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kein hierarchischer oder theologischer Glanz begleitet ihn. Er ist einfach da. Und packt. Und packt wie die anderen. Unerkannte Kirche. Verborgene Kirche. Ivan Illich hat es schon vor Jahrzehnten formuliert: „Wir müssen dazu fähig sein, uns von bestimmten alten Bildern zu befreien, die uns glauben machen, dass die Kirche so sichtbar sein müsste wie ein Staat oder eine politische Institution.“4 In gewisser Weise geht diese zusammenbrechende, nur noch sich dahinschleppende Machtkirche uns allen und dem Schicksal der Weltgesellschaft voraus. Jonathan Franzen, der US-amerikanische Schriftsteller, hat gesagt: „Die Klimaaktivisten sollten aufhören, sich etwas vorzumachen.“5 Er hält den Kampf gegen den Klimawandel für schon verloren. Sind Weltgesellschaft und Weltkirche etwa in der gleichen Lage? Ein einziger Schlag, denkt man manchmal, und es ist vorbei mit der Kirche: Alles stürzt ein. Wird dann die Kirche endlich dem Gekreuzigten ähnlich, den sie in der Vergangenheit vergoldet hat, den sie mit Diamanten gekrönt hat, um das blutige Schlachtfest, das die Kreuzigung darstellt, vergessen zu lassen? Es wird die Stunde der Verhöhnung der Kirche kommen – wenn sie nicht schon da ist. Die Stunde der Demütigung, die die mächtige, die reiche, die herrschsüchtige Kirche in die Knie zwingt und vielleicht, ja vielleicht wird ihr jemand etwas auf das Haupt drücken, was an eine Dornenkrone erinnert. Eine leidende und mitleidende Kirche wird das sein, die sich dem Schrecken der Inkarnation, der Fleischwerdung nicht mehr entzieht – und damit selbst zum Abbild des Gekreuzigten wird. So kann sie dann die tröstende, die mitweinende Kirche werden, die sie immer hatte sein sollen. Eine Kirche, die aus dem Licht heraustritt, die stattdessen ins Dunkle stolpert. Über ihr schweben die Worte Paul Celans, die sie zögerlich nachsprechen kann:

       Wir lagen schon tief in der Macchia,

       als du endlich herankrochst.

       Doch konnten wir nicht hinüberdunkeln

       zu dir:

       Es herrschte Lichtzwang.

      Es sei dies ein Gedicht kurz vor dem Verstummen, hat Paul Celan selbst gesagt. Die Kirche der Zukunft wird den Lichtzwang hinter sich lassen. Sie wird eine Kirche im Dunkeln sein. Glanzlos, stumm. Die Kirche der Zukunft wird eine sprachlose Kirche sein, gestützt von einer Theologie, der es die Sprache verschlagen hat. Sie wird anknüpfen an das, was einmal ‚apophatische‘ Theologie hieß. Apophatisch (‚absagend‘) – das ist nichts anderes als eine Theologie ohne besserwisserische Sätze. Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus sind sich darin einig, dass das Göttliche als letzter, eigentlicher Urgrund aller Dinge „völlig unnennbar, unbeschreibbar und unerkennbar“ ist.6 Wir wissen von Gott mehr, was er nicht ist als was er ist – so hat es der große, der heilige Thomas von Aquin gesagt.7

      So wird sie sein oder sie wird nicht sein. Abschied heißt das von Pfarrern mit Pensionsberechtigung, Abschied von apostolischen Botschaftern, die bei Regierungen akkreditiert sind. Abschied von goldenen Kreuzen und bunten Gewändern. Es ist ein Abschied, der schmerzliche Trennungen einschließt. Denn es ist auch ein Abschied von christlichen Traditionen und von großen Teilen ihrer Erzählung. Von ihren Texten, von ihren Bildern, von ihren Melodien. Die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies? Nie gehört. Arche Noah – ist das ein Zoo? Weil die Menschen den babylonischen Turm längst gebaut haben, werden sie auch die Geschichte vom Turmbau zu Babel vergessen wollen. Und die Psalmen, die die Mönche ein Leben lang mit sich umhertrugen. Wo sind sie? Vielleicht könnte ein Klagepsalm heute so lauten:

      „Tatsache ist,

      dass die Menschheit den einzigen Planeten, den sie hat, durch ihre profitorientierte Produktionsweise zerstört und dieser in naher Zukunft unbewohnbar wird.

      Tatsache ist,

      dass unter den Machteliten, Geheimdiensten und Militärs weltweit keinerlei Zweifel hieran besteht und diese sich bereits darauf vorbereiten, ihr Überleben gegen das der 99 Prozent zu verteidigen.

      Tatsache ist,

      dass der Kampf um die wenigen Tickets auf der neuen Arche längst begonnen hat und daher gilt, was der Pulitzer-Preisträger Chris Hedges auf den Punkt brachte, als er schrieb: ‚Den Planeten zu retten heißt, die herrschenden Eliten zu stürzen.‘“

      Tatsache ist,

      dass die Kirche nicht wirklich begreift, dass sie nicht so weitermachen kann wie bisher. Dass die Bindung an die bürgerliche Mitte der Gesellschaft, aus der ihre institutionelle Stärke kam, zerbrochen ist. Dass es jetzt gilt, sich radikal auf die Seite der Schwachen zu stellen und damit ihre Botschaft für sich und mit anderen auferstehen zu lassen.8

      Die Landesschülervertretung in Rheinland-Pfalz fordert im November 2019 die Abschaffung des Religionsunterrichtes und will dafür die Landesverfassung ändern.9 Sie dürfte die Speerspitze eines Trends sein. Und sie spricht aus, was ist: Schule findet heute nicht mehr in einem christlichen Milieu statt. Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, Menschen, denen die Kirche völlig gleichgültig ist, sie sind das neue Milieu, in dem sich Kirche verblüfft und erschrocken vorfindet. Damit verschwindet vieles, vielleicht alles, was die Kultur der letzten 2000 Jahre bei uns fermentiert hat. Wie soll die Geschichte des Abendlands eigentlich von den Menschen noch verstanden werden, wenn sich an die biblische Schöpfungsgeschichte keiner mehr erinnert? Die Offenbarung des Johannes am Schluss der Bibel spricht von dem Drachen mit sieben Häuptern und zehn Hörnern. Er ist in zahllosen europäischen Fresken verewigt. Es weiß ja schon kaum noch einer von dieser Schrift, der Offenbarung des Johannes, die das Neue Testament abschließt. Vor dem Drachen, den Johannes beschreibt, stehen wir heute schon so ratlos wie vor steinzeitlichen spanischen Felsbildern. Von den Moses-Geschichten, der das Volk Israel durch das Rote Meer führt, bis zu den leidenschaftlichen Briefen des Apostels Paulus – sie sind nicht mehr Gegenstand der Auseinandersetzung, weil sie ganz einfach vergessen sind. Was irritiert, das ist die schmerzfreie Entsorgungsmentalität – als habe man es mit einer Müllfrage zu tun. Die Menschen, die aus einer christlichen Kultur kommen, stehen jetzt schon vor den Bildern des Pariser Louvre, der florentinischen Uffizien oder der Münchner Pinakothek wie chinesische Touristen: interessiert, aber kenntnislos. Das, was europäisch-christliche Kultur ausgemacht hat, fällt gerade einem Flächenbrand zum Opfer. Es bleiben rauchende Trümmer. Was wird darauf Neues wachsen? Wird Neues darauf wachsen?

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