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der Zellwucherung in ihrem unmäßigen Wachstum dienen. Wie wir wissen, führt dieser Prozess nach einer gewissen Zeit zwangsläufig zum Zusammenbruch des gesamten Organismus und damit zum Tod eines Menschen. Die entarteten Zellen haben irgendwann ihren Wirt ausgezehrt und damit die Lebensgrundlage für den Organismus und damit auch für das eigene Wachstum vernichtet.

      Findet dieser Krankheitsprozess nicht gerade auf unserer Erde statt? Ist nicht der Mensch inzwischen mit seiner Lebensweise eines unmäßigen Wachstums, das in keinem Verhältnis mehr zu den natürlichen Ressourcen dieser Erde steht, zu einem Krebsgeschwür geworden? Dabei ist nicht der Mensch das Problem, sondern sein expansives Verhalten, welches darauf beruht, dass der Mensch sich nicht mehr in die Schöpfung als Ganzes einfügt, sondern sich umgekehrt die Schöpfung zunutze machen will.

      Der Klimawandel ist eine schwerwiegende Krankheit, die die Erde als Ganzes befallen hat. Die Diagnose wurde bereits von unseren Wissenschaftlerinnen gestellt und die Prognose ist dramatisch. Sogar die Krankheitsgründe kennen wir. Der Krankheitsverlauf wird entscheidend davon abhängen, wie ernst wir bereits in diesem Stadium, in dem wir noch kaum Symptome verspüren, die Krankheit nehmen.

      Schon im letzten Jahrhundert haben Wissenschaftlerinnen die Dynamik der Erderwärmung erkannt und davor gewarnt. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Temperaturanstieg noch so geringfügig, dass sie keine Chance hatten, die Menschen und die Regierungen aufzurütteln. Inzwischen ist die Situation grundlegend anders. Der Temperaturanstieg in den letzten 20 Jahren ist so eklatant, dass wir bereits im Jahr 2019 eine globale Erwärmung von 0,9 °C (seit der vorindustriellen Zeit) erreicht haben. In Deutschland, wo sich die Erwärmung schneller vollzieht, sind wir aktuell bereits bei 1,54 °C angelangt (laut Umweltbundesamt).

      Die aktuellen Auswirkungen dieses »Erdfiebers« sind eine Zunahme an Wetterextremen auf der ganzen Welt, ein Abschmelzen der Polkappen und der Gletscher, ein Anstieg des Meeresspiegels, eine Schädigung der Wälder und Ernten durch Hitze und Trockenheit und eine Zunahme von Artensterben. Obwohl diese Auswirkungen bereits mehr als deutlich auf der ganzen Welt gespürt werden, sind sie noch harmlos gegen das, was kommen kann.

      Einen Ausblick darauf geben uns die Zukunftsprognosen der Wissenschaftlerinnen. Der Weltklimarat sagt voraus, dass wir bereits in acht Jahren, also im Jahr 2027, eine globale Temperaturzunahme von 1,5 °C erreicht haben werden, wenn wir nicht gravierend gegensteuern. Die Fieberkurve steigt mit solcher Geschwindigkeit an, dass wir bereits 2035, also in ca. 15 Jahren, global die 2 °C erreicht haben könnten.

      Um zu ermessen, was diese Zahlen bedeuten, muss man sich vergegenwärtigen, dass bei einer globalen Temperaturzunahme zwischen 1,5 °– 2 °C sogenannte Kipppunkte ausgelöst werden. Kipppunkte oder Tipping-Points werden Prozesse genannt, die unumkehrbar sind und die die Erderwärmung weiter antreiben. Die zwei bekanntesten Kipppunkte sind das Auftauen der Permafrostgebiete und die Erwärmung der Weltmeere. Im ewigen Eis des Permafrostes in Alaska und Russland sind Unmengen an CO2, aber auch an Lachgas und Methan gebunden. Lachgas und Methan wirken 25- bis 200-mal klimaschädlicher als CO2. Die Meere wiederum sind der größte natürliche Speicher von Klimagasen. Je kälter die Meere sind, desto mehr CO2 können sie an sich binden, je wärmer sie werden, desto mehr CO2 lassen sie in die Atmosphäre.

      Wenn alleine diese beiden Kipppunkte (und es gibt noch viele weitere) ausgelöst werden, werden solche Mengen an Klimagasen freigesetzt, dass der Prozess der Erderwärmung sich verselbstständigt und auch dann weitergeht, wenn die Menschheit es schaffen sollte, keinerlei Klimagase mehr auszustoßen. Mit anderen Worten, der Prozess der Erhitzung wäre unumkehrbar und nicht mehr zu stoppen.

      Für diesen Fall rechnet der Weltklimarat mit einer Zunahme des Erdfiebers auf 3,5 °C bis 2050, also bereits in 30 Jahren! Bei dieser Temperatur wären weite Teile der Erde nicht mehr bewohnbar. Küstenregionen und Inseln würden überschwemmt, das

      Trinkwasser und die Ernährung eines großen Teiles der Menschheit wäre nicht mehr sichergestellt. Die Folgen wären ungeheure Flüchtlingsbewegungen und damit auch der Zusammenbruch von sozialen und politischen Systemen.

      Spätestens bei diesem Szenario sollten wir erkennen, dass der Klimawandel nicht irgendeine Katastrophe ist, von denen es schon viele in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. Die Erderwärmung ist eine globale Krankheit der Erde, die in eine Apokalypse aller Ökosysteme führen kann. Die Erde selbst wird sich anpassen und ein neues Gleichgewicht finden, aber für den Menschen bedeutet dies eine Veränderung aller Lebensbereiche. Alles, was uns lieb und teuer ist, wird sich ändern, und unsere Kinder und ihre Kinder haben vielleicht keine Lebensgrundlage mehr.

      Eigentlich sprengt es jede Vorstellungskraft, dass womöglich bereits in 30 Jahren die Mehrzahl der Menschen keine Lebensgrundlage mehr haben könnte. Angesichts dieses katastrophalen Szenarios sind sich alle Wissenschaftlerinnen und die meisten Regierungen darüber einig, dass eine Erwärmung über 1,5 °C unbedingt verhindert werden muss. Nur leider erreichen wir die 1,5 °C bereits in acht Jahren, wenn nicht radikale Einschnitte erfolgen.

      Acht Jahre! Wir haben acht Jahre Zeit, um einen radikalen Systemwechsel zu vollziehen, der alle Bereiche unseres individuellen und gesellschaftlichen Lebens betrifft. Eine unglaubliche Herausforderung!

      An dieser Stelle möchte ich ins Bewusstsein rufen, wie enorm wichtig es ist, zwischen Diagnose und Prognose einer Krankheit zu unterscheiden. Diagnosen machen uns den aktuellen Stand einer Krankheit deutlich und sind ziemlich verlässlich, da sie sich auf reale Messungen und Beobachtungen stützen. Prognosen dagegen sind Zukunftsszenarien und damit Möglichkeiten. Sie legen uns nicht fest und sind in ihrer Entwicklung offen. Wir kennen es von schweren Krankheitsverläufen, dass die Prognose der Ärztinnen oft sehr vom tatsächlichen Verlauf der Krankheit abweicht.

      Daher ist es ungeheuer wichtig, sich bei einer dramatischen Prognose bewusst zu machen, dass sie nur einen möglichen Verlauf beschreibt. Sonst laufen wir Gefahr, dass die Prognose uns innerlich hypnotisiert und wir sie immer mehr als Tatsache behandeln. Das ist sie aber nicht. Sie ist meist nur eine Idee über einen linearen Verlauf, der sich aus der Diagnose ergibt. Lebendige Organismen verhalten sich in ihrer Komplexität aber niemals linear, und Krankheitsverläufe entsprechend auch nicht.

      In Bezug auf das Erdfieber ist die Diagnose eindeutig. Neben den Symptomen des Klimawandels, die sich in der Zunahme von Wetterextremen zeigen, belegen dies Temperatur- und CO2-Messungen in der Atmosphäre. Diese Messungen zeigen uns, dass die Fieberkurve in den letzten 20 Jahren real ungeheuer schnell angestiegen ist. Wer sich dieser Diagnose verschließt oder sie leugnet, ist eine unverbesserliche Patientin und wird aus der aktuellen Diagnose keine direkten Konsequenzen ableiten. Das wiederum macht das Eintreten der Zukunftsprognose aber sehr viel wahrscheinlicher.

      Wie gesagt: Die Diagnose ist eindeutig. Dagegen stellt die Prognose einer Zunahme der Erderwärmung auf bis zu 3,5 °C in 30 Jahren nur eine Möglichkeit dar, wie sich das Klima entwickeln könnte. Sie stützt sich auf eine lineare Fortschreibung der aktuellen Messdaten. Diese Prognose ist wichtig, da sie uns aufrütteln kann, aber sie ist keine Tatsache und legt die kommende Entwicklung des Klimas in keiner Weise fest. Das müssen wir uns vor Augen halten, um nicht wie ein Kaninchen auf die Schlange zu starren. Sonst können wir die ungeheuren Aufgaben, die vor uns liegen, nicht bewältigen.

      Die Herausforderung besteht nämlich darin, alles, was in unserer Macht liegt, zu tun, um den Prozess der Klimaerwärmung zu verlangsamen und vielleicht doch noch zu stoppen, bevor immer mehr Kipppunkte ausgelöst werden und er sich verselbstständigt. Dazu gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Wir können unser Leben (in individuellen und kollektiven Bereichen) so umstellen, dass wir drastisch CO2 einsparen, und zum anderen können wir zum Beispiel durch Aufforstung CO2 aus der Atmosphäre wieder herausholen.

      Tatsächlich ist das Zeitfenster, das wir zur Verfügung haben, um in den Prozess der Klimaerwärmung aktiv einzugreifen, so kurz, nämlich acht Jahre, und die Aufgabe so gewaltig, dass wir uns nicht zwischen Einsparen und Aufforsten entscheiden können. Wir müssen beides tun, um eine reale Chance zu haben, den Fieberanstieg der

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