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ihr zu. »Nun?«

      »Nein, danke«, sagte Céline und streifte die Kapuze über. »Ich versuch’s noch woanders.« Kurz schaute sie die Verkäuferin an: eine Kubanerin, sandgelbe Dreadlocks. »Wiederseh’n.« Ohne ein weiteres Wort verließ Céline den Krämerladen und lief an Bars und einer Spielhalle vorbei zur Bernsteingasse. Der Regen wurde stärker; Céline rannte noch ein Stück und stellte sich dann an einem Studio für Flüssigtattoos unter. Etwa fünf Meter entfernt kniete ein Penner auf der Straße und malte mit Sprühdosen wässrige Bilder auf den Asphalt. Sein Mantel und die Haare waren durchnässt, doch es schien ihn nicht zu stören.

      »Hey!«, rief Céline und schüttelte die Tropfen ab. »Was soll’n das sein? Sieht wie ’ne Tarotkarte aus!«

      Der Penner drehte den Kopf und lächelte; ihm fehlte ein Schneidezahn. »Kennste Miró nicht?«

      »Miró?«, fragte Céline nach. »Doch, kommt mir bekannt vor.«

      »Elvira Miró, 2189 bis 2218. Begründerin des Neoschock. Gestorben letzte Woche.«

      »Was bist du? So ’ne Art Künstler?«

      »Ich?«, grinste der Penner. »Nicht mehr.«

      Zögernd trat Céline in den Regen hinaus. »Suche Arbeit, weißt du was?«

      »Frag den Flamen, wie alle hier.« Der Penner zeigte auf eine alte Diskothek – ein Zentaur als Neonschild, halb erleuchtet. »Hat bestimmt ’n Botenjob für dich.«

      »Danke.« Céline studierte sein fertiges Bild, die Figuren, Farben. Dann überquerte sie die Straße, klingelte an der Tür und wurde reingelassen.

      Der Schädel

      Wie ein Cadillac lackiert

      Zwei Münzen

      In den Augenhöhlen

      Patronen als Zähne

      Dahinter Krieg

      »Was traust du dir denn zu, Mädchen?« Der Flame, ein Rothaariger mit Sommersprossen hinter der Brille, legte die Hände auf den Glastisch. Geklebte Poster an den Wänden, Pin-ups, Motorräder, Palmen am Meer, dazwischen ein Schrank.

      »Weiß nicht.« Céline biss sich auf die Unterlippe. »Botenjobs und so?«

      »Botenjobs«, wiederholte der Flame und nahm die Brille ab – links ein Auge, rechts ein konvexer Monitor, der ein Auge simulierte: Pupillenverengung und Wimpernschlag. »Kuriere habe ich genug.«

      »Dann vielleicht …« Ihre Schmetterlingsaugen schillerten unruhig.

      »Setz dich erst mal«, sagte der Flame und deutete auf den zweiten Sessel vor sich.

      »Ja, gut.« Céline zögerte, dann nahm sie Platz, legte die Knie aneinander.

      »Rauchst du?«

      »Nee.«

      »Also, ich hätte tatsächlich einen Job für dich«, erklärte der Flame, wobei er eine Zigarette in seinen Mundwinkel schob und anzündete. »Nicht ganz leicht, wird aber gut bezahlt.«

      »Wie viel?«

      »Fünfzehnhundert, wenn du alles richtig machst.«

      Céline starrte auf die blassen Poster. Ihr Mund wurde schmal. »Nein, so Sachen mach ich nicht.«

      »Was?«, fragte der Flame, ihrem Blick folgend. Sein Lachen war hart, aber offen. »Scheiße, was glaubst du von mir, Mädchen, dass ich Zuhälter bin! Du solltest wissen, bei wem du vorstellig wirst.«

      »Ich …«

      »Jetzt pass mal auf, ich hatte einen guten Tag, einen echt guten Tag, verstehst du? Die Geschäfte laufen, gute Nachrichten, viel Profit. Deshalb geb ich dir ’ne Chance.« Er hob den Zeigefinger. »Eine Chance, drin oder draußen?«

      »Drin«, sagte Céline und sah ihn an.

      »Okay.« Der Flame zog eine Schublade auf, bevor er einen Kubus mit zwei Haftungen, eine Gasmaske, eine Keycard und eine Pistole auf den Tisch legte. »Wie gesagt, der Job ist nicht ganz einfach. Du wirst mir Memories beschaffen.«

      »Von wem?«

      »Die Frau heißt Eva Conklin, lebt im goldenen Viertel, Haus Nummer 253, erstes Geschoss. Du steigst nachts bei ihr ein, verwendest diese Gaspatrone …« Mit spitzen Fingern legte er einen Zylinder zu den Sachen. »… benutzt den umgebauten Kubus und haust ab. Eigentlich ein Kinderspiel.«

      »Wozu die Waffe?«, fragte sie und beugte sich vor. In ihrem Kopf rasten die Gedanken; sie ließ sich nichts anmerken.

      Der Flame lächelte dünn. »Wenn’s schiefgeht, Mädchen.«

      »Ich mach’s.« Vorsichtig begann sie, die Sachen in ihre Tasche zu stecken. »Was brauchst du?«

      »Conklin arbeitet als Putzfrau bei Nova Medicals, hol mir alles, was sie weiß: Zugangscodes, die Korridorwege. Alles.«

      »Wofür denn?« Céline bereute die Frage sofort, als der Flame das Lächeln fallen ließ und sie mit dem Monitor fixierte:

      »Die Erinnerungen sind morgen hier, ansonsten gehst du leer aus. Wird der Kubus beschädigt, schuldest du mir Geld, viel Geld. Alles klar?«

      »Sicher«, sagte Céline und stand auf. »Keine Angst, ich mach das schon.«

      Frauen auf Papier

      Blass, gelb verfärbt

      Leergesaugt

      Von tausend Augen

      Ein Klebestreifen

      Über Brüsten

      Nachts ließ der Regen nach und es war mehr los auf den Straßen; zwielichtige Gestalten, manche gefährlicher als andere: Gangs prügelten sich mit Gangs, Harlekine gegen Molotows, später Polizei.

      Céline kauerte hinter dem Rahmen eines ausgeschlachteten Motorrads. Immer noch brannte die kahle Glühbirne am Fenster von Haus Nummer 253. Sie fror; ihre Finger waren steif vor Kälte. »Geht ins Bett«, flüsterte sie, zum wievielten Mal. »Geht bitte ins Bett.«

      Noch einmal rieb sie ihre Handflächen aneinander, als plötzlich das Fenster schwarz wurde und Céline im Dunkeln saß. »Endlich«, sagte sie befreit, lächelte; dann zog sich ihr Magen zusammen. Noch eine Viertelstunde ließ sie verstreichen, bevor sie ihre Tasche öffnete und die Gasmaske hervorholte. Céline zog die Kapuze runter, band ihr schwarzes Haar zu einem Knoten, atmete tief durch. Zerrend stülpte sie die Maske übers Gesicht und drückte den Rücken an der Wand hoch.

      Ihr Keuchen drang dumpf an ihre Ohren, sie atmete in kurzen Zügen, ein, aus; Céline versuchte, an nichts zu denken, während sie in den Hauseingang trat und die Stufen zur Wohnung emporstieg. Conklin – das Metallschild war rostig, der Name kaum im Schatten des Korridors zu lesen. Mit fahriger Hand holte Céline die Keycard hervor und schob sie durch den Leseschlitz; eine Diode wurde grün.

      Célines Atem ging jetzt stockend und ließ die Gasmaske beschlagen, sodass sie kaum etwas sehen konnte. Schweiß brannte in ihren Augen. Lautlos tastete sie sich in den Flur vor – tiefe Decke, schmale Wände, die mit einer vergilbten grünen Tapete bedeckt waren. Drei Türen, ein Spiegel; Céline vermied es, hineinzusehen, als sie zur ersten Tür schlich und sie öffnete: ein Wohnzimmer, unaufgeräumt und muffig, überall lagen Bücher auf dem Boden verstreut; weiter hinten erkannte Céline eine alte Couch und einen verstaubten 5Sense-Fernseher. Sie schloss die Tür.

      Die zweite Tür, die Céline öffnete, war das Schlafzimmer. Eine Frau lag im Bett, allein; ihre großen Brüste hoben und senkten sich im Schlaf. Mit hämmerndem Herzen kam Céline heran und musterte die Gestalt: üppig, dicker Hals und graues Haar, das über ihrem Nachthemd lag; Eva Conklin schnarchte.

      Vorsichtig griff Céline in ihre Tasche, holte den Kubus heraus und stellte ihn auf der Bettkante ab. Sie hielt die Luft an, sammelte sich, ehe sie eine der Haftungen an der Stirn anbrachte. Schlagartig fiel ihr ein, dass sie die Gaspatrone bis jetzt nicht eingesetzt hatte.

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