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aus dem geschlossenen Clansystem des Weingutes ausbrechen. Sie kennen es?”

      „Nein.”

      „Es ist sehr großräumig. Die haben während der letzten Jahre erweitert. Dadurch, dass es am Ortsrand liegt, war das kein Problem. Der Alte wohnt weiterhin im Hauptgebäude, obwohl es viel zu groß ist – acht Zimmer. Für meine Neffen mit ihren Frauen und meine Schwester mit ihrem Mann gibt es drei große Wohnungen. Da bekommt jeder mit, was der andere tut. Und dann gibt es noch das 2-Zimmer-Appartement in dem Klaus Zerfass wohnt.”

      „Klaus Zerfass?”, ich war überrascht, „der Name ist mir neu.”

      „Er arbeitet schon seit vielen Jahren auf dem Gut. Er ist Weinchemiker und -technologe. Gehört irgendwie zum lebenden Inventar. Er ist so ein Mädchen für alles, Faktotum nennt man das, glaube ich, obwohl sie ihn eher wie einen Domestiken behandeln, nur weil er … Er kommt auch ab und zu bei mir vorbei und lässt den neuesten Hoftratsch hier. Es interessiert mich zwar nicht, aber bevor er gar nicht mehr kommt, höre ich ihm zu. Er hat sich übrigens auch mit Renate angefreundet, zum Ärger ihres Mannes.”

      „Läuft da etwas zwischen den beiden? Das könnte doch auch ein Grund dafür sein, dass sie durcheinander ist.”

      „Das kann ich mit absoluter Sicherheit ausschließen.” Wieder einmal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Klaus hat nichts übrig für Frauen, er ist schwul. Der Alte war ganz schön sauer, alsKlaus sich vor vier Jahren mit den Worten: Ich bin schwul, und das ist gut so, öffentlich geoutet hat. Das Beispiel seines Namensvetters aus Berlin hatte ihm Mut dazu gemacht. Am liebsten hätte der Alte ihn hochkant rausgeworfen, der scheinheilige Moralapostel. Aber er braucht ihn.”

      „Lassen Sie uns wieder zurückkommen zum Karsamstag. Was hat Renate erzählt?”

      „Nicht viel mehr, als ich bereits wusste. Renate hat ja Ende 2003 ihren Dienst bei der Polizei quittiert und arbeitet seitdem hauptberuflich in der Verwaltung des Gutes mit. Sie ist zuständig für die Buchhaltung.”

      „Hauptberuflich?”

      „Ja, sie hatte die Buchhaltung schon lange zuvor über die Kanzlei ihrer Mutter betreut. Mit dem Unterschied, dass sie direkt vor Ort einiges an Mängeln entdeckt hat, die sie abgestellt hat. Eigenmächtig, wie man ihr vorwirft. Sie hat mir nur ganz kurz erzählt, dass es sich unter anderem um Steuerhinterziehung bei der Perlweinproduktion handeln würde.”

      Ich musste unwillkürlich grinsen, da mir die verlockende Möglichkeit, der sich einige Winzer nicht entziehen konnten, hinlänglich bekannt war.

      „Und natürlich wollte Renate diese Mängel auch rückwirkend beseitigen, was den nächsten Stein ins Rollen brachte.”

      Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Die hätten doch froh sein müssen. Wieso soll man riskieren, dass bei einer Betriebsprüfung Dinge hochkommen, die man rechtzeitig hätte abstellen können. Wenn die einmal den Anfang eines Garnknäuels gefunden haben, wickeln sie den bis zu seinem Ende auf.”

      „Sie musste dazu in alte Vorgänge einsteigen, Ordner der letzten Jahre durchforsten und … Fragen stellen. Man hat ihr schließlich vorgeworfen, sie würde nur rumschnüffeln, statt ihre Arbeit zu machen.”

      Ich entsann mich, dass Gertrud Faber mir von einigen Äußerungen Renates erzählt hatte, die sich nun konkretisierten. Von Ar­beitsbelastung hatte sie gesprochen, von langwierigen Diskussionen wegen Bagatellen.

      „Wer warf ihr das vor? Ihr Mann, ihre Schwiegermutter? Oder auch Ihr Vater?”

      „Der Alte schien sich da rausgehalten zu haben, obwohl er die Begabung besitzt, andere so zu manipulieren, dass sie gar nicht merken, dass sie sich geistig wie Marionetten verhalten. Nein, meine Schwester stänkerte und Benjamin spielte mit.”

      „Und die anderen?”

      „Die hielten sich ebenfalls zurück. Da will es sich doch keiner mit ihm verderben. Ich funktioniere hervorragend als abschreckendes Beispiel dafür, wozu der Alte in der Lage ist, wenn man bei ihm in Ungnade fällt. Noch einen Wein?”

      Ich hatte gar nicht registriert, dass ich bereits das zweite Glas geleert hatte, lehnte nun aber dankend ab.

      „An dem Abend nun bestand Renate auf einer Aussprache mit ihrem Mann. Er muss sich so geäußert haben, dass er gar nicht wisse, was sie wolle und hat ihr Hysterie vorgeworfen und gefragt, ob sie wohl endlich schwanger sei.”

      „Ist sie es denn?”

      „Nein. Sie verhütet, seitdem sie sich ihrer Liebe und ihrer Ehe nicht mehr sicher ist.”

      „Und weshalb fragt er dann so etwas?”

      „Weil Renate ihm verheimlicht hat, dass sie die Pille nimmt. Bis zu diesem Abend. Benjamin rastete aus, ein Wort ergab das andere und … das Resultat kennen Sie ja.”

      „Was geschah dann weiter?”

      „Benjamin rief etwa eine Stunde später an und fragte, ob Renate bei mir sei. Sie hatte mich aber vorher schon gebeten, ihren Aufenthaltsort nicht zu verraten. Er glaubte mir wohl nicht so ganz, denn er hängte wütend ein. Na ja, inzwischen weiß er, dass Renate bei mir war. Gertrud hat es ihm gesagt.”

      Sie zuckte mit der Schulter, als wollte sie sagen, dass ihr das jetzt egal war.

      „Renate ging dann zu Bett. Sie schlief lange, auch die nächsten Tage. Es war Ostern, ein Wetter wie in den letzten Tagen. Wir haben gelesen, ferngesehen und gequatscht. Aber nicht über ihre Situation. Sie wollte das nicht mehr. Am Dienstag hat sie dann ihre Mutter angerufen. Aber das wird Ihnen Frau Faber alles schon erzählt haben, nehme ich an.”

      Ich nickte. „Und dann war sie am Morgen des 30. März spurlos verschwunden?”

      „Ich habe nicht gehört, wann sie das Haus verlassen hat. Ich habe Durchschlafstörungen und nehme Schlaftabletten. Da habe ich noch nicht einmal mitbekommen, wie sie den Wagen aus der Scheune und auf die Straße gefahren hat. Als ich dann am nächsten Morgen, so gegen acht Uhr aufgestanden war, war nichts mehr da von ihr. Kein Kleidungsstück, kein Buch, keine Toilettenutensilien. Es war, als ob sie nie bei mir gewesen sei.”

      „Hat sie nicht erwähnt, wo sie hingehen wollte?”

      „Nein, obwohl ich sie gefragt hatte. Sie meinte, es wäre besser so, dann könnte ich mich auch nicht verplappern.”

      „Und Sie haben keine Idee, keinen noch so vagen Hinweis? Hat sie etwas von Bekannten erzählt, von Kollegen, die sie von der Polizeischule kennt oder von Lehrgängen, Urlaubsbekanntschaften, Schulfreunden?”

      „Nein, kein Wort.”

      „Hat sie außer mit ihrer Mutter mit anderen telefoniert?”

      „Wenn, dann höchstens über ihr Handy. Die ausgehenden Gespräche habe ich schon im Speicher meiner Telefonanlage überprüft. Da ist keines dabei, das sie geführt hat, außer dem mit ihrer Mutter.”

      „Was für ein Auto hat sie?”

      „Einen dunkelroten Nissan 350 Z, so einen Sportwagen. Das Kennzeichen ist AZ-RF-3636.”

      „Haben Sie ihre Handynummer?”

      „Natürlich. Ich durfte sie ja nie auf dem Festnetz anrufen. Das wäre aufgefallen.”

      „Und haben Sie versucht, Renate zu erreichen, nachdem sie Ihr Haus verlassen hatte?”

      „Daran gedacht habe ich schon, aber ich respektiere ihren Wunsch, dass man sie in Ruhe lässt. Wenn sie mich sprechen will, wird sie schon anrufen.”

      Ich hatte von Marga Preuß alles erfahren, was sie zu dem Bild, das ich mir machen musste, beitragen konnte. Ich stand auf und bedankte mich für ihre Gastfreundschaft und das offene Gespräch. Sie wollte noch wissen, ob ich jetzt auch zu ihrem Neffen gehen würde. Aber der hatte über Gertrud einen Termin für den nächsten Morgen ausgemacht.

      „Wenn Sie wieder einmal durch die Langgasse kommen, Herr Schäfer … Sie wissen ja jetzt wo die Klingel ist. Sie

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