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Zuflucht zu Buddha (dem »Erwachten« oder unserem eigenen reinen Gewahrsein)

      • Zuflucht zum Dharma (der Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks; den Lehren; dem Weg)

      • Zuflucht zum Sangha (der Gemeinschaft der spirituellen Freunde oder der Liebe)

      In den folgenden Kapiteln habe ich diese Tore jedoch so angeordnet, wie sie nach meiner Erfahrung am zugänglichsten sind. Für viele Menschen, vor allem für jene, die Meditation üben, bildet der Kontakt mit der Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks die erste Öffnung zu innerer Zuflucht. Für andere ist es das Erwachen der Liebe. Wenn wir uns mit diesen Toren der Wahrheit und der Liebe vertraut gemacht haben, entsteht daraus eine Hinwendung zu formlosem Gewahrsein. Im Laufe der Zeit wird die Zuwendung zu jedem dieser Tore auf natürliche Weise zu den anderen führen. Sie sind wahrhaft unzertrennlich.

      Im Hinduismus sind dieselben Tore zentral, und sie heißen auf Sanskrit: Sat (ultimative Wahrheit oder Wirklichkeit), Ananda (Liebe oder Seligkeit) und Chit (Bewusstsein oder Gewahrsein). Und wir finden sie auch in manchen Interpretationen der christlichen Dreifaltigkeit wieder: Vater (der Ursprung oder das Gewahrsein), Sohn (das formgewordene Gewahrsein oder die lebendige Wirklichkeit/Wahrheit) und Heiliger Geist (Liebe, die Liebe zwischen Vater und Sohn).

      Scheint das alles sehr abstrakt und unzugänglich, wenn wir mit unserem Alltag ringen? Wie können wir zu diesen Toren in unserem Alltag Zugang finden? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass jeder dieser Zufluchtsbereiche einen inneren und einen äußeren Aspekt hat. In ihren äußeren Erscheinungsformen sind uns diese Zufluchten weltliche Quellen der Heilung, der Unterstützung und der Inspiration. Wir können aus weisen Lehren lernen (Wahrheit). Wir können mit Freunden und Verwandten Wärme und Zuneigung genießen (Liebe). Wir können uns von spirituellen Vorbildern inspirieren lassen (Gewahrsein). Jede Religion und jeder spirituelle Weg enthält Angebote solcher äußerer Zufluchten. Wenn wir uns auf sie einlassen, bieten sie uns direkte, konkrete Hilfen für unser tägliches Leben. Doch die äußeren Zufluchten offerieren noch mehr: Sie sind Zugang zu den inneren Zufluchten des reinen Gewahrseins, des lebendigen Flusses der Wahrheit und der grenzenlosen Liebe. Wenn wir uns diese Ausdrucksformen unserer wahren Natur zu eigen machen, löst sich die Trance der Getrenntheit auf und wir sind frei.

       Die äußeren und inneren Aspekte der Zuflucht

ÄUSSERE ZUFLUCHTINNERE ZUFLUCHT
WAHRHEITMeditation Ethik LehrenDie Natur der Wirklichkeit erkennen; lebendige Präsenz verkörpern
LIEBEBewusste Beziehungen zu sich selbst und anderenEinheit erkennen; liebevolle Präsenz verkörpern
GEWAHRSEINInspirierende spirituelle PersonenDas leere, leuchtende Gewahrsein erkennen und verkörpern

      Das Tor der Wahrheit

      In Pali, der Sprache der frühesten buddhistischen Schriften, kann das Wort Dharma »Pfad«, »Weg« oder »Natur der Dinge« bedeuten. Wenn ich oder andere buddhistische Lehrer in unseren Kursen und Retreats »Dharma-Vorträge« anbieten, beziehen wir uns auf drei Wege, die wir einschlagen können, um Zuflucht zur Wahrheit zu nehmen: das Arbeiten mit unserem Innenleben durch eine Meditationspraxis; die innere Verpflichtung zu weisem, tugendhaftem Verhalten; und ein Verstehen der Lehren oder Wahrheiten, die uns auf dem spirituellen Weg leiten.

      ~ Meditation: Zur Wahrheit erwachen ~

      Vielleicht sind Sie mit der Achtsamkeitspraxis in einer Klinik, in einer Psychotherapie oder in einer Fortbildung in Kontakt gekommen – ohne jeglichen Bezug zum Buddhismus. Allein die Erkenntnis, dass wir unsere Aufmerksamkeit bewusst steuern können, kann eine verblüffende, wundervolle Entdeckung sein. Auch ganz am Anfang der Praxis können wir die ruhige Zentriertheit erfahren, die sich einstellt, wenn wir aus unseren Gedanken aufwachen und im Atem ruhen und durch das achtsame Gewahrsein der Erfahrung des jeweiligen Augenblicks neue Klarheit gewinnen.

      Viele Menschen kommen zunächst aus gesundheitlichen Gründen oder um Stress abzubauen zu meinem Meditationskurs am Mittwochabend. Manchmal machen sie dann überraschende Entdeckungen.

      Terrance war Richter am Kammergericht in Washington D.C. Bei seinem ersten Besuch meines Kurses kam er am Ende der Veranstaltung auf mich zu, um über seine Arbeit zu reden. Er fühlte sich von den vollen Gerichtssälen und dem ganzen Ausmaß an Leiden, welchem er dort jeden Tag begegnete, oft überfordert. Er fragte mich, was er tun könne, um sich in alldem mehr Luft zu verschaffen. Ich nahm seinen Ausdruck »mehr Luft verschaffen« auf und schlug ihm eine tägliche Meditationspraxis vor, bei der ihm der Atem als Anker diente. So würde er dann selbst bei der Arbeit nur einen kurzen Moment brauchen, in dem er sich mit seinem Atem verbinden und so innere Klarheit und Gelassenheit finden könnte.

      Terrance war diszipliniert. Er besuchte einen Kurs, den wir für eine Gruppe von Richtern anboten, und praktizierte jeden Tag eine halbe Stunde für sich allein. Am Ende des Kurses kam er wieder zu mir. »Es funktioniert, Tara«, erklärte er mir mit einem Lächeln, »aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ja, ich bin auf jeden Fall ruhiger geworden. Aber da ist noch etwas. Jede Person, die jetzt vor meinen Richtertisch tritt, ist zu einem wirklichen Menschen geworden, der meinen Respekt verdient. Und mehr als das … Jeder ist auf eine ganz grundlegende Art ›mir gleich‹. Ich bin mit einer Liebe und einem Bewusstsein verbunden, welches ich zwar intellektuell verstanden, aber noch nie wirklich erlebt hatte.«

      Die Praxis der Meditation führt zu konkreten, messbaren und äußerst wertvollen Ergebnissen, doch der Buddha hatte noch eine grundlegendere Absicht: Durch das Einüben eines entspannten, aufmerksamen Geistes gewinnen wir direkten Einblick in die Wahrheit dessen, wer wir sind. Terrance begann, die Erfahrung zu machen, dass Mitgefühl und Verbindung nicht nur Konzepte sind, sondern gelebte Erfahrungen.

      ~ Ethik: Leben im Einklang mit der Wahrheit ~

      Der tibetischen Lehre zufolge sollten wir unserem Geist erlauben, so weit zu sein wie der Himmel, doch in unserem täglichen Umgang sollten wir so fein sein wie ein Sandkorn. Darin spiegelt sich eine grundsätzliche Wahrheit wider: Die Art, wie wir leben – unser Umgang mit anderen, die Energie hinter unseren Worten, unsere gewohnheitsmäßige Beziehung zur Erde –, prägt unser Bewusstsein und wirkt sich in unserer Umgebung aus. Mit allem, was wir in jedem Augenblick sagen und tun, pflanzen wir Samen für unsere Zukunft. Wenn wir uns dieser Wahrheit bewusst sind und ihr erlauben, unser Handeln zu bestimmen, öffnen sich unser Geist und unser Herz für die innere Zuflucht der Wahrheit.

      Wie viele spirituelle Leitfiguren lehrte auch der Buddha eine tiefe Ehrfurcht vor dem Leben und eine innere Verpflichtung, niemandem Schaden zuzufügen. Seinen Grundsätzen zufolge sollen wir nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, keine Drogen missbrauchen und niemandem durch sexuelle Aktivitäten schaden. Er ruft uns auf, mitfühlend zu leben: das Leben zu schützen und zu würdigen, großzügig zu sein, freundlich und gütig die Wahrheit auszusprechen, uns gut um unseren Körper und Geist zu kümmern und bewusste, respektvolle Beziehungen zu pflegen.

      Ich habe oft erlebt, wie diese Lehren in stürmischen Zeiten Menschen als Rettungsboot dienten. Mein Meditationsschüler Manny war Projektleiter in einem innovativen Unternehmen, welches eine Reihe erfolgreicher Software-Anwendungen entwickelt hatte. Der größte Teil der kreativen Brillanz dieser Anwendungen stammte von einem jungen Mann und einer jungen Frau aus Mannys Team, doch in seinen Treffen mit den Leitern des Unternehmens hatte er ihren Anteil nie erwähnt. Als Manny über sein Handeln nachsann, durchlief ihn eines Tages eine Welle des Selbstekels: Das war Diebstahl. Er hatte die Lorbeeren selbst eingeheimst, die eigentlich anderen gebührten. Und es war Lüge: Er hatte es vermieden, die Wahrheit zu sagen. Von diesem Tag an bemühte er sich bewusst darum, die Beiträge seiner Mitarbeiter zu würdigen, sowohl im Team als auch gegenüber seinen Vorgesetzten. Er merkte, dass er sich dadurch innerlich klarer und mehr mit sich selbst im Reinen fühlte.

      Eine Freundin von mir meinte einmal scherzhaft, wenn wir den ganzen Tag über lügen, stehlen und andere niedermachen, könnten wir nicht erwarten, uns am Abend zu einer netten, friedlichen Meditation hinsetzen zu können. Gewaltvolles oder manipulatives Verhalten wirkt sich direkt auf unser Nervensystem und unsere Stimmung

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