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Das ist zwar richtig, aber grob ungerecht. Denn Rabitsch, der sieben Jahre jünger als Hitler war, besuchte dieselbe Linzer Realschule und kannte die Professoren und das Milieu. Obwohl Rabitsch mit Hitler-Lob nicht sparte, wurde es von diesem sehr kritisch aufgenommen und kam in Deutschland nie auf den Markt, weil manche Passagen Hitlers eigenen Darstellungen und Aussagen in Mein Kampf widersprachen.19 Schwierig einzuschätzen sind auch die Erinnerungen des jüdischen Arztes von Hitlers Mutter, Eduard Bloch, der Adolf 1938 im Angesicht der für ihn sehr bedrohlichen Situation sehr positiv charakterisierte, diese Darstellung aber 1941 in den USA, als für ihn die Gefahr explizit vorbei war, trotzdem noch einmal dezidiert bekräftigte. Allerdings war Bloch im Alter schon stark von zunehmender Vergesslichkeit gezeichnet.

      Widersprüchlich und oft völlig unbrauchbar sind die Aussagen vieler anderer Zeitzeugen, ob sie nun aus der Zeit vor 1945 oder nachher stammen. Auf irgendeine Weise sind sie immer gefärbt und beeinflusst. Seither haben sich viele Autoren mit Hitlers Jugendzeit beschäftigt, zuerst einmal entsprechend kursorisch alle jene, die an einer Gesamtbiografie arbeiteten, vor allem aber jene, die sich speziell der Kindheits- und Jugendgeschichte zugewendet haben, darunter auch zahlreiche Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Theologen, die viele Mosaiksteinchen finden und interessante Einsichten hinzufügen konnten, aber allzu oft auch vieles ungeprüft übernommen haben und sich vor allem mangels regionaler Kenntnisse mit den räumlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten in Oberösterreich sehr schwer getan haben. Nicht zuletzt hat der eklatante Quellenmangel zu fiktiven Konstruktionen und skurrilen Geschichtsklitterungen geführt, auf die man gar nicht eingehen muss, wie zum Beispiel Norman Mailers Roman zum jungen Hitler Das Schloss im Wald oder Ilse Krumpöcks Geschichtsroman Hitlers Großmutter, weil dazu ohnehin aus berufenem Mund das Nötige gesagt wurde.20

      Der dunkle Punkt in Adolf Hitlers Herkunft wurde verschwiegen: Die Ausstellung »Sippenforschung in Schule und Haus« 1937 im Berliner Stadthaus konnte auf die »20 Ahnentafel des Führers« nicht verzichten.

       Die Last, aus der Provinz zu kommen

       Alois Hitler alias Schicklgruber

      Pfeife rauchen, im Wirtshaus sitzen, Bienen züchten, Kinder schlagen. Das ist der Grundton der meisten Aussagen über Hitlers Vater: zu Hause ein Patriarch, im Dienst ein Pedant, in der Öffentlichkeit rechthaberisch, gegen die Kinder ein brutaler Despot. Alois Hitler war sicherlich kein angenehmer Ehemann, Familienvater, Arbeitskollege und Staatsbürger. Was er aber sicher nicht war, war ein Alkoholiker oder Müßiggänger, der seine Zeit im Wirtshaus und in der Bienenhütte vergeudet hätte, auch kein Spießbürger oder Provinzbeamter, dessen Horizont nicht über Braunau hinausgereicht hätte, auch kein Ehemann, der die Familie seinen eigenen sexuellen Bedürfnissen oder seinem beruflichen Fortkommen gänzlich untergeordnet hätte, und schon gar nicht ein Kinderschänder und Teufelsbeschwörer, als den ihn Norman Mailer in seinem Hitler-Roman hingestellt hat. Alois Hitler scheiterte auf vielen Feldern: als Vater, Ehemann, Erzieher, Wirtschafter und letztlich auch als Mensch, ohne viele Freunde und ohne wirkliches Zuhause. Aber es gibt auch die anderen Seiten: Die penible Pflichterfüllung, das stete Karrierebewusstsein, den kritischen Bildungsdrang, das Interesse an Innovationen, die Freude an geselligen Zusammenkünften.

      Alois Hitlers Herkunft und Kindheit ist von Mythen, Erfindungen und Vermutungen umgeben. Erstens, weil es kaum Quellen gibt: Wer hätte sich schon für eine kaum herausragende, weder reiche noch besonders auffällige und schon gar nicht wirklich hochrangige Person in der österreichischen Provinz interessieren sollen? Zweitens, weil Adolf Hitler, als er bekannt und mächtig wurde, alles getan hat, um seine eigene Geschichte und die seiner Eltern und Vorfahren zu verbergen oder in seinem Sinne zu drehen und so einerseits Quellen zu beseitigen und andererseits Mythen zu erzeugen. Und drittens, weil die meisten Darstellungen von Adolf Hitlers Kindheit ohne jede Ortskenntnis aus sehr weiter Distanz und vor allem ohne viel Kenntnis der damaligen Lebensweise in dem ländlich-kleinbürgerlichen Provinzmilieu ausgearbeitet sind, in welchem sich die Familie Hitler bewegte.

      Tyrannische Väter und liebende Mütter sind kein Einzelfall in der Geschichte. Dass sich daraus Adolf Hitlers mörderischer und gewalttätiger politischer Weg ableiten ließe, ist nicht beweisbar. Einige Hinweise aber gibt es. Sich selbst zu überschätzen und andere Meinungen und Kenntnisse nicht gelten zu lassen, zeichnete sich schon beim Vater ab, ebenso die Neigung zur autodidaktischen Weiterbildung und zur Verachtung aller akademischen und schulischen Autoritäten. Auch der Hang zur Gewalt zeigt Parallelen, beim Vater im Erziehungsstil, beim Sohn im politischen Verhalten. In seinem Sexualleben hingegen unterschied sich der Vater ganz auffällig vom Sohn, auch wenn dieser mit ziemlicher Sicherheit nicht homosexuell war, was ihm gerade in der neuesten Literatur auffallend häufig unterstellt wird. Die ungeklärten Stellen und vorhandenen Lücken im familiären Stammbaum dürften zwar den Sohn mehr belastet haben als den Vater. Aber warum Alois Hitler im Alter von fast vierzig Jahren seinen Familiennamen von Schicklgruber auf Hitler ändern und eine Quasilegitimierung seiner unehelichen Geburt herbeiführen ließ, wirft bis heute Fragen nach dem Hergang und den Motiven auf.

      Die Region, in der Alois Hitler sich Zeit seines Lebens bewegte, hat er durch viele erzwungene und freiwillige Ortswechsel in einem für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichen Maß kennengelernt. Das beeinflusste seine Sprech- und Schreibgewohnheiten. Anders als bei den Wiener subalternen Zentralbeamten, deren Wienerisch durch das Schönbrunnerisch ihrer meist adeligen Vorgesetzten in einer häufig als herablassend empfundenen Weise verfärbt wurde, dominierte bei Alois Hitler die durch die vielen Milieuwechsel abgeschliffene regionale Mundart, der er mit hochdeutschen Floskeln, exzessivem Fremdwortgebrauch und bürokratischer Diktion einen amtlich-autoritären Ton zu geben versuchte. Seine Briefe schrieb Alois, obwohl ohne jegliche höhere Schulbildung, in einem gestelzten, mit Fachbegriffen untermischten Beamtendeutsch, in das sich immer wieder der Dialektgebrauch einschlich.

      Alois Hitlers Herkunft war kleinbäuerlich, sein Status jener eines mittleren Beamten, seine Sehnsucht aber die nach einem Leben als Herrenbauer und einflussreichem Stadtbürger, nach einem Landgut, nach Pferd und Wagen und nach einem Grundbesitz, der über Bienenhütten oder den Umfang eines Kleingartens weit hinausging. Man hatte Dienstboten. Man pflegte Beziehungen zur Stadt. Die Taufpaten der Kinder nahm man aus Wien. Man machte Sommeraufenthalte im kühleren Waldviertel. Man schickte die Kinder in höhere Schulen. Was aber besonders hervorsticht: Man nahm nicht nur Anteil am politischen Geschehen, sondern suchte, es auch aktiv mitzugestalten.

      Die zahlreichen Übersiedlungen hatten Alois in viele unterschiedliche Milieus gebracht: vom Waldviertel nach Wien, von dort nach Saalfelden und Salzburg, Wels, Braunau, Passau, Urfahr, Fischlham/Hafeld, Lambach und zuletzt Leonding und Linz. Sein Sohn Adolf hatte sie beginnend in Braunau mit dem Vater notgedrungen mitgemacht. Die ersten zehn oder zwanzig Jahre sind die prägenden Phasen im Leben eines Menschen: Es ist klar, dass Sprache, Ess- und Wohngewohnheiten, Umgangsformen, Bildung, Religion, Weltanschauung und sexuelle Gewohnheiten des jungen Hitler vom Elternhaus und von der Umgebung entscheidend vorgeprägt wurden. Über seine Herkunft wollte Adolf Hitler nie viel sprechen. Als Reichskanzler verbat er sich alle Veröffentlichungen darüber. Wesentliche Dokumente ließ er beschlagnahmen oder vernichten. Vieles bleibt daher ein Rätsel.

      Eine Biografie ist immer ein Puzzle mit vielen Einzelteilen, aus denen die einzelnen Lebensabschnitte und die durchgehende Lebenslinie zusammengesetzt werden sollen. Doch es bleiben dazwischen nahezu unendlich viele Tage, gleichförmige und doch erlebnisreiche, über die man gar nichts weiß. Beim jungen Hitler und seinem Vater ist das in ganz besonderem Maße der Fall.

       Der Mythos vom Ahnengau

      Seine Vorfahren aus dem niederösterreichischen Waldviertel rückte Adolf Hitler in ein mythisch-mystisches Dunkel: »Als ich noch ein Bub war, fand sich das ganze Gebiet meiner Heimat mit Findlingen, erratischen Blöcken, übersät. Die Bauern sind hinaus, um die Findlinge zu sprengen.

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