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James, »daß du gar nicht dünner wirst.«

      Swithins helle runde Augen quollen bei der Anstrengung hervor, die das Hören ihm bereitete.

      »Dünner? Ich bin ganz zufrieden,« sagte er und neigte sich etwas vor, »nicht so ein Zwirnsfaden wie du!«

      Aber in der Furcht etwas von seiner Stattlichkeit einzubüßen, nahm er wieder seine unbewegliche Haltung an, denn ihm ging nichts über eine distinguierte Erscheinung.

      Tante Ann ließ ihre alten Augen von einem zum andern schweifen. Ihr Blick war ernst und mild. Die drei Brüder wiederum blickten Tante Ann an. Sie begann klapprig zu werden. Eine wunderbare Frau! Bald sechsundachtzig, und konnte gut noch zehn Jahre länger leben, dabei war sie nie sehr kräftig gewesen. Swithin und James, die Zwillinge, waren erst fünfundsiebzig, Nicholas ein wahres Baby an die siebzig. Alle waren gesund und die Aussichten darum tröstlich. Von allem Besitz lag ihre Gesundheit ihnen natürlich am meisten am Herzen.

      »Mir geht's eigentlich recht gut,« fuhr James fort, »aber meine Nerven sind nicht in Ordnung. Die geringste Kleinigkeit ärgert mich zu Tode. Ich werde nach Bath gehen müssen.«

      »Bath!« sagte Nicholas. »Ich hab's mit Harrogate versucht. Das hat gar keinen Zweck. Ich brauche Seeluft. Es geht nichts über Yarmouth. Wenn ich dort bin, schlafe ich –«

      »Mit meiner Leber steht's schlimm,« unterbrach ihn Swithin langsam. »Scheußliche Schmerzen hier,« und er legte die Hand auf die rechte Seite.

      »Mangel an Bewegung,« brummte James mit einem Blick auf die Porzellanschale. Schnell fügte er hinzu: »Habe da auch Schmerzen.«

      Swithin wurde rot, sein altes Gesicht erinnerte an einen Truthahn.

      »Bewegung!« sagte er. »Die hab ich reichlich. Ich benutze nie den Fahrstuhl im Klub.«

      »Davon wußte ich nichts,« fiel James ein. »Ich weiß überhaupt von nichts; mir sagt keiner was.«

      Swithin glotzte ihn an und fragte:

      »Was tust du gegen die Schmerzen da?«

      James leuchtete auf.

      »Ich,« begann er, »ich nehme eine Mischung von –«

      »Wie geht's, Onkel!«

      June stand mit ausgestreckter Hand vor ihm und reckte ihr resolutes Gesichtchen empor zu dem seinen.

      Das Leuchten in James Gesicht erlosch.

      »Guten Tag,« sagte er unwirsch. »Du willst also morgen nach Wales, um die Tanten deines Verlobten zu besuchen? Da regnet es immer.« Er beklopfte die Schale: »Dies ist kein echtes altes Worcester. Das Service, das ich deiner Mutter zur Hochzeit schenkte, das war echt.«

      June schüttelte ihren drei Großonkeln der Reihe nach die Hand und wandte sich darauf zu Tante Ann. Ein inniger Ausdruck war in das Gesicht der alten Dame gekommen, sie küßte dem Mädchen die Wange mit zitternder Inbrunst.

      »Nun, mein Kind,« sagte sie, »du willst also auf einen ganzen Monat fort?«

      Das junge Mädchen ging weiter, und Tante Ann sah der zierlichen kleinen Gestalt nach. Die runden, stahlgrauen Augen der alten Dame, die sich wie bei einem Vogel mit einem Häutchen zu überziehen begannen, folgten ihr nachdenklich durch das lärmende Gedränge, denn die Gesellschaft fing gerade an aufzubrechen; und ihre Fingerspitzen preßten sich in erneuter Anspannung ihrer Willenskraft wie zur Abwehr gegen jene unabwendbar letzte Reise immer fester an einander.

      »Ja,« dachte sie, »es waren alle sehr freundlich; so viele kamen, um ihr zu gratulieren. Sie müßte so recht glücklich werden.«

      Von den Gästen, die sich an der Tür drängten – lauter gutgekleidete Leute aus den Kreisen von Juristen, Ärzten, Kaufleuten und andern zahllosen Berufen des bessern Mittelstandes – waren nur etwa zwanzig Prozent Forsytes. Aber Tante Ann schien alle als Forsytes zu betrachten – und ein großer Unterschied war allerdings auch nicht vorhanden – sie sah nur ihr eigen Fleisch und Blut. Die Familie, das war ihre Welt, und für sie gab es keine andere, hatte es vielleicht nie eine andere gegeben. Alle ihre kleinen Geheimnisse, Krankheiten, Verlobungen und Heiraten, wie sie vorwärts kamen und ob sie Geld verdienten: alles dies war ihr Eigentum, ihre Freude, ihr Leben; darüber hinaus gab es nur einen vagen, schattenhaften Nebel von Ereignissen und Personen ohne eigentliche Bedeutung. Das würde sie eines Tages aufgeben müssen, wenn die Reihe zu sterben an sie kam; das gab ihr dieses Ansehen, jenes geheime Selbstgefühl, ohne das keiner von uns das Leben erträgt; und daran klammerte sie sich inbrünstig mit einer täglich wachsenden Gier. Wenn das Leben ihr auch entglitt, das wollte sie bis zum Ende behalten.

      Sie dachte an den jungen Jolyon, Junes Vater, der mit der Ausländerin durchgegangen war. Das war ein Schlag für seinen Vater und sie alle. Solch ein vielversprechender Junge! Ein harter Schlag, wenn es auch glücklicherweise zu keinem öffentlichen Skandal gekommen war, da Jo's Frau keine Scheidung gewollt hatte! Es war lange her! Und als Junes Mutter vor acht Jahren starb, hatte Jo jene Person geheiratet, und sie hatten jetzt zwei Kinder, wie sie gehört. Dennoch hatte er sein Recht verwirkt hier zu sein, hatte sie um die höchsten Erwartungen betrogen, die der Familienstolz in ihr erweckt, und sie der Freude beraubt, ihren Liebling, solch einen vielversprechenden Jungen, auf den sie so stolz gewesen, zu sehen und zu küssen! Dieser Gedanke zehrte mit der Bitterkeit lang erlittenen Unrechts an ihrem zähen alten Herzen. Ihre Augen wurden feucht und sie trocknete sie verstohlen mit einem Taschentuch aus feinstem Batist.

      »Na, Tante Ann?« sagte eine Stimme hinter ihr.

      Soames Forsyte, flachschultrig, glattrasiert, schmalwangig und engbrüstig, aber doch etwas geschlossen Vornehmes über seiner ganzen Erscheinung, sah schräg auf Tante Ann herab, als versuche er durch seine eigene Nase zu sehen.

      »Und was sagst du zu dieser Verlobung?« fragte er.

      Tante Anns Augen ruhten mit Stolz auf ihm. Als der Älteste ihrer Neffen seit dem Verschwinden des jungen Jolyon aus dem Familienkreise, war er jetzt ihr Liebling, denn in ihm erkannte sie einen treuen Heger der Familienseele, die ihrer Obhut so bald entrissen werden sollte.

      »Sehr erfreulich für den jungen Mann,« sagte sie, »er sieht übrigens gut aus. Aber ich weiß nicht, ob er so ganz der Rechte ist für unsere June.«

      Soames befühlte den Rand eines vergoldeten Kronleuchters.

      »Sie wird ihn zähmen,« sagte er, indem er seinen Finger heimlich naß machte und an den höckrigen Buckeln rieb. »Das ist echte alte Vergoldung, so was gibt es heute gar nicht mehr. Der brächte einen guten Preis bei Jobson.« Er sprach mit Behagen, als fühle er, daß er die alte Tante aufheitere. Er war selten so mitteilsam. »Ich wollte, er gehörte mir,« fügte er hinzu, »alte echte Sachen wird man jederzeit gut los.«

      »Du verstehst dich so gut auf solche Dinge,« sagte Tante Ann. »Und wie geht es Irene?«

      Soames' Lächeln erstarb.

      »O, ganz gut,« sagte er. »Sie klagt über schlechten Schlaf, dabei schläft sie viel besser als ich,« und er blickte zu seiner Frau hinüber, die an der Tür mit Bosinney sprach.

      Tante Ann seufzte.

      »Vielleicht wäre es besser,« sagte sie, »wenn sie nicht so viel mit June zusammensteckte. Sie ist ein so ausgesprochener Charakter, die liebe June!«

      Soames stieg die Röte ins Gesicht; sie flog über seine schmalen Wangen und setzte sich als Merkmal quälender Gedanken zwischen den Augen fest.

      »Ich weiß nicht, was sie an dem kleinen Irrwisch findet,« entfuhr es ihm, doch als er merkte, daß sie nicht länger allein waren, drehte er sich um und fing wieder an, den Kronleuchter zu untersuchen.

      »Ich höre, Jolyon hat ein neues Haus gekauft,« sagte seines Vaters Stimme dicht neben ihm; »er muß einen Haufen Geld haben – mehr, als er zu gebrauchen weiß! Am Montpellier Square, sagen sie, dicht neben Soames! Mir hat keiner was davon gesagt – Irene sagt mir nie was!«

      »Ausgezeichnete

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