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hat. Die Störung der Totenruhe – und hier geht es zweifellos um einen schweren Fall – wird nach ­Paragraph 168 StGB mit einer Freiheitsstrafe von nur bis zu drei Jahren bestraft.«

      »Oha!«

      Irgendwo im Gebäude wurde eine Tür zugeworfen. Richard zuckte zusammen. Er griff nach dem USB-Stick, packte aber nicht zu, ließ die Hand schweben. Die Schritte gingen draußen vorbei, und Richard nahm seine Hand wieder zu sich. Dämmerung hatte das Fenster zugezogen.

      »Was ist los?«, fragte ich.

      Er zögerte. »Lisa …«

      »Ja.«

      Er schaute mich an, todesmutig. »Glaubst du an diese Sachen?«

      »An was?«

      »Gespenster, Telekinese …? Du hast erzählt, du hättest einen Test in diesem Institut gemacht und man habe eine PK-Begabung festgestellt.«

      Ich musste lachen. »Das ist eher ein statistischer Trick. Da geht es um Abweichungen von der Normalverteilung von ein paar null Komma null irgendwas Prozent. Ich bin weit davon entfernt, per Geisteskraft Gegenstände zu bewegen. Dass jemand so was kann, ist auch noch nie wissenschaftlich untermauert worden, sagt die Doktorin Barzani.«

      Richard holte tief Luft. »An dem Tag, als der Gefangenentransport mit Juri Katzenjacob auf den Hinterhof des Ermittlungs­gerichts fahren wollte, da … ging das Tor nicht auf. Irgendwas hat geklemmt. Später funktionierte es wieder. Einen Defekt hat man nicht feststellen können. Außerdem hat die Überwachungskamera nichts aufgezeichnet. Nichts.« Er schaute mir unglücklich in die Augen. Die eherne Rationalität seines Verstands bekam Risse. Ich konnte zuschauen.

      »So was kommt vor«, sagte ich. »Ein nicht zufälliges Zusammentreffen von aus einer leichten Instabilität des Systems resultierenden Sonderfällen. Wenn Juri Katzenjacob ein Telepath ist, dann hat er den Transporter aufhalten wollen, damit seine Befreiung gelingt. Wahrscheinlich hat er auch diesen rätselhaften Gegenstand an der Tür weggezaubert, damit wir nicht herausfinden, wie er nach der Tat herausgekommen ist.«

      Richard simulierte ein Lachen.

      »Oder er kann durch Wände gehen. Wäre auch eine Möglichkeit.«

      Richard schaute mich vorwurfsvoll an.

      »Okay, okay. Dann fragen wir mal so: Warum sollte Juri Katzenjacob ein Interesse daran haben, dass die Polizei sich nicht erklären kann, wie er aus dem Raum herausgekommen ist?«

      »Vielleicht ist das nicht die Frage, Lisa.«

      »Was ist dann die Frage?«

      Richard zog den Speicherstick aus dem Computer, ließ ihn in die Innentasche seines Jacketts gleiten, schloss die Bildprogramme und stand auf. Cipión war wie immer froh, dass nun wieder Bewegung in uns Langbeine kam, und hibbelte zur Tür.

      »Vielleicht«, sagte Richard, »ist Juri Katzenjacob tatsächlich jener, welcher … Ich meine …«

      »Der Parapsychopath, der das Kalteneck-Experiment bestanden hat? Nee, Richard!« Ich durchpflügte mein zerrupftes Gedächtnis. »Er war der Maler. Er hat die Klotüren bepinselt.« Ich kam in Fahrt. »Als er fertig war, so gegen 16 Uhr 30 oder 17 Uhr, hat ihn die Neugierde gepackt, oder er wollte sich verabschieden, und er ist raufgegangen ins Institut. Dort schien niemand mehr zu sein. Doch dann hat er Licht in Rosenfelds Büro gesehen. Ende Januar war es dunkel um diese Zeit. Er ist hineingegangen und hat … Ja, er hat Rosenfeld leblos auf dem Boden liegen sehen, und sein Interesse für das Innenleben organischer Körper hat ihn übermannt. Um sicherzustellen, dass Rosenfeld tot ist, hat er ein Kabel aus dem Computer gerissen und ihn gewürgt. Vielleicht hat er das mit Katzen und Hunden auch so gemacht. Es ist ein Ritual. Der Akt des Tötens am Toten, dann die Eingeweide herausholen, das Herz für eine spätere Sonderbehandlung sichern. Und zum Schluss Augen und Maul verschließen und mit einer Nadel pfählen, Kies verstreuen, damit aus dem Malträtierten kein Nachzehrer wird, der sich an ihm, Katzenjacob, rächt. Erst hinterher ist ihm klar geworden, dass Rosenfeld ein Mensch und kein Fuchs am Straßenrand war und es für ihn diesmal brenzlig wird. Daraufhin hat er wie ein gewöhnlicher Verbrecher versucht, Spuren zu verwischen. Aber wie alle hatte er keine Vorstellung davon, was die Spurensicherung bei der Polizei heute leistet. Zur Herkunft der Kiessteine hat er sich nicht geäußert, nehme ich an?«

      »Nein. Aber sie stammten höchstwahrscheinlich von einer Baustelle in Holzgerlingen.«

      »Das sieht nach Planung aus. Er muss sie sich ja in die Tasche gesteckt haben, bevor er zum Malen in die Burg fuhr.«

      Richard nickte. »Es macht das Geschehen nicht gerade besser nachvollziehbar.«

      »Aber dann kann er nicht der Channeler sein. Er ist nur das Werkzeug. Das glaube ich. Wenn Katzenjacob die Entdeckung wäre, wüsste man das seit vergangenem Sommer, wo die letzten Kalteneck-Experimente durchgeführt wurden, denn die Presse wäre ganz groß darauf eingestiegen. Das kannst du mir glauben. Wir lieben so was. Wenn er die Million gewonnen hätte, wäre er zweitens auch nicht mehr der Maler, sondern ein begehrter und heftig umkämpfter Gast in allen Talkshows. Vermutlich hätte er sogar längst seine eigene Show.«

      »Ich erinnere mich noch gut«, bemerkte Richard, »wie du auf der Heimfahrt von Gesines Geburtstag ziemlich vehement die These vertreten hast, der Telekinese-Agent sei entdeckt.«

      Das musste ich einräumen.

      »Würde für den nicht das Gleiche gelten? Er wäre inzwischen bekannt.«

      »Nicht, wenn er sofort entführt und Rosenfeld ermordet worden wäre. Ich kann mir eben nur schwer vorstellen, dass Juri seinen Entdecker getötet haben soll.«

      »Es sei denn, Katzenjacob meinte, er habe diese Begabung, doch Rosenfeld hat ihm das Zertifikat verweigert. Im Umfeld dieser Experimente gibt es einige Fälle, in denen die Leute sich darüber beschweren, dass Rosenfeld das Experiment mit ihnen abgebrochen habe, weil er befürchtete, so ihre Interpretation, dass sie unter Laborbedingungen bestehen würden.«

      Ich stutzte. Wie tief hatte er sich eigentlich bereits in diesen Fall eingearbeitet? Wirklich nur, weil ihn seit der Befreiungsaktion und dem technischen Versagen, das sie begleitet hatte, der Gedanke nicht mehr losließ, es könnte doch finstere Kräfte geben, die sich seinem rationalen Zugriff entzogen? Womöglich hatte ihn die Séance auf Schloss Monrepos tiefer beeindruckt, als er es damals wahrhaben wollte.

      Er klinkte die Tür auf, Cipión trabte auf den dunklen Gang hinaus, und Richard schloss ab.

      Ich amüsierte mich. »Wird etwa geklaut hier in der Staatsanwaltschaft?«

      »Grundsätzlich ist überall alles möglich.«

      Die Weisheit resignativer Menschenkenntnis rückte ihn mental halbwegs wieder ins Lot. Zügig steuerte er die Treppe an. Immer sportlich.Ich fing Cipión ein und klemmte ihn mir unter den Arm. Dackel, insbesondere meiner, neigen dazu, sich auf Treppen vom eigenen Hinterteil überholen zu lassen und den Weg holterdipolter zu beenden.

      »Übrigens«, plauderte ich, »sind die Kalteneck-Experimente hauptsächlich von einem Doktoranden aus Alicante durchgeführt worden. Er heißt Héctor Quicio. Ich habe ihn noch nicht auftreiben können. Er hat die spanische Asociación de Investigaciones Parapsicológicas wohl verlassen.«

      »Vielleicht hat er seine Doktorarbeit inzwischen veröffentlicht.«

      »Und wie weiß ich das?«

      Richard schmunzelte. »Alle Dissertationen müssen veröffentlicht werden und befinden sich in den zentralen Universitäts­katalogen. Und die sind alle online einsehbar.«

      Tja, ich war halt nicht vertraut mit den geheimen Regeln der akademischen Bruderschaften, was hiermit wieder einmal klargestellt war.

      Richard blieb abrupt stehen und zog das Handy. Sein Gesicht hellte sich etwas auf. »Frau Barzani!«

      17

      Eine halbe Stunde später rasten wir durch die Dämmerung auf den Heslacher Tunnel

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