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den ins Rollen gebrachten Stein noch aufzuhalten. Nein, dafür waren selbst die größten Helden zu schwach.

      Artur Tschistokjow und der Führungsstab des Nationenbundes der Rus befanden sich inzwischen in einem Atombunker am Fuße des Uralgebirges, tief unter der Erde. Akira Mori, der japanische Außenminister, hatte den russischen Präsidenten um eine Unterredung gebeten. Er war sofort nach Russland geflogen, nachdem er die Nachricht vom Atombombenabwurf auf Berlin erhalten hatte. Mori machte keinen Hehl daraus, dass weder er noch Präsident Matsumoto wussten, wie sie auf die neue Situation reagieren sollten.

      Nun redeten und diskutierten die Männer schon seit Stunden über das Für und Wider eines atomaren Gegenschlages. Matsumoto hatte Tschistokjow ausrichten lassen, dass Japan einen nuklearen Schlagabtausch mehr als alles andere fürchtete und keineswegs bereit war, sich auf das Spiel der Weltregierung einzulassen. Der russische Staatschef hingegen betonte, dass es jetzt notwendig war, dem Feind die eigene Entschlossenheit zu beweisen.

      „Sie werden erst ruhen, wenn sie uns vernichtet haben. Das wird auch nicht der letzte Kernwaffenangriff des Weltverbundes sein, davon bin ich überzeugt. Wir müssen jetzt hart bleiben!“, meinte Tschistokjow verbittert, während ihn seine Getreuen und sein japanischer Gast verunsichert ansahen.

      „Aber ein derartiger Wahnsinn ist doch keine Lösung“, bemerkte ein General der Volksarmee.

      Der Anführer der Rus sah ihn an. „Was sollen wir denn tun? Warten, bis diese Verbrecher die nächsten Städte in Schutt und Asche legen? Sollen wir uns einfach abschlachten lassen, ohne uns zu wehren?“

      „Ich weiß nicht, was wir tun sollen“, bemerkte Wilden resignierend und starrte an Tschistokjow vorbei. „Ich gebe es offen und ehrlich zu: Diesmal bin ich mit meinem Latein am Ende.“

      Außenminister Mori saß mit versteinertem Gesicht auf einem Stuhl am anderen Ende des spartanisch eingerichteten Bunkerraumes. Er schwieg.

      „Der einfache Bürger des Weltstaates, wie auch der einfache Bürger des Nationenbundes, hat kaum eine Ahnung, wer oder was unsere Feinde wirklich sind. Er weiß nicht, wie ihre führenden Köpfe denken und welche Dogmen und Doktrinen ihr Handeln bestimmen.

      Diese Kräfte haben die Untugend zur Tugend erklärt, sie haben die Lüge zu ihrer Waffe gemacht und verehren sie als wirksames Kampfmittel gegen alle ihre Gegner. Wir sind jedoch die Eingeweihten, wir studieren ihre Pläne und Schriften seit vielen Jahren und haben ihre Teufelsfratzen schon lange hinter der Maske aus Verdrehung und Täuschung erkannt. Für diese Verbrecher sind wir nur die geborenen Sklaven, nichts weiter als Tiere, deren Tötung gemäß ihren Lehren nicht einmal eine Sünde darstellt.

      Sie halten sich für Auserkorene, die das Recht haben, alle Völker dieses Planeten zu unterjochen und notfalls auch zu vernichten, wenn sie sich zu wehren versuchen. Demnach dürfen wir nie vergessen, dass unsere Feinde selbst keinerlei Skrupel kennen und ihnen auch Millionen Menschenleben nichts bedeuten.

      Unser Wissen verpflichtet uns daher, so zu handeln, wie wir handeln müssen, um nicht unterzugehen. Wir müssen hart sein, denn bei diesem Gegner ist nichts anderes denkbar. Glaube mir, Thorsten, es fällt mir unglaublich schwer, mich auf die gleiche grausame Stufe zu stellen, wie unser Feind, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Sie lassen mir einfach keine andere Möglichkeit mehr. Möge Gott mir vergeben, bei dem, was ich jetzt anordnen muss!“, sagte Tschistokjow zu Wilden mit belegter Stimme.

      Dieser sagte nichts. Er schloss die Augen und strich sich mit der Hand durch seine schweißnassen Haare. Der alte Mann wusste, was ihm Artur Tschistokjow damit sagen wollte, und die anderen Anwesenden konnten sich ebenfalls denken, was als nächstes geschehen würde.

      „Artur Tschistokjow hat diese Sprache verstanden!“, hatte die Washington News Gazette am 15. Mai 2051 in ihrer Morgenausgabe verkündet. Damit spielte das Blatt auf die Tatsache an, dass sich die Volksarmee der Rus seit der Zerstörung Berlins immer weiter in die Gebiete östlich der verwüsteten Metropole zurückzog.

      Die von den Logenbrüdern kontrollierten Medien verhöhnten Tschistokjow lauthals und berichteten hämisch vom allgemeinen Rückzug seiner Truppen aus Mitteleuropa. Doch sie sollten sich einmal mehr in seiner Entschlossenheit täuschen. Das Oberhaupt des Nationenbundes war nämlich felsenfest davon überzeugt, dass nun Feuer mit Feuer bekämpft werden müsse.

      Die Weltregierung hatte mit der ohne jede Vorwarnung vollzogenen Auslöschung Berlins ein Tabu gebrochen, das zwischen den beiden Kriegsparteien stillschweigend im Raum gestanden hatte: Sie hatte in diesem Konflikt erstmals von Kernwaffen Gebrauch gemacht.

      Jetzt wollte Tschistokjow seinen Gegnern beweisen, dass auch der Nationenbund zu allem bereit war. London sollte das Ziel seiner nuklearen Vergeltung werden. Die englische Metropole, die seit langer Zeit eines der wichtigsten Machtzentren der internationalen Logenorganisation darstellte, sollte nun als Rache für den Angriff auf Berlin in Schutt und Asche gelegt werden. Viele von Tschistokjows Beratern und Freunden, genau wie der japanische Präsident Matsumoto selbst, hatten diesen gebeten, von einem derart brutalen Gegenschlag Abstand zu nehmen, doch der Anführer der Rus ließ sich nicht mehr beirren. Er betonte, dass seine Feinde bald ohnehin weitere Städte in Russland und Japan mit Atomraketen bombardieren würden.

      „Wir müssen hart sein!“, predigte Tschistokjow wieder und wieder.

      Längst hatte der russische Souverän seine Hauptstadt St. Petersburg, wo die Evakuierung der Millionenbevölkerung noch immer in vollem Gange war, mit seinem Führungsstab verlassen, um sich in einem riesigen Atombunker im Nordwesten des Uralgebirges zu verbergen. Hier wollte er ausharren – notfalls bis zum bitteren Ende eines Krieges, in dem nun auch die furchtbarsten Vernichtungswaffen eingesetzt wurden.

      Am 01.06.2051 erhielt der Weltverbund schließlich die Antwort auf die Zerstörung Berlins. Artur Tschistokjow ließ sieben Wasserstoffbomben auf verschiedene Gebiete des Londoner Ballungszentrums abfeuern. Es war gegen 5.00 Uhr morgens, als das Inferno über die noch verschlafene Stadt hereinbrach und riesige Atompilze mit unheimlichem Getöse in den blutroten Morgenhimmel wuchsen. Die Bevölkerung Londons war bisher nur zu einem geringen Teil in die außerhalb der Riesenstadt gelegenen Gebiete evakuiert worden, denn Jerry Diamond, der Sub-Gouverneur der britischen Inseln, hatte nicht ernsthaft mit einem atomaren Vergeltungsangriff des Nationenbundes gerechnet.

      Als die tosenden Feuerorkane der Massenvernichtungswaffen jedoch durch das Häusermeer Londons rasten, war es für die Bevölkerung zu spät. Über 8 Millionen Menschen starben bei dem grausamen Vernichtungsschlag, der den gesamten Ballungsraum rund um die größte Stadt Europas vollkommen dem Erdboden gleichmachte.

      Die Menschen in allen Erdteilen hielten den Atem an, als sie die Schreckensnachricht erfuhren; sie dachten mit Entsetzen daran, was sie erwartete, wenn sich nun beide Seiten in einer Kettenreaktion mit Atomwaffen beschossen. Inzwischen konnte niemand mehr daran zweifeln, dass der Dritte Weltkrieg, jener Alptraum, der die Menschheit seit über 100 Jahren quälte, endgültig begonnen hatte.

      Indes gingen auch die Kämpfe in Ostdeutschland unbarmherzig weiter. Über 2 Millionen GCF-Soldaten waren mittlerweile auf die Volksarmee der Rus getroffen und lieferten sich blutige Schlachten zwischen der Ostseeküste und der Grenze zu Tschechien. Zugleich gewannen die internationalen Streitkräfte auch im Süden Russlands immer mehr an Boden. Mitte Juni waren sie schon fast bis nach Wolgograd vorgedrungen.

      In Ostasien wurde Matsumotos Reich derweil zunehmend von der Kriegsflotte der Weltregierung unter Beschuss genommen, während sich Millionen Soldaten auf die Invasion Japans vorbereiteten.

      Julia meldete sich am anderen Ende der Leitung, sie hörte sich müde und traurig an. Die junge Frau stieß ein leises Seufzen aus und schwieg dann für einen Augenblick. Schließlich fragte sie: „Wie schlimm ist es bei euch da draußen?“

      „Jetzt ist hoffentlich erst einmal für ein paar Stunden Ruhe. Vielleicht bis morgen früh, dann marschieren wir weiter. Es ist immer das Gleiche: Vorrücken, kämpfen, verrecken. Ich warte noch auf die Entscheidung des Oberkommandos“, stöhnte Frank.

      „Friedrich hat ein Bild für dich gemalt“, antwortete Julia, bemüht, ihren Mann irgendwie aufzuheitern.

      „Das

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