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zu dieser eindeutigen Selbstüberschätzung? Schade, ich hoffe du bist nicht enttäuscht, dass ich dir nicht gleich die Klamotten vom Leib reiße.“

      „Warum sollte ich enttäuscht sein? Ich genieße auch angezogen jeden Moment in deiner Nähe.“

      Irgendwie musste sie das Gespräch wieder in eine andere Richtung lenken. Das war ja kaum noch an Dreistigkeit zu überbieten. Und es fehlten ihr langsam die Worte. Während sie vor sich hin grübelte, trat der Kellner an den Tisch und räumte die leeren Teller ab.

      „Und womit verdienst du deine Brötchen?“ Sie tupfte sich die Lippen ab, ließ ihn nicht antworten und fuhr fort. „Ach, lass mich raten, du hypnotisierst Passanten und ziehst ihnen das Geld aus der Tasche.“ Zuckersüß lächelte sie ihn an, als hätte sie ihm ein Kompliment gemacht und war froh, dass ihr doch noch etwas Passendes eingefallen war.

      „Na, jedenfalls hat dir diese ganze Geschichte nicht die Sprache verschlagen. Auf den Mund bist du ja nicht gefallen.“ Und dann, als hätte er ihre bissige Bemerkung überhört, antwortete er: „IT-Branche. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir uns um unsere Jobs noch Gedanken machen müssen.“

      „Wieso? Ich meine, wie kommst du darauf?“

      „Tot. Du und ich sind für die Welt da draußen nicht mehr existent.“

      Sprachlos sah sie ihn an. Dann fand sie ihre Stimme wieder. „Woher willst du das wissen?“

      „Oh, auf einmal so einsilbig?“ Er sah sie aufmerksam an und sprach dann weiter: „Sie haben es mir brühwarm zum Frühstück serviert. Eine Aufnahme meiner Beerdigung aus nächster Nähe.“

      Er wirkte jetzt sehr ernst und sie glaubte in seinem Blick einen Hauch von Angst ausmachen zu können. Nun war ihr der Appetit doch noch vergangen. „Du glaubst, dass es bei mir genauso ist?“

      Wenn man in einem Gesicht wie in einem offenen Buch lesen konnte, dann war es wohl ihres. Immer schon hatte ihr Gefühlsleben sich darin gespiegelt und ihrem Gegenüber gezeigt, wie sehr sie etwas bewegte. So war es jetzt offenbar auch, denn plötzlich legte er seine Hand auf ihre und sah sie bedauernd an.

      „Mach dir keine falschen Hoffnungen. Glaube mir, nach uns sucht niemand.“

      Sie musste schlucken und ihr war nicht entgangen, wie sich seine Gesichtszüge erneut verhärteten. Das hier war kein angenehmes Abendessen, es glich eher einem Albtraum. Es war noch nicht einmal eine Stunde vergangen und sie hatte die größte Spanne ihrer Gefühle durchlebt. Hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, schreiend davonzulaufen und ihn tröstend in die Arme zu schließen, sah sie zu ihm rüber. Fast glaubte sie an eine unsichtbare Verbindung, denn es kam ihr vor, als durchflutete sie Kraft und Zuversicht, und das nur durch die Berührung seiner Hände.

      „Und, Ella, welche Fähigkeiten besitzt du, außer alle Männer um den Verstand zu bringen?“

      Seine Stimme war warm und durchdringend und schickte ihr eine ganze Flut Wärme und elektrisierendes Vibrieren über den Körper. Ob er wirklich mit Medikamenten ruhiggestellt war? Oder war es eine Schutzbehauptung, und sie war schon von ihm eingelullt und geriet deshalb immer mehr aus dem Gleichgewicht? Manipulierte er sie mit seinen Fähigkeiten? Wenn es so war, was konnte sie dagegen tun? Es war wohl der sinnlichste Mund den sie je gesehen hatte. Und sie schaffte es kaum, die Vorstellung zu unterdrücken, ihn zu küssen.

      Als hätte er einen Hebel betätigt, der ihren Verstand aussetzen ließ, kam es ihr in den Sinn. Ella wurde der Mund so trocken, dass sie nicht glaubte, ihm antworten zu können. Die Muskeln seines Bizeps zeichneten sich, unbeabsichtigt oder nicht, durch das Hemd ab. Sie schluckte noch einmal, bevor sie ihm stockend die Geschichte erzählte, die ihr Sauer Stunden zuvor offeriert hatte. Er hing an ihren Lippen und machte die eine oder andere Bemerkung. Am Ende streichelte er mitfühlend über ihre Handgelenke. Die Berührung beruhigte und verunsicherte sie gleichermaßen. Es war verrückt, aber sie fühlte sich wie von einem Magneten angezogen.

      „Und, was treibst du sonst so?“ Ihr Tonfall sollte desinteressiert und kühl wirken. Irgendwie musste sie Abstand zwischen sich und ihn bringen, und wenn es räumlich nicht möglich war, dann wenigstens emotional.

      Der Kellner servierte den zweiten Gang. Ein saftiges Stück Fleisch, Kartoffeln und Bohnen im Speckmantel wurden vor ihrer Nase platziert.

      Endlich ließ er ihre Hände los und sie atmete erleichtert auf.

      „Was willst du wissen?“

      „Mich interessiert zum Beispiel“, ob du überall so durchtrainiert bist, dachte sie und ertappte sich erneut dabei, wie ihr Blick auf seinem Oberkörper verweilte.

      „Ja, was interessiert dich denn nun? Raus mit der Sprache.“

      Verdammt, ob er bereits wusste, was sie bei seinem Anblick dachte? „Was du sonst so machst und woher du kommst“, kam es ihr endlich über die Lippen.

      „Sport und Hamburg. Wenn man wie ich den ganzen Tag vor dem PC sitzt, braucht man einen entsprechenden Ausgleich. In meiner Freizeit gehe ich gerne im Stadtpark laufen.“ Er zuckte mit den Schultern als müsste er sich dafür entschuldigen. „Und du? Lass mich raten. Ich tippe auf rhythmische Tanzgymnastik.“

      „Du willst mich auf den Arm nehmen. Rhyth-mi-sche Tanz-gym-nas-tik? Sehe ich etwa so aus?“ Sie hatte jede Silbe betont. „Vergiss es. Bisher hatte ich für Sport keine Zeit. Naja, keine Lust wäre wohl treffender. Wenn ich von der Arbeit komme, ist die Luft raus.“ Nun zuckte sie mit den Schultern und lächelte. „Außerdem besitze ich ja nun ganz offiziell Super-Gene. Mein Körper sieht auch ohne entsprechende Betätigungen knackig aus.“ Sie glaubte, ihn schlucken zu sehen.

      „Ella, da werde ich dir jetzt nicht widersprechen. Allerdings behalte ich mir ein endgültiges Urteil vor, wenn die Verpackung weg ist. Ich hatte schon genügend Mogelpakete in den Händen.“

      Sie und ein Mogelpaket? So wenig, wie sie trug, was sollte sich unter diesem hautengen Kleid wohl verbergen? Frechheit. Bevor sie noch etwas erwidern konnte, fragte er schon weiter.

      „Aber ein Hobby hast du, oder?“ Er sah sie abwartend an und legte den Kopf leicht zur Seite.

      „Natürlich. Canasta spielen, klöppeln, backen und sticken.“ Sollte er doch denken, was er wollte. Das war ihr alles zu doof. Sie dachte an ihren Garten. Ella verbrachte dort viel Freizeit. Es gab immer etwas zu tun und wenn sie fertig war, legte sie sich in die Hängematte, um zu lesen oder Musik zu hören. Ein Stich in ihrem Herzen machte sich bemerkbar. Wenn er recht behielt, sah sie den Garten nie wieder. Erneut stieg Panik in ihr auf. Sie war kurz davor, aufzuspringen und dem Typen neben dem Aufzug das benutzte Messer in die Brust zu rammen. Raus, nur raus. Ella glaubte zu ersticken. Die Finger verkrampften sich um den Griff, die Muskeln spannten sich, dann erst nahm sie seine Stimme wahr.

      „Schneckchen, atmen. Du musst Luft holen, du läufst schon blau an.“ Wieso war er ihr so nah? Wann war er aufgestanden und zu ihr rübergekommen? Vorsichtig entwand er ihr das Messer und rüttelte sie an den Schultern. Endlich machte sie einen tiefen Atemzug.

      „Gut, und nun schau mich an. Du schaffst das. Ich bin bei dir.“ Er hielt ihr das Glas an die Lippen. „Trink einen Schluck. Es macht das Ganze zwar nicht besser, aber es entspannt.“

      Sie nickte und nahm hastig einen Schluck. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete sie den Pavian, der zu ihnen rüber starrte und unentschlossen von einem Fuß auf den anderen trat. Vermutlich war er kurz davor, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Sie musste sich dringend zusammennehmen. Wenn sie isoliert in einem dieser Krankenzimmer wäre, könnte sie mit John keine Ausbruchspläne schmieden. Und sie wollte hier raus, alles in ihr schrie nach Freiheit.

      Seine warme Hand auf ihrem Rücken nahm sie erst jetzt wahr. Es durchströmte sie eine wohlige Vertrautheit, fast als wären sie schon lange befreundet und diese Intimität die normalste Sache der Welt.

      „Danke, alles okay.“

      „Sicher?“, raunte er dicht neben ihrem Ohr.

      „Ganz sicher.“ Ella spürte, wie er in einer letzten Bewegung über

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