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von Maschinen und Handarbeit recht frei variiert werden können. Aber gerade für die Industrieproduktion, auf welche sich die Neoklassik fixiert, indem sie den Faktor Land fallen lässt, stimmt dies ironischerweise nicht mehr. Denn hier ist das Verhältnis von Maschine und Arbeit, also die Zahl der Arbeiter an einer bestimmten Maschine, durch die Organisation der Fabrik fest vorgegeben. Es sind mithin die Voraussetzungen gar nicht erfüllt, um überhaupt ein Grenzprodukt zu definieren, womit die neoklassische Lohntheorie in sich zusammenfällt.30 Richtiger ist es vermutlich, die ganze Gleichgewichtsannahme aufzugeben und das Verhältnis der Produktionsfaktoren als empirische Charakteristik der eingesetzten Produktionstechnik zu betrachten.31

      2.2.7 Pareto-Prinzip und soziales Wohl

      Wir werden im folgenden Kapitel weitere Kritik am Konzept des Pareto-Optimums kennenlernen. Dazu ist es aber wichtig, zu verstehen, dass seine Formulierung zu seiner Zeit durchaus auf ein theoretisches Problem antwortete und insofern einen Fortschritt bedeutete.

      Wir sahen schon, dass ein zentraler Begriff der Neoklassik der des Nutzens ist. Damit weist die Neoklassik auf den englischen Utilitarismus zurück, welcher im Nutzen auch den Schlüssel zu normativen Fragen der Ethik sah, die durch Kalkulation des Nutzens beantwortet werden sollten (utility calculus). Hat man es nun mit mehreren Individuen zu tun, können sich allerdings Probleme einstellen. Stiehlt der Verhungernde dem Satten ein Brot, wiegt dann nicht sein Gewinn den geringen Verlust des anderen auf? Man ist versucht, dies zu bejahen. Aber dazu müsste man den Gewinn des einen mit dem Verlust des anderen vergleichen können. Just dies ist durch den subjektiven Nutzenbegriff ausgeschlossen, da dieser keinen intersubjektiven Maßstab kennt. Intersubjektive Nutzenvergleiche sind prinzipiell ausgeschlossen, wie die Ökonomen bald feststellten.32 Es ist keine Überraschung, dass man im Rahmen eines streng individualistischen Ansatzes in Schwierigkeiten gerät, sobald man es mit kollektiven Größen wie dem Gesamtnutzen zu tun hat.

      Hier kommt das Pareto-Prinzip ins Spiel. Es erlaubt nämlich durchaus, diese Klippe zu umschiffen und von einem Optimum für ein Kollektiv zu sprechen, ohne sich auf ein Maß des kollektiven Wohls beziehen zu müssen. Zwar kann man in einer Situation, in welcher ein Individuum sich verbessert, während ein anderes sich verschlechtert, prinzipiell nicht bestimmen, ob der Nutzengewinn des einen den Verlust des anderen überwiegt und so zu einem höheren Gesamtwohl führt. Verbessert sich jedoch einer, ohne dass sich ein anderer verschlechtert, so lässt sich diese Frage gleichwohl bejahen, und wenn eine Situation erreicht ist, in welcher sich niemand mehr weiter verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtert, ist in diesem Sinne ein Optimum erreicht.

      Für viele volkswirtschaftliche Anwendungen ist das Pareto-Prinzip freilich in einer weniger restriktiven Formulierung maßgeblich. Betrachten wir dazu das Beispiel, an welchem diese Fragen ursprünglich diskutiert wurden, was auch deshalb interessant ist, weil es uns zugleich an den ursprünglichen Kontext der Diskussion erinnert, nämlich die Frage nach dem Freihandel: Die Aufhebung der Korngesetze 1846, welche die britische Landwirtschaft schützen sollten, hatte einerseits zur Folge, dass der Kornpreis sank, die gesamte Bevölkerung also für den selben Betrag eine höhere Menge Korn erstehen konnte, sprich derselbe Lohn einem höheren Realeinkommen entsprach, führte andererseits aber auch zu einer Einkommensverschiebung, in diesem Fall zuungunsten des Landadels, der unter dem Druck der ausländischen Konkurrenz nun sein Korn zu geringerem Preis verkaufen musste. Wie sieht die utilitaristische Gesamtbilanz aus? Wir stehen wieder vor dem Problem, den eventuellen Nutzenverlust der einen gegen den Gewinn der anderen verrechnen zu müssen, was nicht möglich ist. Andererseits haben wir es lediglich mit Geldmengen zu tun, die vom Staat durch neue Steuern und Kompensationszahlungen wieder umverteilt werden können. Und so lässt sich – zumindest im Prinzip – dennoch feststellen, ob eine Reform von positivem Gesamtnutzen ist: genau dann nämlich, wenn nach Entschädigung des Benachteiligten die Bevorzugten noch einen Nettogewinn zu verbuchen haben.

      Diese Überlegung, die erstmalig von Nicholas Kaldor und John R. Hicks angestellt wurde, wartet allerdings noch mit einer – wie manche meinen: zynischen – Pointe auf. Die beiden Ökonomen sind sich nämlich darin einig, dass die Frage, ob die Entschädigung auch gezahlt werden solle, eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit sei, zu welcher die Ökonomen als Wissenschaftler nichts zu sagen haben.33 Sie klammerten diesen Aspekt daher aus und betrachteten nur den »potentiellen« Fall. Eine Reform ist nach diesem sogenannten Kaldor-Hicks-Kriterium also auch dann zu begrüßen, wenn sie nur eine potentielle Pareto-Verbesserung bewirkt, diese also theoretisch möglich ist, auch wenn de facto Gewinn und Verlust höchst ungleich verteilt werden und gegebenenfalls eine gesellschaftliche Ungleichheit noch verstärken.

      Diese Verallgemeinerung des Pareto-Prinzips ist von enormer Bedeutung. Sie erlaubt es den Ökonomen, Fragen der Effizienz von denen der Verteilung zu trennen. Damit ist die Möglichkeit gewonnen, nüchtern eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen, ohne auf Fragen der Gerechtigkeit eingehen zu müssen. Solche Analysen bilden die Grundlage für wirtschaftspolitische Empfehlungen durch die Ökonomen (economic policy). Die Abkopplung von Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen macht dabei die Objektivität – im Sinne von Wertfreiheit – dieser Empfehlungen aus.34 Diese Auffassung knüpft an die Position Max Webers im Werturteilsstreit an. Sich gegen die bekenntnishaften »Kathederwertungen« und »Professoren-Prophetie« wendend, d. h. gegen »weltanschauliche« und »parteipolitische« Stellungnahmen des Wissenschaftlers, suchte Weber den reinen, wertfreien »fachmäßigen« Standpunkt zu setzen.35 Der begriffliche Schlüssel dazu bestand für ihn in der Trennung zwischen Zwecken und Mitteln, auf welche sich dann die Trennung von Werturteilen und Tatsachenurteilen abbilden lässt: Der Wissenschaftler kann nur empirisch über die Eignung eines Mittels zu einem Zweck urteilen. Ob aber ein Zweck wünschenswert sei, stellt ein Werturteil dar, welches er sich versagen muss. In gesellschaftlichen Fragen muss darüber etwa im politischen Diskurs entschieden werden. Die Gesellschaft muss sich also darüber klar werden, was sie will, und der Wissenschaftler kann ihr dann sagen, ob und wie sich diese Zwecke am besten erreichen lassen. Diese Auffassung steht offenkundig auch hinter dem Unterfangen, den Verteilungs- vom Effizienzaspekt zu separieren. Befördert wurde diese Haltung noch von der neopositivistischen Wissenschaftsphilosophie des Wiener Kreises – mit starkem Einfluss etwa auf Robbins –, welche die empirischen Urteile für die einzig sinnvollen erklärte und somit die Werturteile nicht nur abtrennte, sondern überhaupt suspekt erscheinen ließ.

      Erlauben wir uns schon an dieser Stelle einen kritischen Blick. Problematisch ist dieser Zug aus zwei Gründen. Erstens wird die Frage übergangen, ob die Verbesserung aller auch praktisch möglich ist. Man sieht sofort, warum es den Ökonomen legitim erscheinen muss, diese Frage auszuklammern: es handelt sich um eine soziologische Frage, denn Möglichkeit und Unmöglichkeit hängen von außerökonomischen Faktoren ab. Hier berühren wir eine Grenzfläche, welche die Ökonomen ausblenden. Darf man sie allerdings nicht ausblenden, wie die Kritiker der Neoklassik meinen, so wird die Frage nach der praktischen Realisierbarkeit wieder relevant.

      Der zweite Grund hat mit der Trennung von Effizienz- und Distributionsaspekten zu tun. Wie können die Ökonomen einerseits die Distributionsfrage als eine Wertfrage kenntlich machen und als solche ausklammern, andererseits aber anhand des Effizienzkriteriums entscheiden wollen, ob eine politische Reform wünschenswert ist? Ist letzteres etwa keine Wertfrage? Eine Effizienzsteigerung im Sinne einer potentiellen Paretoverbesserung ist den Ökonomen ja nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern an sich erstrebenswert. Die Ökonomen leugnen diese Wertdimension, indem sie ihr Kriterium der Effizienzsteigerung nicht auf einen externen Wertmaßstab gründen, sondern sich auf die ›Naturanlage‹ des Individuums berufen (d. h. eigentlich auf die Modellannahme), beständig nach mehr zu streben. Wünschenswert soll also heißen: wünschenswert für die Individuen. Die Ökonomen erlauben sich also, im Namen der Individuen zu sprechen und die Effizienzsteigerung als deren ureigentliches Interesse darzustellen. Nun beachte man aber: Die Ökonomen geben vor, über den faktischen Nutzen einer Reform im Namen der Individuen zu urteilen. Aber nun ist es ja gerade so, dass de facto nicht alle, vielleicht gar nur eine Minderheit eine Verbesserung erzielt, und die übrigen sich unter Umständen sogar verschlechtern. Die Ökonomen sprechen über eine faktische Reform, aber nicht im Namen der faktisch betroffenen Individuen, sondern der Individuen unter hypothetischen Umständen, an deren

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