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Amt, Berlin. Blitzschnell, noch vor Veröffentlichung der Note Andrássys mit der Bitte um einen Separatfrieden, reagiert die deutsche Regierung auf die neue Situation: In einem Telegramm des Auswärtigen Amtes an Staatssekretär von Hintze bei der Obersten Heeresleitung wird angeregt, nunmehr verstärkt den Kontakt mit der Provisorischen Nationalversammlung „Deutschösterreichs“ zu suchen. Die Nationalversammlung solle Kundgebungen zugunsten des Waffenbündnisses mit dem Deutschen Reich veranstalten und dadurch Druck auf die Regierung Lammasch ausüben – immer klarer zeigt sich, dass Berlin bereits mit dem Entstehen eines neuen Staates an der Donau spekuliert und dieses Szenarium auch konsequent weiterdenkt: Der Gedanke eines „Anschlusses“ Deutschösterreichs an das Deutsche Reich nach Kriegsende wird als konkrete Möglichkeit ins Auge gefasst, Botschafter Graf Botho von Wedel in Wien dazu angehalten, den deutschösterreichischen Abgeordneten diese Lösung – von der viele träumen – als „Belohnung“ für ihre Loyalität in Aussicht zu stellen. Wedel, seit 1916 Vertreter des Deutschen Reichs in Wien, nimmt sich vor, noch an diesem Tag Dr. Victor Adler, den für außenpolitische Fragen zuständigen Mann im Vollzugsausschuss der Provisorischen Nationalversammlung, entsprechend zu instruieren.

      Der Gedanke, dass man die deutschsprachigen „Landsleute“ in Österreich-Ungarn nach dem Zusammenbruch der habsburgischen Herrschaft vielleicht schützen werden müsse, geht natürlich einher mit ersten Überlegungen, deutsche Truppen in Österreich einmarschieren zu lassen. Immerhin versucht das Auswärtige Amt sofort die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen: Zehn Millionen Mark für Geheimunternehmungen in Österreich-Ungarn werden vom Finanzministerium beantragt …

      Die Deutschen fühlen sich verraten und hintergangen: Über die Absicht Andrássys und Kaiser Karls, bei der Entente mit der Bitte um einen Separatfrieden einzukommen, werden Botschafter Wedel und General August von Cramon, der bevollmächtigte deutsche General beim k. u. k. Armeeoberkommando, bereits Sonntag früh von Major Fleck vom AOK aus Baden telefonisch verständigt. Fleck beruft sich auf eine Mitteilung von Generalstabsmajor Edmund Glaise von Horstenau, der als Informant den Deutschen schon oft hervorragend gute Dienste geleistet hat. Als überzeugter Anhänger des Bündnisses mit Deutschland sehe dieser nun keinen anderen Ausweg, als die deutsche Militärmission über die Pläne der österreichisch-ungarischen Führung zu informieren. Graf Wedel begibt sich auf diese Nachricht hin ins Außenministerium und verlangt Aufklärung, Andrássy beruhigt den Botschafter und legt ihm den Entwurf zur beabsichtigten Note vor – der Text scheint Wedel unbedenklich, Glaise von Horstenau, so meint er, hätte diesmal übereilt gewarnt. Was er allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Karls Außenminister hat ihm nur die halbe Wahrheit mitgeteilt, dem Entwurf fehlt der entscheidende letzte Satz, in dem die Wiener Regierung sich bereit erklärt, in Friedensverhandlungen einzutreten, „ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten“ – in den Augen der Deutschen offener Verrat am Bündnis, ein Treubruch, der letztlich Österreichs Untergang nicht verzögern werde.

      Verwundert müssen die Deutschen feststellen, dass selbst Generalstabschef Arz nicht in die Beratungen über die Textierung der Note miteinbezogen, ja, erst am späten Abend des 27. durch einen Telefonanruf des Kaisers über deren Existenz informiert worden ist und ihren genauen Inhalt mühsam im Außenministerium erfragen musste.

      Während man in Berlin bereits darüber nachdenkt, wie man aus dem Zerfall Österreich-Ungarns noch rasch Kapital für sich selbst schlagen könnte, beginnt es sich auf den dunklen Straßen der Haupt- und Residenzstadt Wien, in denen ansonsten nur der Marschtritt der allgegenwärtigen Militärpatrouillen zu hören ist, zu regen: Die ersten Menschen treffen vor Bäckereien und Brotgeschäften ein, um im Wettlauf um ein bisschen Brot eine günstige „Warteposition“ zu ergattern. Ab halb drei Uhr, so hat die Wiener Polizeidirektion verfügt, ist es gestattet sich anzustellen. In Viererreihen, fest vermummt gegen die durchdringende Nachtkälte, warten die Unentwegten im fahlen Licht der Bogenlampen – wer jetzt einen Platz besetzt in der Reihe der grauen Gestalten, hat die Aussicht in über vier Stunden, etwa um 6 Uhr 45, zum ersehnten Brot zu kommen. Erfahrene „Schlangensteher“ haben vorgesorgt und ihr „Feldstockerl“ mitgebracht, auf dem sie im Sitzen vor sich hindösen.

      Gegen 6 Uhr 15 werden sich endlich die Türen öffen. Zu viert, so wie sie angestellt sind, werden sie auch eingelassen. In einer knappen Stunde werden die Vorräte weg sein, und an der Tür wird der ominöse Zettel Ausverkauft erscheinen. Aber zahlreiche Menschen werden noch dastehen und haben weder Brot noch Mehl bekommen – für sie gilt es auszuharren, auf die nächste Nacht und den nächsten Morgen zu hoffen, auf die nächste Warteschlange …

      Freilich gibt es auch viele Menschen in Wien, die sich ihr Brot nicht selbst „organisieren“ müssen, die auch ohne „Brotkarte“ kaum Mangel leiden. Der Krieg lässt nun die Gegensätze zwischen Notleidenden und Wohlhabenden immer deutlicher hervortreten, er lässt Neid und Missgunst wachsen, den Hass auf jene, denen es besser geht oder von denen man glaubt, dass es ihnen besser geht …

      Monte Pertica im Grappa-Massiv. Nach drei schlaflosen Nächten haben die Überlebenden des Kärntner Infanterieregiments Graf von Khevenhüller Nr. 7 endlich etwas Ruhe gefunden. Der Wahnsinns-Angriff zur Rückeroberung des verlorenen Gipfels, eines der am heftigsten umkämpften im Umfeld des Monte Grappa, hat am 27. Oktober in einem Blutbad geendet: 862 Mann und 35 Offiziere sind tot, nur etwa 400 haben das Gemetzel überlebt. Da im so genannten „Südlager“ alle Kavernen besetzt sind, bleibt dem letzten Häuflein getreuer Khevenhüller nichts anderes übrig, als sich aufzuteilen und bei den Kameraden von anderen Einheiten Unterschlupf zu suchen. Ein Ausharren in ungeschützter Stellung wäre tödlich: Vor allem die eigene Artillerie ist es, die immer wieder Opfer fordert. Vergeblich bemüht sich Hauptmann Dr. Norbert Assam dies zu ändern – das Abschießen grüner Leuchtraketen hilft ebenso wenig wie das Toben am Telephon. Vierzehn Verwundete werden an diesem Tag zu beklagen sein, am 29. jedoch 70 Tote: Das verlustreiche Kurzfeuer der Vortage steigerte sich zeitweise geradezu zum Trommelfeuer. Mit gellendem Krachen barsten schwere, tempierte Granaten über dem Südlager, haushoch stieg die Erde empor beim Einschlagen schwerer Geschosse. Maschinengewehre gingen in Trümmer, die restlichen Infanteriegeschütze wurden zerschlagen, wachsbleich mit zerspellter Stirn lagen Tote überall umher und vermehrten die Anzahl derer, die längs des Weges zum Nordlager in langen Reihen geschlichtet lagen wie Brennholz …

       Schuss um Schuss auf die feindlichen Linien: österreichische Geschützstellung in einer Kaverne.

      Bes, Südtirol, Regimentskommando des 4. bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments. Die seit dem 23. Oktober auftretenden Gehorsamsverweigerungen bei der bosniakischen Elitetruppe in der Südtiroler Etappe lassen sich nicht mehr, wie vom Heeresgruppenkommando in Belluno gewünscht, intensivst disziplinieren. Die Männer mit dem Fez, deren außergewöhnliche Tapferkeit im Kampf sprichwörtlich ist, sind seit der Verlautbarung des kaiserlichen „Völkermanifests“ vom 16. Oktober wie ausgewechselt. Sie klagen darüber, dass der Kaiser sie mit dieser Erklärung an die Ungarn ausgeliefert habe, allen anderen Völkern der Monarchie sei ihr Recht geworden, nur den Bosniern nicht. Ihre Zukunft sei damit völlig ungewiss, dazu komme, dass die Unterhaltsbeiträge an ihre Familien nur schleppend ausbezahlt würden, auf ihren Höfen werde alles requiriert, was nur irgendwie verwertbar sei; ohne Männer würden die Felder verkommen. Nicht zuletzt sei auch die Verpflegung bei weitem unzureichend, ihre Uniformen zerrissen und zerfetzt. Sollten sie nun an der Front fallen, so wären ihre Familien dem sicheren Untergang geweiht.

      Hauptmann Gyebic trifft beim Regimentskommando in Bes zur vereinbarten Situationsmeldung ein und berichtet, dass es weiterhin unmöglich sei, die Meuterer, die zwischen Cugnach und Carmegn versammelt seien, zur Einsicht zu bewegen. Sie seien entschlossen nicht mehr in Stellung zu gehen und sie würden auch nicht zulassen, dass einzelne Einheiten des Regiments zum Straßenbau abgetrennt würden. In ein bis zwei Tagen, so ihre klare Forderung, möchte man in die Heimat abtransportiert werden. Oberst Leo Kuchynka, der Kommandant der Truppe, ist ratlos. Er glaubt, dass die Rebellion von langer Hand vorbereitet

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