarm von Radlern an mir vorüberziehen, zugleich fühlte ich im Inneren meines Brustkorbs warmes Blut zusammenlaufen. Ich wusste, meine Schmerzen konnten nicht von einer kleinen Weichteilverletzung herstammen. Irgendetwas war gar nicht in Ordnung. Ich spürte auch, dass meine Haut an bestimmten Stellen mit der Straßenoberfläche den Platz getauscht hatte. Die meinem Körper innewohnende Intelligenz begann, das Ruder zu übernehmen, während ich mich dem Schmerz überließ. Ich lag auf dem Boden und versuchte, regelmäßig zu atmen und ruhig zu bleiben.

      Innerlich checkte ich meinen ganzen Körper durch. Meine Arme und Beine waren noch beweglich. Nach etwa 20 Minuten, die mir wie mindestens vier Stunden erschienen, fuhr ein Krankenwagen vor und raste mit mir ins John-F.-Kennedy-Krankenhaus. Ich erinnere mich vor allem daran, dass drei Sanitäter sich vergeblich abmühten, mir eine Infusion anzulegen. Ich war in einem Schockzustand. Dabei bewegt die Körperintelligenz das ganze Blut von den Extremitäten weg und hin zu den inneren Organen. Ich spürte auch, dass ich innerlich ziemlich stark blutete. Ich konnte fühlen, wie das Blut sich im Bereich meiner Wirbelsäule sammelte. Deshalb waren meine Venen in den Extremitäten kaum mit Blut gefüllt. Die Sanitäter durchlöcherten meinen Arm wie ein Nadelkissen.

      Im Krankenhaus wurden Blut- und Urinproben genommen, Röntgenaufnahmen, Computertomografien und alle möglichen anderen Untersuchungen gemacht. Die Prozedur dauerte fast 12 Stunden. Nach drei erfolglosen Versuchen, den Rollsplit aus meinem Körper zu entfernen, gaben die Krankenschwestern auf. Ich war frustriert, verwirrt und litt Schmerzen. Das Ganze erschien mir wie ein Albtraum.

      Schließlich kam der orthopädische Chirurg und medizinische Leiter der Klinik und führte seine Untersuchungen durch. Zunächst konnte er keine neurologischen Störungen feststellen. Dann checkte er im Computer meine Röntgenaufnahmen durch. Eine davon fiel mir besonders ins Auge: eine Seitenansicht meiner mittleren Wirbelsäule. Ich sah die Wirbel: Th8, Th9, Th10, Th11, Th12 und L1 waren deutlich zusammengedrückt, verformt und gebrochen. Seine Diagnose lautete: »Multiple Kompressionsbrüche der Brustwirbelsäule, der Wirbel Th8 zu über 60 Prozent zerstört.«2

      Ich dachte bei mir, es könnte schlimmer sein. Meine Wirbelsäule hätte durchbrechen, ich tot oder gelähmt sein können. Dann holte der Arzt sich meine CT-Scans auf den Bildschirm. Sie zeigten um den gebrochenen Th8-Wirbel herum etliche Knochensplitter. Ich wusste, was er als Nächstes sagen würde, ich hätte es mitsprechen können: »Normalerweise macht man in solchen Fällen eine vollständige Laminektomie der Brustwirbelsäule mit Wirbelsäulenversteifungen nach Harrington.«

      Ich hatte solche Laminektomie-OPs schon auf Video gesehen. Ich wusste, dass es ein ziemlich großer Eingriff ist, bei dem alle rückwärtigen Wirbelfortsätze abgesägt werden. Der Operateur arbeitet mit Instrumenten, die an Schreinerwerkzeuge erinnern, und mit Mini-Kreissägen, um eine glatte »Werkstückoberfläche« zu erzeugen. Dann werden die sogenannten Harrington-Stäbe aus orthopädischem Edelstahl eingesetzt und mit Schrauben und Klemmen an beiden Seiten der Wirbelsäule befestigt, um die gebrochenen oder unnatürlich verbogenen Bereiche der Wirbelsäule zu stabilisieren. Schließlich werden über die Stäbe aus den Hüftknochen entnommene Knochenstücke gesetzt.

      Ohne emotional zu reagieren, fragte ich den Arzt, wie lang die Stäbe sein müssten. »Zwanzig bis dreißig Zentimeter, von oben bis unten«, meinte er. Dann erklärte er mir, die ganze Angelegenheit sei eigentlich völlig unbedenklich. Im Hinausgehen riet er mir noch, mir innerhalb der nächsten drei Tage einen Operationstermin geben zu lassen. Ich winkte ihm zum Abschied und bedankte mich.

      Noch nicht zufrieden, bat ich den besten Neurologen der Gegend um seinen Besuch. Nach seiner Untersuchung und Begutachtung der Röntgenaufnahmen sagte er ohne Umschweife, meine Chancen, ohne Operation jemals wieder gehen zu können, lägen unter 50 Prozent. Der Th8 sei keilförmig komprimiert – auf der Vorderseite mehr, auf der Rückseite weniger. Bei einem Versuch mich hinzustellen, würde die Wirbelsäule das Gewicht meines Rumpfs nicht mehr tragen können und bräche durch. Der schräge Winkel des Th8 verändere die Gewichtsbelastung der anderen Wirbel, und dieses Ungleichgewicht würde seiner Meinung nach die Knochensplitter in den Wirbelsäulenkanal schieben – was eine sofortige Paralyse unterhalb des Th8 zur Folge hätte. Dann wäre ich brustabwärts gelähmt. Wie der Arzt noch hinzufügte, hatte er noch nie von einem Patienten in den USA gehört, der sich gegen diese Operation entschieden hätte. Zwar verfolgten einige Ärzte in Europa andere Ansätze, doch darüber wisse er kaum etwas und könne auch nichts empfehlen.

      Am nächsten Morgen fand ich mich in einem Nebel aus Schmerzmitteln und Schlaflosigkeit wieder und stellte fest, dass ich immer noch im Krankenhaus war. Als ich die Augen aufschlug, saß Dr. Paul Burns an meinem Bett, mein alter Zimmergenosse aus dem Chiropraktik-College. Paul hatte eine Praxis in Honolulu, doch kaum hatte er von meinem Zustand erfahren, war er sofort nach San Diego geflogen, nach Palm Springs gedüst und für mich da, als ich an diesem Morgen erwachte.

      Paul und ich entschieden, es wäre mir zuträglicher, mich ins Scripps Memorial Krankenhaus in La Jolla überführen zu lassen, um näher an meinem Zuhause in San Diego zu sein. Die Fahrt war lang und quälend.

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