ТОП просматриваемых книг сайта:
Operation Gold. Petra Gabriel
Читать онлайн.Название Operation Gold
Год выпуска 0
isbn 9783955520199
Автор произведения Petra Gabriel
Издательство Автор
«Wie soll ich det sagn? So wie der aussieht, erkennt den selbst die eigene Mutter nich. Aber dit jibt Probleme. Wir ham mal so über’n Daumen jepeilt. Der liecht vamutlich halbe-halbe, die Sektorengrenze muss irgendwo zwischn Kopf und Beene verlaufn. Dabei ham wa schon Demse jenuch mit die vom Ostn.»
Kappe nickte gedankenverloren. Ja, dicke Luft herrschte schon eine ganze Weile zwischen ihnen und der Polizei Ost. Falls der Tote tatsächlich mit dem Kopf im französischen Sektor und mit den Beinen im russischen Sektor lag, würden die Kollegen aus dem Osten die Leiche auf jeden Fall für sich beanspruchen. Schon um den West-Berliner Kollegen eins auszuwischen. Aber abwarten. Erst mal musste die Frage geklärt werden, wo genau die Sektorengrenze verlief. In der Höhe des Brustkorbs, des Bauchs vielleicht oder weiter unten? Diejenigen, auf deren Staatsgebiet das größere Stück der Leiche lag, waren am Ende vermutlich die Zuständigen. Bis zur Klärung der Zuständigkeiten würden sie den Leichnam erst mal mitnehmen. Denn das konnte dauern.
Und so lange konnte der Tote ja nicht auf diesem Trümmergrundstück vor sich hin verwesen.
Kappe kannte und schätzte den Kollegen Jüterbog. Er hatte schon früher gut mit ihm zusammengearbeitet, unter anderem im Fall des Frauenmörders Kimmritz, der schließlich in der Badstraße gefasst worden war. «Dann ist er wohl aus dem Osten fortgelaufen und zumindest mit dem Kopf im Westen angekommen. Wissen wir schon, wann, woran oder wie der Mann gestorben ist? Und wer hat ihn gefunden?»
«Wie er gestorben ist? Vermutlich erschossen. Zwee Bengels ham ihn beim Spieln entdeckt. Wir ham sie schon vernommen. Stehn jetzt da drübn beim Kollegen Drewitz aus’m Osten. Sind völlig jeplättet. Ja, ja, die Ostler sind auch schon da. Der andere ist kurz wech, mal eben umme Ecke für, na, Sie wissen schon, nichtöffentliche Sitzung. Kommt aber gleich wieder.»
Warum sagte Jüterbog das so seltsam? Aber Kappe hatte jetzt andere Probleme, danach würde er sich später erkundigen. «Lassen wir die Jungs erst mal nach Hause gehn, wenn die Ostler mit ihnen fertig sind. Habt ihr denn schon damit angefangen, die Nachbarschaft zu befragen? Vielleicht hat der Mörder hier auf sein Opfer gewartet und ist dabei beobachtet worden. Wenn der Mann in den Westen wollte, wovon wir nach Lage des Körpers wohl ausgehen können, dann wohnt er vielleicht sogar hier im französischen Sektor.» Kappe sah sich um. «Nun ja, viel is hier nich mehr mit Nachbarschaft, wenn ich von den Ratten im Schutt mal absehe.»
Die Männer schauten sich einen Moment lang schweigend an, jeder mit seinen eigenen Erinnerungen beschäftigt. Der Bezirk Wedding hatte während des Krieges ziemlich gelitten. Und da 1945 bei der Schlacht um Berlin Schul-, See- und Badstraße tagelang die Hauptkampflinie gebildet hatten, waren am Ende des Krieges viele der Weddinger Gebäude zerstört oder schwer beschädigt.
Jüterbog schüttelte schließlich den Kopf. «Nee, hab noch niemanden losjeschickt. Ham uff Ihnen jewartet. Anordnung von oben.»
«Na, dann machen Sie mal! Ich denke, wir sollten auf jeden Fall die Nachbarn bis Stern- und Kattegatstraße befragen.»
Jüterbog nickte und sprach mit einem seiner Leute, der unverzüglich aufbrach.
Kappe und Jüterbog gingen hinüber zu den Kollegen aus der Friesenstraße. Piossek und Klingbeil, die ihn mit dem Mordauto vom Gericht abgeholt hatten, hatten sich, nachdem sie am Tatort angekommen waren, sofort an die Spurensicherung gemacht. Klingbeil von der Kriminaltechnik stellte gerade umständlich sein Stativ für die Tatortfotos auf.
Piossek untersuchte die Taschen des Toten und förderte eine Brieftasche zutage. «Na, da ham wir ja doch noch Papiere, wie es scheint. Komisch – jemand schüttet dem Mann erst Säure übers Gesicht, damit man ihn nicht so schnell erkennt, und vergisst dann, ihm die Papiere abzunehmen?»
Kappe ging in die Hocke, um sich den Fund anzusehen.
Ein Mann näherte sich der Leiche aus Richtung Osten und blieb bei den Füßen des Toten stehen. «Was machst denn du hier, Papa?», fragte er. «Das ist unser Fall.»
Kappe zuckte zusammen und richtete sich auf. «Haben sie dich jetzt strafversetzt in die Polizeiinspektion Pankow, ich meine das Polizeirevier 282 in der Breite Straße 41 a?», fragte er seinen Sohn, um Zeit zu gewinnen.
Hartmut Kappe blieb stumm.
«Was ich hier mache? Dasselbe könnte ich dich auch fragen, Hartmut», fuhr Kappe schließlich fort. Musste ausgerechnet sein Ältester hier auftauchen? Konnte es keiner der anderen ehemaligen Kollegen sein, die Dienst im Polizeipräsidium Ost taten? Doch es half nichts. «Das ist nämlich eindeutig unser Fall», fügte er dann energisch hinzu.
«Das sehe ich aber ganz anders! Nach Lage des Toten kam der Mann aus dem Osten. Also ist es ein Fall der Polizei Ost!»
«Aber Beine laufen nun mal nicht ohne einen Kopf. Also ist es ein Fall für die Polizei West, Junge. Das ist doch wohl klar!»
Beide Männer starrten einander schweigend an. Die anderen Kollegen hielten inne und beobachteten dieses außergewöhnliche Vater-Sohn-Duell. Vater und auch Sohn Kappe wussten, dass die Situation ihnen Probleme bereiten konnte. Weder im Osten noch im Westen sah man es gerne, wenn Kommissare Beziehungen zum Feind unterhielten – und schon gar nicht familiäre. Kappe senior war allerdings durch seine langjährige Polizeizugehörigkeit geschützt, während derer er seine dienstliche und politische Zuverlässigkeit mehr als einmal unter Beweis gestellt hatte. Er war nie in der NSDAP gewesen. Und mit Kappe junior, Kommissar bei der Kripo Ost, legte sich auch niemand gerne an. Ihm wurden besonders gute Beziehungen zu «seinem» Polizeipräsidenten nachgesagt.
Das Präsidium Ost residierte im Karstadthaus in der Neue Königsstraße unter Leitung von Paul Markgraf – die Westalliierten hatten ihn als Polizeichef abgesetzt, doch die Sowjets hatten ihn gehalten. Die Kriminalpolizei Ost war vorläufig noch in der Dircksenstraße geblieben, doch der Umzug war bereits abzusehen. Das Präsidium West in der Friesenstraße unter der Führung des früheren Markgraf-Stellvertreters Dr. Johannes Stumm hatte 1948 als eigenständige Institution die Arbeit aufgenommen, mit 9491 Polizeibeamten, 971 Hilfskräften und 2200 Wachpolizisten.
Inzwischen hatte sich Peter Drewitz demonstrativ zu Hartmut Kappe gesellt. Kappe senior nickte ihm zu. «Ah, Drewitz, Sie auch da! So sieht man sich wieder.»
Früher waren sie ebenfalls Kollegen gewesen, wenn auch nicht lange. Drewitz war im Bezirk Tiergarten aufgewachsen, dann aber zu seiner großen Liebe in den russischen Sektor gezogen. Cherchez la femme, wie die Franzosen sagten. Sie hatten letztes Jahr geheiratet. Das war der Grund dafür, dass er nun ebenfalls zur Markgraf-Truppe gehörte – und nicht etwa, dass er ein besonders linientreuer SEDler gewesen wäre. Soweit Kappe gehört hatte, war der langersehnte Sprössling unterwegs. Doch man wusste nicht mehr so viel voneinander wie früher.
Kappe betrachtete seinen Ältesten. Hartmut fühlte sich ebenso wenig wohl in dieser Situation wie er selbst. Kein Wunder, sie standen auf feindlichen Seiten. So weit war es gekommen. Es wurde unter der Hand erzählt, in Ost-Berlin, nun Hauptstadt der DDR, seien die Kommunisten dabei, ihre Polizei den «Oststrukturen» anzupassen. Das hieß, es entstanden militärisch geführte Einheiten.
Kappe dachte wieder einmal, wie leid er dieser ständigen Animositäten war. Anfangs hatten sich die altgedienten Kollegen hüben wie drüben noch ausgetauscht und die Köpfe geschüttelt über die Politiker. Inzwischen aber hatte sich die Beziehung zwischen Ost und West bis auf Eiskellernivau abgekühlt. Es galt, wachsam zu sein, denn der Osten sollte ins Präsidium Friesenstraße mehr als nur einen Spion eingeschleust haben. Umgekehrt natürlich auch. Da tröstete es Kappe nicht, dass er als Kriminaloberkommissar, sehr zur Freude seiner Klara, 150 Mark mehr im Monat verdiente als vorher. Denn dafür zog sich der durch die Teilung verursachte Graben nun durch die eigene Familie. Er freute sich inzwischen sogar auf seinen Ruhestand. Kappe hasste es, innerhalb des eigenen Präsidiums jedes Wort auf die Goldwaage legen, genau bedenken zu müssen, wem er was mitteilte.