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was wir unter Gemeinde verstehen. Mit Luther entscheiden wir uns bewusst für den Begriff Gemeinde und nicht Kirche. Gemeinde ist, wo sich die Gläubigen versammeln.

      Jesus drückt diesen Gedanken mit dem griechischen Begriff ekklesia aus, wenn er in Matthäus 16,18 sagt: „Ich will meine Gemeinde (ekklesia) bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden.“

      Ekklesia beschreibt hier eine aus der Welt herausgerufene Gemeinschaft, die Verantwortung für die Welt übernehmen soll.35 Sie ist von ihrem Wesen her missionarisch und somit missional.36 Dabei steht „Welt“ an dieser Stelle immer für das lokale Gemeinwesen.37 In diesem Gemeinwesen hat sie ihren Platz.

      Hier soll sie …

      „Salz der Erde und Licht der Welt“ (Matthäus 5,13-15),

      Botschafterin der Versöhnung mit Gott und Mensch (2. Korinther 5,18-20),

      Gottes auserwähltes Volk (1. Petrus 2,10),

      königliches Priestertum (1. Petrus 2,9-10) sein.

      Mit anderen Worten: Mit seiner Gemeinde zeigt Gott den Menschen seine eigene Gestalt, den Leib Christi (Epheser 1,23), seine Gerechtigkeit (2. Korinther 5,21), ja sein Königreich. Sie ist „eine Bundesgemeinschaft, Zeichen und Vorgeschmack, Agent und Instrument der Herrschaft Gottes“.38

      Der ekklesiale und damit lokale Charakter der Gemeinde als Versammlung der zur Verantwortung für die Welt berufenen Menschen bestimmt ihre kontextuelle Gestalt. Sie ist gesandt, wie Jesus gesandt wurde (Johannes 20,21). Und er kam in die Welt der Menschen als „Mensch wie wir ... nur ohne Sünde“ (Hebräer 4,15). Nur so konnten Menschen seine göttliche Herrlichkeit sehen (Johannes 1,1,14).

      Analog dazu kann und muss die Gemeinde im Dorf eben das sein, was sie im Dorf ist – Dorfgemeinde, die die Verantwortung für Lebensräume im Dorf zugesprochen bekommen hat. Ihre Aufgabe im Dorf besteht darin, dem Leben Grundzüge eines unter der guten Herrschaft Gottes stehenden Gemeinwesens zu vermitteln. Mit anderen Worten, sie setzt sich für soziale Räume ein, in denen Gerechtigkeit, Wohlbefinden, Lebensfreude und Frieden herrschen. In solchen Räumen leben, arbeiten und feiern Menschen gern.

      Hier wird das Wirklichkeit, was der Prophet Jesaja einmal seinem eigenen Volk Israel zugesagt hat: Menschen arbeiten und genießen das Werk ihrer Hände, sie bauen Häuser und leben selbst darin, sie setzen sich füreinander ein und kennen Gott persönlich (Jesaja 65,1ff.).

      Natürlich ist das eine Vision, eine Zielvorgabe, aber nichts weniger meint Jesus, wenn er seinen Jüngern befiehlt, die Völker zu Jüngern zu machen (Matthäus 28,19-20).

      Der Begriff Volk = griechisch ethnos steht für den soziokulturellen Raum und ist am besten als Gemeinwesen zu übersetzen. Man kann daher auch übersetzen: „Gehet in alle Welt und machet zu Jüngern alle Gemeinwesen.“ In unserem Fall ist das Gemeinwesen ein Dorf. Was aber bedeutet es, wenn die christliche Gemeinde sich auf dem Land bemüht, das ganze Dorf zum Jünger Jesu zu machen? Doch nur das Eine – dass die Einwohner des Dorfes so leben, wie Jesus es seine Jünger gelehrt hat.

      Die Gemeinde Jesu ist somit für die Menschen da. So hat es Dietrich Bonhoeffer formuliert: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“39 Als solche müsse sie sich am allgemeinen Leben der Menschen beteiligen.40 Auch wenn andere, allen voran der Heidelberger Missionswissenschaftler Theo Sundermeier, Bonhoeffers Satz kritisiert haben und statt einer Kirche für Andere von der Kirche mit Anderen gesprochen haben41, bleibt klar – Gemeinde Jesu ist „von ihrem Wesen her als missionarische Gemeinde zu sehen“42. Sie ist es, weil Gott einen Plan mit den Menschen hat. Um Menschen geht es ihm. Für sie gab er „seinen eingeborenen Sohn hin auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“ (Johannes 3,16).

      Deswegen existiert die Kirche im Dorf, weil Gott Interesse an den Menschen dort und am Gelingen ihres Zusammenlebens hat. So gesehen ist sie der beste Liebesbeweis Gottes. In der Zuwendung Gottes zu den Menschen zeigt sich seine souveräne Herrschaft.

      Es ist hilfreich, zwischen Gemeinde als Bewegung und Gemeinde als Institution zu unterscheiden.43 Kirche im Dorf ist zunächst und vor allem Gemeinde Jesu, aber als Dorfgemeinde wird sie sich als dörfliche Institution etablieren müssen, wenn die Einwohner in ihr eine Institution erkennen sollen, die zu ihnen gehört.

      Jesus beispielsweise kam zu den Seinen, und man hat an seinem Äußeren erkannt, dass er Jude war. Paulus wiederum ging zu den Griechen und wurde unter ihnen wie ein Grieche (1. Korinther 9,19 ff.), um sie für Jesus zu gewinnen. Und so lehrte er auch die Gemeinde in Korinth – und folglich auch uns. Denn wenn wir aufs Land gehen, um die Landbevölkerung für den Glauben an Jesus zu gewinnen, sollte die Landbevölkerung an der Gemeinde erkennen, dass diese zu ihnen gehört.

      Dekan Martin Reppenhagen hat acht Charakterzüge einer missionarischen Gemeinde formuliert. Danach (1) hat eine Gemeinde eine missionale Berufung, (2) lebt sie Nachfolge und Jüngerschaft mit der Bibel als Grundlage, (3) geht sie Risiken ein im Kontrast zur Welt, (4) verkörpert sie Gottes Absichten für die Welt, (5) hat sie den Gottesdienst im Zentrum, in dem sie Gott feiert, (6) lebt sie in Abhängigkeit zum Heiligen Geist und im Gebet, (7) ist sie Zeugin, Agentin, Instrument und Zeichen des anbrechenden Reichs Gottes (mit vorläufigem Charakter) und (8) hat sie eine missionale Autorität in der Gemeinde, um die missionale Berufung zu fördern.44

      Alle diese Positionen beziehen sich auch auf die Gemeinde im Dorf, aber das dörfliche Leben wird jedem der acht Charakterpunkte seinen eigenen Stempel aufdrücken. Nur wer auf dem Dorf angekommen ist, kann auch eine Dorfgemeinde bauen. Edmonson schreibt mit Recht: „Effektive Evangelisation auf dem Land kann nur von Menschen gestaltet werden, die das ländliche Leben verstehen und sich hingegeben haben, auf dem Land zu leben.“45 Und der britische Gemeindeaufbau-Experte Stuart Murray behauptet gar, dass man kaum Gemeinden auf dem Land mit Menschen von außerhalb bauen kann.46

       3.2.Erwartungen an die Dorfgemeinde

      Gemeinde ist Gottes Pflanzung, aber sie ist in menschlicher Gestalt in der Welt. In ihr sehen Menschen Gottes Herrschaft im Vollzug. Hier können sie das Evangelium sehen, erfahren und hören. Durchaus können die Menschen Gottes Absichten am Leben der Gemeinde auch missverstehen. Was also können Menschen von der Gemeinde Jesu auf dem Dorf erwarten?

      In einer Untersuchung im Unterallgäu, die erforschte, was Dorfbewohner von der Kirche im Dorf erwarten, sind unter anderem folgende Ergebnisse zutage getreten47.

      Die Kirche soll …

      (1)Glauben vermitteln,

      (2)das Dorf zusammenbringen,

      (3)soziales Leben schaffen und unterhalten,

      (4)unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in die Gemeinschaft integrieren,

      (5)seelsorgerliche Betreuung leisten,

      (6)für Menschen in Notlagen sorgen,

      (7)Menschen zum Ehrenamt motivieren,

      (8)Heimatgefühle stiften sowie

      (9)Ruhe und Kontemplation bieten.

      Damit beschreiben die Unterallgäuer ziemlich genau die Bedürfnisse in ihrem Lebensraum. Die Kirche soll Verantwortung für ihren Lebensraum übernehmen, diesen gestalten und zum Besseren transformieren. Unmissverständlich schließen ihre Wünsche geistliche und soziale Aspekte ein. Glauben, Seelsorge und Gebet stehen hier neben sozialem Miteinander, Fürsorge, Integration und Heimat. Kann das eine Dorfgemeinde leisten? Muss sie es gar? Sind die Erwartungen nicht zu hoch geschraubt? Und wenn sie es nicht schaffen kann, wie soll der Gemeindeaufbau all das leisten? Welche Art von Aufbau braucht die Gemeinde, und wer kann ihn leisten?

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