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und peinlichen Rede von der Auferstehung des Fleisches bis zur Weißglut reizen.

      6.Die kirchlichen Sozialkonzerne werden verschwunden sein. Eine unerwartete Kraft strömt stattdessen aus den neuen Gemeinden: Die großen Krisen (der Ökonomie, des Klimas) konfrontiert die kleinen Christengemeinschaften überall mit Flüchtlingen, Kranken, Hungernden, Einsamen. Die Welt wird beginnen auszusehen wie ein globales Hospiz. Die auf glückliche Weise ohnmächtige Kirche tröstet, begleitet und pflegt, wo ihr Not begegnet. Demütig und ohne Alleinvertretungsanspruch.

      7.Die neue Kirche wird begriffen haben, dass sie die wachsende Kluft zwischen arm und reich nicht schließen kann. Deswegen wird sie die Reichen aufgeben. Der Traum von einer gemeinsamen friedlichen Welt ohne Hunger und Krieg ist zu Ende. Stattdessen blühen Orte auf, an denen konviviale, freundschaftliche, solidarische, spirituelle Gemeinschaften wachsen. Die neuen Christen beginnen, verlorene Orte zu besetzen: Orte der Gemeinschaft inmitten allseits herrschender Einsamkeit, ‚Umsonstigkeit‘ inmitten fressenden Kalküls.

      8.Die Kirche wird sich an der blühenden Frömmigkeit, an den vollen Kirchen und dem starken Glauben afrikanischer Christen orientieren. Denen war von weißen Experten längst ein Stempel aufgedrückt worden: typische afrikanische Rückständigkeit. Die seien doch in der modernen Welt noch nicht angekommen. In diese lebensvolle afrikanische Rückständigkeit wird die neue Kirche verliebt sein.

      9.Die neue Kirche wird das Anthropozän verlassen, indem sie ihre Herzen öffnet für alle vom Menschen misshandelten Geschöpfe. Sie wird eine ‚Kritterkirche‘ sein, in der die Menschen sich nicht mehr als Krone der Schöpfung, sondern als Mitgeschöpfe verstehen. Der künftige barmherzige Samariter neigt sich nicht nur Menschen aus allen Nationen zu, sondern allen Lebewesen. Dann wird der Saft enthusiastischen Glaubens wieder in die ausgebleichten Knochen der Kirche fließen.

      10.Die neue Kirche schließt nicht aus, dass Gott scheitert. Sie fürchtet, dass die Leute die Menschwerdung Gottes zurückweisen könnten. Das würde dann die Stunde unüberbietbarer Schwäche der Kirche sein. Und das wird das letzte große Geschenk der Kirche an die Menschen: die Selbstaufgabe, in der sie ihrem Meister und Messias folgt. Eine sympathische Kirche, die so abschmilzt wie das Eis an den Polen. Eine Kirche, die so verblasst, wie die Korallen am Great Barrier Reef. Ein Augenblick, in der die Kirchen und die Menschen nur noch mit zum Himmel geöffneten Händen auf das Manna, das vom Himmel fällt, warten können.

      Dann wird die Ohnmacht der Kirche zu ihrer Sternstunde geworden sein.

      Will ich …?

      Will ich auf die Kirche einschlagen? Nein. Will ich sie schönreden? Nein. Will ich ihren Niedergang noch einmal genüsslich beschreiben? Nein. Will ich über ihre Fehler hinwegsehen? Nein. Will ich ihr die Rückkehr zu altem Glanz versprechen? Auf keinen Fall.

      Für die Kirche gilt heute ein janusköpfiger Satz. Auf der einen Seite steht: Die Kirche ist so überflüssig wie nie zuvor. Auf der anderen Seite steht: Die Kirche ist so notwendig wie nie zuvor.

      Wie ist das gemeint?

      Die Kirche hat ihren Zusammenbruch ja schon fast hinter sich: Alles Gewohnte und als sicher Geglaubte zerfällt vor ihren Augen. Wer geht schon noch in die Kirche? Wer glaubt noch an ihre Botschaft? Wer liest noch in der Bibel? Wer lässt sich noch von ihr maßregeln? Hat sie eine Zukunft oder ist sie schon Vergangenheit? Viele Menschen, die Empfindsamen vor allem, erwarten heute einen Zivilisationsbruch, der die Weltgesellschaft, die wir kennen, auf den Kopf stellt. Die Coronakrise war und ist ein Vorgeschmack dessen, was wir zu erwarten haben. Ob der Bruch nun als Klimakatastrophe oder als Zerfall von Staaten kommt, ob den Menschen das Wasser ausgeht oder das Essen: Leid und Schmerz werden wachsen, sie sind ja schon da. Da taucht die Frage auf: Wird der Planet ein globales Hospiz brauchen? Wird die Kirche imstande sein, den Millionen und Abermillionen, die in den vor uns liegenden Jahrzehnten mit Flucht, Not und Tod konfrontiert sein werden, Trost und – soweit es ihre schwachen Kräfte erlauben – Zuwendung zu schenken?

      Corona ist der Vorgeschmack auf das, was Nachdenkliche seit Jahren erwarten. Sichtbar werden die Umrisse eines in Trümmer geschlagenen Planeten. Nur eine Zahl, die für viele Zahlen steht: In den letzten vierzig Jahren sind in Europa 300 Millionen Brutpaare von Singvögeln verschwunden. Das heißt: 57 Prozent der Vogelpopulation ist ausradiert.1 Die Zahl spricht nicht nur von der Zerstörung der Schöpfung, sie spricht zugleich von der Vernichtung der Lebensbedingungen, die der homo sapiens braucht. „Ach wie verzweifelt sind jetzt die Menschen, die einst in so dichtem Grün lebten! Wo sind Bienen und Käfer, Schmetterlinge und Ameisen? Das bunte Vogelvolk? Tränen laufen den Menschen übers Gesicht, während sie vergeblich nach dem Schatten der Bäume suchen, nach dem Duft von Gras und dem sanften Rieseln der lebensspenden Bäche. Der Hochmut der Menschen hat die Erde zerstört, sie sind sich selbst zum Widersacher geworden.“ Ursula Baatz, österreichische Philosophin, hat die Klagelieder des Jeremias so für uns heute berührend weitergedichtet. Die Kirche steckt in einer Falle: Sie meint, sie müsse immer gleich von Hoffnung reden. Gebetsmühlenartig wird die ‚frohe Botschaft‘ über jede finstere Analyse gestülpt. Die ‚frohe Botschaft‘ verkommt zum Happy End, wenn die Kirchenmenschen es nicht wagen, die dramatische Bedrohung der Schöpfung und des Menschen zur Kenntnis zu nehmen. Vor Ostern kommt Karfreitag. Der bedenkenlose Purzelbaum ins Positive, den Priester und Pfarrerinnen gern schlagen, nimmt der frohen Botschaft den Ernst und die Kraft. Die Propaganda des Positiven erlöst nicht, sondern nagelt uns ans Kreuz des Aberglaubens. Es ist das strahlende Geschenk der christlichen Botschaft, dass sie von Hoffnung und Erlösung reden kann. Bevor wir über Hoffnung reden können, muss indessen der Schmerz ertragen werden, der die Welt durchzieht.

      Die Kirche ist so überflüssig wie nie zuvor, weil sie mitschwimmt im Strom der Weltvernichtung. Die Kirche ist gleichzeitig so notwendig wie nie zuvor, weil die Menschen auf der verzweifelten Suche nach Trost sind, weil sie Zuflucht, Wärme, Heimat, Gemeinschaft, Rettung ersehnen wie nie zuvor.

      Vielleicht wird die Stunde der Kirche schlagen, wenn die Welt zum globalen Hospiz geworden ist. Da liegt eine sterbende Schöpfung. Da seufzt eine leidende Menschheit. Wird die Kirche bereit sein zu einer bedingungslosen hospizlichen Zuwendung, die den Menschen den „Vorrang von Schmerzlinderung vor Heilung, die Maximierung persönlicher Kontakte, urteilsfreie Akzeptanz und umfassende Ausbildung für Hospizpersonal“ bereitstellt?2 Das hat Vorläufer: Franz von Assisi, der sich den Aussätzigen zuwandte; Elisabeth von Marburg, die ihre fürstlichen Gewänder ablegte und in einem Flickenkleid mit den Elenden lebte. Das werden die Vorbilder sein, dann, wenn Trost Mangelware sein wird. Es wird nicht der Augenblick des Triumphs sein. Aber der Schrei, der den barmherzigen Samariter herbeiruft, wird laut und lauter zu hören sein. Ja, dann könnte die Stunde der Kirche schlagen – aber die Kirche könnte die Stunde versäumen. Wird die Zukunft in Krisengebieten von marodierenden Trupps mit Kalaschnikow bestimmt sein oder wird der Erdkreis den Sanftmütigen gehören? Werden die Warlords die Leitfiguren oder jene ‚kleinen Brüder‘, die in konvivialen Gemeinschaften versuchen, Orte versöhnten Miteinanders zu schaffen? Taizé oder Drohnenmörder? Nonnen, die in Griechenland eine verfallene Kirche restaurieren und Obst anbauen, oder Kindersoldaten, die zum Werkzeug gewissenloser Schlächter werden? Wir müssen mit allem rechnen.

      Wenn künftige Generationen auf den Beginn des 21. Jahrhunderts zurückschauen, werden sie wahrscheinlich von der Zeit des großen Wandels sprechen, so hat es Joanna Macy gesagt. Joanna Macy ist eine 91 Jahre alte Kalifornierin. Es gehe – so Macy – um den Übergang von einer industriellen Wachstumsgesellschaft zu einer Gesellschaft, die das Leben langfristig erhält. Dazu sind, sagt sie, Aktionen, Initiativen, Blockaden notwendig, aber eben zugleich und vor allem ein Bewusstseinswandel. „Wachstum um jeden Preis“ ist einer der zentralen Glaubenssätze unserer Zeit, aber dieser Satz zerfällt vor unseren Augen zu Staub. Die Zukunft mag dunkel vor uns liegen, aber Ungewissheit, Stress, Verlorenheit gehören zu dieser Geschichte des tiefgreifenden Wandels.3 Ist die Welt ein Schlachtfeld? Ist sie eine Falle? Oder könnte sie eine Geliebte sein? Fragen, die Joanna Macy stellt. Die Kirche hat eine Zukunft, wenn sie diesen Wandel begleitet.

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