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Fast alles, was er mir rät, ist entweder anstrengend oder es schmeckt nicht.

      Kompromissbereit aß ich zwei Schnitten Weißbrot und zwei Schnitten Graubrot.

      Beim Essen starrte ich mein Plakat an. Ich hatte die Taschenlampe so hingestellt, dass das Licht voll darauf fiel. »Eva Wylie«, stand darauf, »Die Londoner Killerqueen«.

      Auf dem Foto sah ich nach rechts in die Kamera. Ich war ganz in Schwarz und ließ meinen Bizeps spielen. Kein schlechter Bizeps, auch wenn ich es selber sage.

      »Brutal«, sagte ich zu mir. »Echt brutal.«

      Es gab mir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gab mir das Gefühl, real zu sein.

      Aber nach einer Weile sah ich nach unten in den Topf. Ich sollte nicht aus dem Topf essen, ich weiß, aber ich bin ja alleine, also macht es nichts. Die verkrusteten Eintopfreste auf dem Boden erinnerten mich irgendwie an die toten, von vielen Wagen plattgefahrenen Füchse auf der Straße.

      Ich fragte mich, wo wohl die Zeit geblieben war, und schon ging es mir nicht mehr so gut. Die Zeit macht das manchmal – offenbar spielt sie Bockspringen mit sich selber. Und dann fühlt man sich ganz verloren.

      Lineker bellte, also riss ich mich zusammen und sah nach, was anlag.

      Lineker ist ein schönes Tier. Nichts als Muskeln. Sein kurzes Fell ist so glänzend, dass es aussieht, als hätte ihn einer mit der Spraydose eingesprüht. Aber sein Bellen … irgendwie fistelig und übergeschnappt, wie die Stimme eines kleinen, rothaarigen Mannes.

      Ramses hat O-Beine und einen Stiernacken. Er bellt nicht oft, aber wenn er bellt, hört es sich an wie ein Elektrobass – eigentlich ziemlich melodisch, aber auch gefährlich.

      Vor dem Zaun standen zwei Jugendliche, die mit Stöcken nach Lineker stocherten. Lineker war total aus dem Häuschen. Aber Ramses stand im Dunkeln und wartete.

      Wenn du zwei Jungs auf einem Haufen siehst, hast du zwei Leute vor dir, die was im Schilde führen. Das weiß jedes Kind. Ich wette mit dir um einen Wochenlohn, dass drei Viertel von allem Unheil auf dieser Welt von männlichen Jugendlichen im Alter zwischen acht und achtzehn Jahren angerichtet wird.

      Was soll’s? Solange sie in meinem Revier nichts anrichten, kann es mir egal sein.

      Ich sagte: »Ihr seid aber spät noch unterwegs.« Bloß nichts überstürzen, das ist die Devise. Ich hätte sie sofort wegjagen können, aber ich behielt meine relaxte mentale Einstellung bei. Wenigstens mal jemand, mit dem man reden konnte.

      Der Bursche mit dem Stock trat vom Zaun weg. Sein Kumpel sagte: »Wir haben bloß mit dem Hund geredet.«

      »Seid lieber vorsichtig«, sagte ich. »Er ist ziemlich bösartig.«

      »Mein Bruder hat einen Dobermann«, sagte der Junge mit dem Stock zu niemand Bestimmtem. Sein Kumpel glotzte mich komisch an.

      »Du bist ja gar kein Kerl«, sagte er plötzlich. »Du bist ja ’ne Tussi.«

      »Das gibt’s doch nicht!«, sagte sein Kollege.

      »Ungelogen.«

      »Godzilla!« Er schmiss den Stock an den Zaun, und sie hauten ab. Lineker stürzte mit wütendem Gebell hinter ihnen her.

      »Verpisst euch, ihr Arschgesichter!«, brüllte ich.

      Eigentlich schade. Seit die Polizei die Mädels aus der Mandala Street umquartiert hat, ist es in dieser Ecke ein bisschen ruhig geworden. Ich hätte schon Glück haben müssen, wenn ich bis um halb acht, wenn ich den Männern den Platz aufsperrte, noch mit irgendwem ein Wort wechseln konnte.

      Die Typen reden nicht viel mit mir, aber sie respektieren mich.

      Sie respektieren mich aus zwei Gründen. Erstens – ich kann mit den Hunden umgehen. Zweitens – es sind keine Diebstähle mehr vorgekommen, seit ich hier das Kommando habe. Nicht ein einziger.

      Mehr erwarte ich auch gar nicht. Nur ein bisschen wohlverdienten Respekt.

      Ich wachte ungefähr um zwei Uhr nachmittags auf. Sonnenlicht quetschte sich durch die orangeroten Vorhänge, und im Hänger sah es aus, als ob es brannte.

      Die riesige Schrottpresse malmte und krachte, begleitet von der vertrauten Geräuschkulisse aus Geschepper, Gepolter und Männergeschrei.

      Auf einem Schrottplatz ist es nie zu leise zum Schlafen.

      Ich sprang auf und brachte rasch meine Dehnübungen hinter mich.

      Ich wollte meine Ma besuchen, und ich musste vor drei Uhr bei ihr sein.

      Das ist die beste Zeit, wenn du mit meiner Mutter reden willst, solange sie noch alle beisammen hat. Vor eins steht sie nicht auf, und ansprechbar ist sie erst, wenn sie den ersten Schnaps intus hat. Dann hat sie ein paar gute Stunden, aber danach geht es rapide bergab mit ihr, bis sie ungefähr um vier Uhr in der Früh wieder ins Bett geht.

      Sie hat es im Leben nicht leicht gehabt, also kannst du dir deine Vorwürfe sparen.

      Wenn man sagt, dass jemand es im Leben nicht leicht gehabt hat, stellt man sich doch einen alten Menschen vor, oder? Na los, du kannst es ruhig zugeben.

      Dabei ist meine Ma noch nicht mal vierzig, und sie könnte auch noch ziemlich gut aussehen, wenn sie nur ein bisschen auf sich achten würde. Wenn sie abends ausgeht, aufgedonnert und aufgetakelt wie ein Christbaum, sieht sie richtig knackig aus – wenn ihr das Licht nicht gerade ins Gesicht strahlt. Du glaubst es kaum, dass sie stockbesoffen ist und dass ihr schon in ein paar Stunden das Make-up verschmiert am Kinn klebt.

      Sie wohnt in einem Hochhaus, im zweiten Stock – was von Vorteil ist, weil nämlich der Aufzug nie funktioniert. Und wenn man bedenkt, in was für einem Zustand sie immer nach Hause kommt, würde sie die meisten Nächte auf der Treppe verbringen, wenn sie nur eine Etage höher wohnte.

      Der Wind pfiff trotzdem durchs Treppenhaus, und ziemlich eklig sogar, auch weiter unten. Ich klopfte bei ihr an und wartete.

      Als sie kam, öffnete sie die Tür nur einen Spalt und lugte hindurch wie ein verschrecktes Kaninchen. Jedes Mal, wenn sie die Tür aufmacht, sieht sie aus, als ob sie Angst hat, was mich bei ihrem Lebenswandel auch gar nicht wundert.

      Als hinter mir ein paar Kids auf dem Skateboard vorbeizischten, zuckte sie zusammen.

      »Komm lieber rein«, sagte sie und drehte sich um.

      Als sie an der Schlafzimmertür vorbeikam, zog sie sie zu. Das bedeutete, dass sie letzte Nacht einen Kerl an Land gezogen hatte, der noch immer seinen Rausch ausschlief.

      Wie schon gesagt, du darfst ihr keine Vorwürfe machen – irgendwie muss jeder zusehen, wie er das Geld für die Miete zusammenkriegt.

      Wir gingen in die Küche durch.

      Du denkst jetzt womöglich, dass es von allen Zimmern in diesem Loch, das meine Mutter ihr Zuhause nennt, in der Küche am schlimmsten aussieht. Falsch gedacht. Es sieht am besten aus. Und das erklärt sich ganz einfach dadurch, dass sie die Küche nie benutzt, höchstens mal, um sich eine Tasse Pulverkaffee aufzubrühen. Das Essen kommt in Mas Leben erst nach dem Trinken. Wenn sie Hunger hat, holt sie sich einen Hamburger.

      In der Küche sagte sie als Allererstes zu mir: »Wenn er reinkommt, sagst du, du bist meine Schwester, ja?«

      Ich lachte, und sie muss mir wohl irgendwas angemerkt haben, denn sie sagte: »Vergiss es – du bist eine Nachbarin.«

      Ich sagte: »Wo wir gerade von Schwestern reden …«

      »Fang bloß nicht wieder damit an«, fiel sie mir ins Wort. »Mir platzt der Kopf.«

      Ich setzte schweigend den Kessel auf und machte uns zwei Tassen Pulverkaffee. Sie holte eine Flasche aus dem Schrank unter der Spüle und kippte sich einen Schuss in die Tasse.

      »Nur damit es weggeht«, sagte sie. Sie kann das Lügen nicht lassen, meine Ma.

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