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aber in zehn Jahren hätte er vielleicht deinen Sportwagen repariert. Alles Schatten einer anderen Welt …

      Ein Schluchzen schüttelt ihre Schultern. Was soll das bitte heißen?

      +

      Ich will dir etwas zeigen, reiche ich ihr die Hand; und Ava lässt sich auf den Balkon hinausführen. Der Abend ist kalt und regnerisch. Noch Verkehr um die Uhrzeit, vielleicht ein Konzert im Stadion, zu dem sie hinfahren, angezogen wie Motten vom Licht. Eine Ampel schaltet auf Grün.

      Sieh sie dir an, die vielen Menschen in der Großstadt … aber leben sie wirklich, oder imitieren sie ein Leben? Das Lächeln als Mimikry? Die Träume auf Raten?

      Was?, fragt sie verwirrt.

      Schau hin.

      Auf dem Bürgersteig halten sie ihre Köpfe gesenkt, die Kapuzen hochgeschlagen; Regenschirme glänzen wie aus schwarzem Chitin. Eine gesichtslose Menge. Eine Masse von Leibern. Man konkurriert und setzt sich durch, die Ellenbogen raus! Jeder gegen jeden. Ach, sie lieben ihre Hierarchien in den kleinen Babeltürmen: Nach oben buckeln, nach unten treten, während man die Karriereleiter erklimmt, Stockwerk für Stockwerk, um oben, ganz weit oben, vom Dach zu springen, völlig ausgebrannt und verzweifelt: Es ist so einsam an der Spitze.

      Nach der Uni eine Reise als Rucksacktourist, um sich selbst zu finden, und dann … erst Autos, dann Häuser … Die Kinder sind himmelblau oder pink im Casinospiel des Lebens. Oder Monopoly. Oder Fußballspiele um einen albernen Goldpokal. Die Castingshows im Fernsehen.

      Ich verstehe nicht …

      Der Mensch ist so viel wert, wie er verdient! Man trägt sein Gehalt wie ein Preisschild am Leib, obgleich jeder Körper spottbillig ist: nur heiße Luft und Wasser, die paar Metalle – jeder eine schlecht konstruierte Maschine. Parfümierte Affen und Schweine, diese Helden der Arbeitsfront: Wie Orden tragen sie ihre Überstunden an stolzgeschwellter Brust, doch ihre Augen sind blutunterlaufen, die Wangen grau, die Zähne gelb vom Rauchen und zu viel Kaffee. Sie sind schwach.

      Was redest du da?

      Was uns absolut berechtigt, sie als Beute zu reißen; wir, die Jäger – wir sind die Alphatiere, die diesem Naturgesetz folgen: fressen oder gefressen werden. Wir sind unter ihnen, außerhalb, beobachten sie mit Raubtieraugen. Wir sind die Stärksten, machen die Regeln, bestimmen, was geschieht. Verstehst du‽ Der Alkohol kratzt mich auf.

      Sie starrt auf die Lichter, auf den Wechsel von Rot zu Grün, bevor die Kolonne weiterruckelt.

      Sag schon.

      Statt zu antworten, lässt mich Ava einfach stehen, entzieht sich mir, als sie zurück ins Zimmer wankt. Ich laufe ihr nach. Hey!

      +

      Der Sessel, das Sofa. Eine Kerze flackert und verlischt. Was geschieht mit mir?, fragt sie nach langem Schweigen.

      Du stirbst. Nein, du verwandelst dich – oder wirst verwandelt.

      Von wem?

      Von was, ist die korrekte Frage. Ich schwenke den Wodka, ein letzter Eiswürfel klirrt; mehr war nicht im Kühlschrank. Habe die Formschale unterm Wasserhahn aufgefüllt und wieder reingestellt. Für später. Kennst du die Mythen? Vergiss das! Wie gut warst du in Biologie, und damit meine ich nicht das Pimmelbild im Schulbuch, wo ihr mit dem Lineal kichernd die Zentimeter nachgemessen habt.

      Hatte eine Drei in der letzten Klausur …

      Sollte reichen, griene ich und setze mich breitbeinig hin. Doch plötzlich bin ich müde, ihr Mentor zu sein, erneut den Vortrag zu halten.

      Und?

      Nichts, sage ich, massiere mir die Stirn. Also, hör zu …

      Ja?

      Das Übersinnliche gibt es nicht: diese schönen, gefallenen Engel oder Gott. Nein, nein. Es ist eine doppelte Krankheit, wenn du so willst: ein Bakterium, dazu ein Virus, beides wurde durch Fledermäuse übertragen wie Malaria und Tollwut, derart aggressiv, dass sie das Blut verseuchen, unser Verhalten verändern, die Muskulatur; unsere Zellen. Alles. Sie haben unsere Restriktionsenzyme angepasst, die unser Erbgut reparieren: Wir kriegen selten Krebs; dazu andere, genetische Besonderheiten, sodass wir kaum altern und schnell gesund werden.

      Wir sind robust, zäh und elegant, verführerisch durch unsere Präsenz, unsere Pheromone; und fast unsichtbar, sofern wir wollen, fast schneller als das Auge folgen kann: nur schlierige Konturen oder Schatten, auch auf Überwachungskameras.

      Dafür greift diese Krankheit unser Hämoglobin an, baut es ab, sodass wir ständig neues Blut brauchen oder dessen Bestandteile: für die rote Farbe, die den Sauerstoff bindet. Sonst ersticken wir. Auch die Körpertemperatur sinkt, weil unser Stoffwechsel dauernd in den Keller rutscht.

      Aber, sind wir unsterblich?

      Tut mir leid, auch das ist ein Mythos. Wir werden erwachsen, altern bis dreißig, fünfunddreißig, dann nicht mehr. Altere Vampire wurden später infiziert. Und wir werden steinalt, sofern uns nichts passiert. De Gruyter! Was will er? Ich verdränge den Gedanken.

      Ava, schläfrige Augen. Ah, verstehe.

      Wirklich?

      Mir schwirrt der Kopf …

      Sollen wir eine Pause machen?

      Nein.

      +

      Mit Weihrauch gesegnetes Weihwasser kann bei uns einen anaphylaktischen Schock auslösen, Atemnot oder eine schwere Nesselsucht: weiße Quaddeln auf der Haut, die brennen. Der Rest ist Hokuspokus, eine psychosomatische Reaktion oder ein Schutzreflex, den man zu unterdrücken lernt: Ein Kreuz trägst du selbst am Hals. In einen Spiegel willst du gerade nicht schauen, aber du siehst dich. Kannst dir also weiterhin die Augenbrauen zupfen …

      Okay.

      Ach, die Pflöcke: mehr Ritual als Notwendigkeit, um uns zu töten. Das Küchenmesser vom Shoppingkanal reicht aus. Haben wir alles? Nein, das Tageslicht. Stimmt, wir sind anfällig, viel zu grell ist der Tag, weil unsere Pupillen geweitet sind für die Nacht; doch erst im Sommer wird es kritisch … falls du hypersensibel bist wie Ruth: Kurz draußen gewesen, schon hat sie einen Sonnenbrand. Johann ist längst abgehärtet, ich nicht so sehr. Dafür sehen wir im Dunkeln besser als Katzen. Der Wodka brennt auf meiner Zunge.

      Miau, macht sie, und ich muss lachen.

      Sag es …

      Hm?

      Was wir sind!

      Vampire, sage ich. Parasiten. Wir sind der Tod, der dich findet.

      +

      Das Sterben ist dem Leben inhärent.

      Bitte?, fragt sie.

      Ich zeige auf einen Lavendelstrauß, der auf dem Fensterbrett verwelkt. Jede Blume, die man pflückt, wegen ihrer Schönheit, ihrem Duft, ist dem Tod geweiht.

      Die verblühen sowieso, ergänzt sie, und ihre Augen schimmern. Darum geht es doch, was?

      Ja, nicke ich; das ist das Sinnbild. Du hast verstanden.

      +

      Haben wir einen Puls?, fragt sie verstört.

      Ob dein Herz schlägt?, höhne ich. Na los, prüf es nach. Nur zu …

      Und sie legt zwei zittrige Finger in die Mulde an ihrem Hals, spürt das Pochen. Ja, seufzt sie erleichtert.

      Du bist nicht tot, nur verwandelt. Du siehst die Welt mit anderen Augen.

      +

      Blutdurst, hakt sie nach; wie im Splatterfilm?

      Mehr als einen Liter kannst du nicht schlucken, sonst musst du kotzen; also nichts mit aussaugen. Klar?

      Klar.

      Dazu das Fleisch. Wir ernähren uns von ihnen, sind Kannibalen oder … Zombies, falls dir das besser gefällt. Wir brauchen unsere Droge tagtäglich und wissen auch, warum: Das ist alles längst erforscht, durch wissenschaftliche

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