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Frage, verneinte der Generaloberst. „Hat er Ihnen nicht die Note gesendet?“ Wieder musste Arz verneinen, bewahrte aber Fassung und versicherte Karl, dass er sich sofort an den Minister des Äußeren wenden werde. Um 21 Uhr hat er schließlich die fragliche Note in Händen, liest sie einmal, dann noch einmal, gibt sie an Generalmajor Alfred von Waldstätten, den Chef der Operationsabteilung im Generalstab, weiter, dann auch an den eben beim Armeeoberkommando anwesenden Grafen Trautmannsdorf aus dem Ministerium des Äußeren. Arz, der überzeugte Anhänger des Bündnisses und der Gemeinsamkeit mit Deutschland, ist konsterniert, kann zunächst nicht glauben, was er da schwarz auf weiß vor sich sieht: Gespräche über den Frieden werden angeboten, „ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten“. Ein Affront für das mit Österreich-Ungarn verbündete Deutsche Reich! Waldstätten und Trautmannsdorf sehen die Dinge nicht so tragisch, versuchen die Bedenken des Generalstabschefs zu zerstreuen, wobei zur Sprache kommt, dass die Note der Regierung an US-Präsident Woodrow Wilson bereits abgegangen ist – ein nächster Schlag für Arz, der so erfahren muss, dass man ihn bei der Beratung und Abfassung des Textes einfach übergangen hat! Er beklagt sich bei Andrássy, der ihm jedoch kühl mitteilt, dass er es nicht für notwendig gehalten habe, die diplomatischen Details der Durchführung mit dem Generalstabschef zu besprechen, da er, Arz, sich bereits für Waffenstillstand und Frieden ausgesprochen habe. Außerdem habe man auch den deutschen Botschafter über den Inhalt der Note vor ihrer Absendung informiert, der Kaiser selbst habe bereits am 26. von Gödöllö aus ein Telegramm an den deutschen Kaiser Wilhelm II. geschickt, in dem er seinen Waffenbruder über diesen Schritt informiert habe. Arz muss die Erklärungen des Ministers akzeptieren, ahnt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, dass ihm der wendige Diplomat in einem Punkt nicht die ganze Wahrheit gesagt hat … Auch vom Telegramm Karls an den Hohenzoller in Berlin hat Arz nicht gewusst, auch das ein Punkt, der schmerzt: Er, der verantwortlich ist für Erfolg und Misserfolg der Armeen, wird von seinem Obersten Kriegsherrn nicht über jeden Schritt informiert! Erst jetzt erfährt er den Wortlaut der Depesche, mit der Karl seinen Entschluss zu einem Separatfrieden angekündigt hat: „Teuerer Freund!

      Es ist meine Pflicht, Dir, so schwer es mir auch fällt, zur Kenntnis zu bringen, dass mein Volk weder imstande noch willens ist, den Krieg weiter fortzusetzen.

      Ich habe nicht das Recht, mich diesem Willen zu widersetzen, da ich nicht mehr die Hoffnung auf einen guten Ausgang hege, für welchen die moralischen und technischen Vorbedingungen fehlen, und da unnützes Blutvergießen ein Verbrechen wäre, das zu begehen mir mein Gewissen verbietet.

      Die Ordnung im Innern und das monarchische Prinzip sind in der ernstesten Gefahr, wenn wir dem Kampf nicht sofort ein Ende bereiten.

      Selbst die innigsten bundesbrüderlichen und freundlichsten Gefühle müssen vor der Erwägung zurückstehen, dass ich den Bestand jener Staaten rette, deren Geschick mir die göttliche Vorsehung anvertraut hat.

      Deshalb kündige ich Dir an, dass ich den unabänderlichen Beschluss gefasst habe, innerhalb vierundzwanzig Stunden um einen Separatfrieden und um einen sofortigen Waffenstillstand anzusuchen.

      Ich kann nicht anders, mein Gewissen als Herrscher befiehlt mir also zu handeln.

      In treuer Freundschaft

      Karl“

      Wilhelm II. hatte auf diesen „Verrat“ sofort reagiert, Karl telegrafisch beschworen, nur im Einvernehmen mit der deutschen Regierung die Verhandlungen mit den USA fortzuführen – vergeblich. Karl, der sich so oft den Wünschen Berlins gebeugt hatte, der nach der Sixtus-Affäre im April 1918 in völlige Abhängigkeit von der deutschen Führung geraten war, sah nun, in der Stunde der Verzweiflung, nur mehr die Rettung der Monarchie und seines Throns als Ziel. Gemeinsam mit Andrássy tüftelt man an den Formulierungen, der Entwurf geht auch an die designierten Regierungsmitglieder Lammasch, Ignaz Seipel und Josef Redlich, die zu Mittag im Büro von Julius Meinl darüber beraten. Sonntagabend entscheidet man sich am Ballhausplatz endgültig für die Absendung der Note, die über Stockholm nach Washington befördert wird; ihr endgültiger Text, der noch während der Nacht die führenden Männer der Mittelmächte in helle Aufregung versetzen wird, lautet schließlich:

      „In Beantwortung der an die österreichisch-ungarische Regierung gerichteten Note des Herrn Präsidenten Wilson vom 18. des Monats und im Sinne des Entschlusses des Herrn Präsidenten mit Österreich-Ungarn abgesondert über die Frage des Waffenstillstands und des Friedens zu sprechen, beehrt sich die österreichisch-ungarische Regierung zu erklären, dass sie, ebenso wie den früheren Kundgebungen des Herrn Präsidenten, auch seiner in der letzten Note enthaltenen Auffassung über die Rechte der Völker Österreich-Ungarns, speziell jene der Tschechoslovaken und Jugoslaven, zustimmt.

      Da sonach Österreich-Ungarn sämtliche Bedingungen angenommen hat, von welchen der Herr Präsident den Eintritt in Verhandlungen über den Waffenstillstand und den Frieden abhängig gemacht hat, steht nach Ansicht der österreichischungarischen Regierung dem Beginne dieser Verhandlungen nichts mehr im Wege.

      Die österreichisch-ungarische Regierung erklärt sich daher bereit, auch ohne das Ergebnis anderer Verhandlungen abzuwarten, in Verhandlungen über einen Frieden zwischen Österreich-Ungarn und den gegnerischen Staaten und über einen sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten Österreich-Ungarns einzutreten und bittet den Herrn Präsidenten Wilson, die diesfälligen Einleitungen zu treffen.“

      So gut gemeint die Note an Wilson auch ist – sie wird beim Präsidenten und seinen Beratern, vor allem bei Robert Lansing, US Secretary of State, und bei „Colonel“ Edward House, seinem Europa-Spezialisten, keinerlei Eindruck mehr machen. Die Amerikaner sind auf dieses Angebot der Österreicher längst nicht mehr angewiesen, der Vielvölkerstaat an der Donau ist für sie so oder so „erledigt“, die Verbündeten, allen voran Italien, wollen den Lohn für ihre Opfer kassieren. Eine geradezu explosive Wirkung entfaltet diese Note dagegen auf die politische Lage im Inneren der Monarchie. Wieder einmal hat Kaiser Karl genau das Falsche veranlasst: Anstatt zur Entspannung beizutragen, wird die Note Andrássys den Zerfall seines Reiches schon in wenigen Stunden in verhängnisvoller Weise extrem beschleunigen …

      Während Arz von Straußenburg und die Stabsoffiziere in den Kommandozentralen noch über die fatalen Folgen der Wiener Politik für ihre Militärmaschinerie sinnieren, lassen die Alliierten nicht locker. Sie sind fest entschlossen, ihre drei am 27. erkämpften Piave-Brückenköpfe bei der Grave di Papadopoli, bei Sernaglia und bei Pederobba, wo der Fluss aus den Bergen in die Tiefebene tritt, weiter auszudehnen. Der Befehl für die 10. Armee von Lord Cavan, dem 10. Earl of Cavan, lautet unmissverständlich: Der Angriff wird am 28. fortgesetzt …

      Südlich des Dörfchens Fontigo hat die reißende Strömung des aufgrund der Regenfälle in den vorangegangenen Tagen noch immer Hochwasser führenden Piave die drei Brücken über den Fluss teilweise zerstört; italienische Pioniere arbeiten in tiefer Dunkelheit fieberhaft an ihrer Wiederherstellung. Für die Truppen der italienischen 8. Armee unter Generalleutnant Enrico Caviglia, die im Morgengrauen des Vortags über den Fluss gegangen sind und im überraschenden Angriff bis Sernaglia bzw. zum Soligobach vordringen konnten, ist die Verbindung lebenswichtig, da die Munition im Brückenkopf am linken Piaveufer bereits knapp wird und die Versorgung aus der Luft nicht effizient genug ist.

      Knapp nach Mitternacht ist es so weit: Die Brücken sind wieder passierbar; österreichisch-ungarische Stellungsartillerie, die die Übergänge unter Beschuss nehmen könnte, ist nicht mehr vorhanden, da die Geschütze der 11. Honvédkavalleriedivision und der 12. Reitenden Schützendivision, die diesen Abschnitt verteidigten, in den Gefechten des Vortags bereits verloren gegangen sind. Dramatisch die Verluste bei den Mannschaften: Die Zahl der Toten, Vermissten und Verwundeten am 27. Oktober erreicht bei der 12. Reitenden Schützendivision 40 % des Standes, in die weiteren Kämpfe wird man nicht mehr entscheidend eingreifen können. Um die Italiener an einem weiteren Vordringen aus dem Brückenkopf Sernaglia zu hindern, hat man sich buchstäblich aufgeopfert, gewonnen hat man allerdings nur etwas Zeit – Zeit, die letztlich doch wieder vom Feind besser genützt werden kann. Nachschub und Verstärkungen rollen nun über den Piave: die italienische 60. Infanteriedivision und Teile der 66.; doch die Belastung für die notdürftig instand gesetzten Brücken ist zu groß; noch bevor es Tag wird, sind sie wieder

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