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sich der Charakter dieses Platzes seit Jahrhunderten nicht wesentlich verändert. Es gab zwar an den Straßen um den Marktplatz moderne Läden mit den bekannten Logos, die es in den Hauptstraßen der Städte im ganzen Land gab, aber sie befanden sich zwischen eher traditionellen Geschäften, die aussahen, als befänden sie sich schon seit Generationen dort. Es gab auf der einen Seite des Marktplatzes eine Pferdetränke und auf der anderen eine Postkutschenstation – beides erinnerte an Zeiten, als die Menschen noch mit Pferdekutschen und nicht mit Autos unterwegs waren. Bei seiner Ankunft herrschte emsiges Treiben auf dem Marktplatz, und viele Menschen saßen an Tischen in der Mitte des Platzes im Freien und tranken Kaffee. Alles kam ihm so gesetzt und behaglich vor, und er spürte instinktiv, dass er sich hier zu Hause fühlen würde. Mit diesem Gefühl startete er seinen Wagen wieder, fuhr weiter am Marktplatz entlang hinauf zur Kirche und bog dann rechts ab, wo er das Anwesen fand, das künftig sein Zuhause sein würde. Seine Adresse war Pfarrgarten 96. Wie passend für einen frisch gebackenen Vikar.

      Von dem Haus hatte er noch an jenem schönen Abend erfahren, den er nach dem peinlichen »Kirchentürzwischenfall« schließlich doch noch bei Schweinekoteletts und Bratkartoffeln mit Margaret und Frank verbracht hatte. Eine Woche später hatten Margaret und er sich dann noch einmal für einen Tag getroffen, um alle möglichen Details seiner Arbeit zu klären, zum Beispiel, wo genau er wohnen würde, welche Aufgaben er übernehmen sollte und wie seine weitere Ausbildung organisiert sein würde. Sein Kopf war so voll gewesen mit Fakten, Namen, Terminen und Orten, dass selbst die Notizen, die er sich gemacht hatte, ein einziges Durcheinander gewesen waren. Es gab so viel zu erfahren, zu bedenken und sich zu merken. Doch immer eins nach dem anderen! Zum x-ten Mal griff er jetzt in seine Tasche, um sich zu vergewissern, dass der Schlüssel noch da war, den er ein paar Tage zuvor mit der Post bekommen hatte. Er hatte in einem Briefumschlag gesteckt, zusammen mit einer Karte, die unterschrieben war mit »Peter Fellowes, 1. Vorsitzender des Kirchenvorstandes«. So weit, so gut!

      Als er in den Pfarrgarten einbog, war er vom ersten Eindruck der Nummer 96 angenehm überrascht. Es war ein relativ neues, frei stehendes Haus, vermutlich aus den 80er Jahren, schätzte er, denn dem mit Sträuchern und Bäumen bepflanzten Garten um das Haus herum war anzusehen, dass er nicht frisch angelegt war. Über dem großen Erkerfenster an der Frontseite des Hauses befanden sich im Obergeschoss zwei weitere Fenster, die vermutlich zu den Schlafzimmern gehörten. Neil musste plötzlich lächeln, als er feststellte, dass die Haustür in einem dunklen Purpur gestrichen war, fast exakt dem Farbton einer Bischofsrobe. Das würde seiner Mutter mit Sicherheit gefallen. Sie würde es als Zeichen werten, dass ihrem einzigen Sohn noch Großes bevorstand.

      Die Straße vor dem Haus war ziemlich schmal, und weil er wusste, dass er einiges aus dem Wagen auszuladen hatte, parkte Neil auf dem Grünstreifen direkt vor dem Haus. Doch zunächst einmal lud er noch nichts aus, sondern stieg aus und ging durch den Garten zur Haustür.

      Diesen Moment muss ich richtig auskosten, dachte er. Das hier ist ein bedeutendes Ereignis.

      »Hallo, Sie da, ist das Ihr Auto?«

      Neil drehte sich um und sah einen alten Mann in Hausschuhen vor der Haustür des Nachbarhauses, der ihn wütend anstarrte. Überrascht und erschrocken über die feindselige Haltung des Mannes erinnerte er sich rasch an das Gebot »Liebe deinen Nächsten«, bevor er sein nettestes Lächeln aufsetzte, auf den Zaun zwischen den beiden Grundstücken zuging und seine Hand ausstreckte, um den neuen Nachbarn zu begrüßen.

      »Freut mich, Sie kennenzulernen!«, sagte Neil. »Ich bin Ihr neuer Nachbar. Gut, dass wir uns so schnell kennenlernen. Ich bin Vikar Neil …«

      »Es ist mir schnurzegal, wer Sie sind!«, sagte der Mann. »Sie können jedenfalls den Wagen da nicht stehen lassen, also weg damit!«

      Ein bisschen verunsichert warf Neil einen Blick auf das angeblich falsch abgestellte Fahrzeug und sagte dann: »Ich parke den Wagen woanders, so schnell es geht, aber ich muss erst noch ein paar schwere Sachen …«

      »Sofort! Sofort weg damit! Sie ruinieren ja den ganzen Grünstreifen!«

      »Ach ja?«, stotterte Neil. »Na ja, wenn das so ist, können Sie mir ja vielleicht sagen, wo mein Parkplatz ist.«

      »Sie haben keinen!«

      Neil schaute auf der ziemlich ruhigen und leeren Straße erst nach rechts und dann nach links und wandte sich dann wieder an den Mann.

      »Anscheinend gibt es ja genügend Parkplätze. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass der freie Platz vor meinem Haus auch mein Parkplatz ist.«

      »Nein, das ist meiner.«

      »Gut«, entgegnete Neil mit einem Nicken, war allerdings immer noch ein bisschen irritiert beim Anblick des alten Volvos, der in der Nähe parkte. »Und wem gehört dann das Auto dort vor Ihrem Haus?«

      »Das ist auch meins.«

      »Dann haben Sie also zwei Parkplätze?«

      »Nein, ich habe einen Parkplatz – und den Grünstreifen.«

      »Auf dem Sie ebenfalls parken …?«

      »Nein!«, kam umgehend die verächtliche Antwort. »Nur Idioten parken auf Grünstreifen!«

      »Ach so, dann kümmern Sie sich also um den Grünstreifen vor dem Haus?«

      »Ich kümmere mich um diesen hier und den da und um die die ganze Straße hinunter.« Dabei gestikulierte der Mann wild mit den Armen, um all die Grünstreifen beiderseits der Straße zu erfassen. »Die Straße heißt schließlich Pfarrgarten und nicht Pfarrparkplatz! In Gärten wächst Grün, und ein Grünstreifen ist kein Parkplatz. So, und jetzt machen Sie schon! Wirdś bald?«

      »Tja, hmmm …« Neil sah sich um und überlegte ein bisschen beklommen, wo er jetzt seinen Wagen abstellen sollte, ohne für Ärger zu sorgen, aber auch so nah an seiner neuen Bleibe, dass er seine etwas schwereren Habseligkeiten ohne allzu viel Mühe aus dem Wagen ins Haus tragen konnte.

      »Alf!«, war eine Frauenstimme durch die offene Haustür des Nachbarhauses bis hinaus in den Garten zu hören. »Sie machen doch nicht etwa dem neuen Vikar schon jetzt das Leben schwer, oder?«

      Eine zierliche Frau mittleren Alters tauchte in der Haustür auf und kam dann zügig auf die beiden Männer zu.

      »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich muss mich wirklich entschuldigen. Was für eine schreckliche Begrüßung für Sie!«

      »Ach, das macht doch nichts«, antwortete Neil erleichtert. »Ich bin Neil Fisher, der neue Vikar.«

      »Und ich bin Maureen Allen, Alfs Betreuerin vom Pflegedienst. Ich komme zwei Mal am Tag, um ihn zu versorgen – aber er ist mir entwischt, als ich ganz kurz nicht aufgepasst habe. Ich hoffe, er hat Sie nicht schon herumkommandiert, bevor sie auch nur Ihre Haustür aufgeschlossen haben.«

      »Ach nein! Er hat mir nur ein paar hilfreiche Tipps gegeben.«

      Maureens Stimme war streng, als sie sich an den alten Herrn wandte und sagte:

      »Sie haben sich mal wieder als Herr über die Grünstreifen aufgespielt, stimmtś, Alf?«

      Alfs Miene nahm einen Ausdruck kummervollen Ärgers an.

      »So, und jetzt kommen Sie wieder ins Haus, Sie verrückter alter Knabe. Ich habe Ihnen Ihren Tee gemacht – und wie wäre es mit einem Stück von Ihrem Lieblingskuchen dazu?«

      Diesem Vorschlag konnte Alf allem Anschein nach denn doch nicht widerstehen, denn er machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Haus.

      »Und was ist mit Ihnen, Herr Pfarrer? Möchten Sie vielleicht auch einen Tee und ein Stück Kuchen?«

      »Vielen Dank, das ist sehr freundlich, aber jetzt lieber nicht«, antwortete Neil lächelnd. »Bleibt allerdings immer noch die Frage, wo ich meinen Wagen abstellen kann.«

      »Genau da, wo er jetzt steht. Ignorieren Sie ihn einfach. Tschüss, Herr Pfarrer.«

      Und mit diesen Worten verschwand Maureen wieder im Haus und schloss die Tür von innen. Neil setzte den kurzen Weg zu seiner eigenen Haustür fort,

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