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betrachtet haben. Ja, es war so - diese Jugend tat in ihrer Mehrzahl mit Hingabe, was man von ihr erwartete. Sie bereitete sich darauf vor, „Den aufhaltsamen Aufstieg und Fall des Arturo Ui“ mit all ihren Kräften zu vollenden. Wir glaubten wirklich, es diene alles zum Besten unseres Landes. Als Zeitdokument möchte ich dazu wieder die Altenburger Landeszeitung zitieren:

       Dienstag, 9. Juli 1935

       Neue Dienstränge in der HJ … Als neuer und unterster Dienstrang wird bei der Hitlerjugend der Rottenführer eingeführt. Entsprechend erhält das Deutsche Jungvolk den neuen Rang des Hordenführers. Als Kennzeichen trägt der HJ-Rottenführer eine silberne Litze auf beiden Schulterklappen, der DJ-Hordenführer einen silbernen Winkel auf dem linken Unterarm.

       Sonnabend / Sonntag, 10. / 11. August 1935

      Das Führungsorgan der nationalsozialistischen Jugend „Wille und Macht“ bringt in seinem Heft vom 1. August einen Aufsatz „Der Soldat von morgen“. Er umreißt die Gestalt des Offiziers, des Unteroffiziers und des Dienstpflichtigen … In dem Dienstpflichtigen erkennt Helmcke (Anm.: Verfasser des Artikels) den Mann, der weiß, worum es geht. „Den Willen zum letzten soldatischen Einsatz ist diese Jugend entschlossen, der Welt zu zeigen“. Der Aufsatz …wird gerade in der Hitlerjugend ein gutes Echo finden, weil hier zum ersten Male das Gesicht des Soldaten von morgen gezeigt wird, der Vorbild der Nation ist.

       Mittwoch, 28. August 1935

       Jungvolklager Thräna. Mit dem 1. September wird das Führerlager Thräna wieder in Betrieb genommen werden. Dort werden jede Woche 50 Jungenschaftsführer und Hordenführer des Deutschen Jungvolks körperlich und geistig geschult. Aller 14 Tage finden Lehrgänge für Jungzugführer statt …

      In dieser Zeit begann mein Aufstieg über die Leiter der Dienststellungen und Rangstufen im Deutschen Jungvolk. Im Grunde war ich überrascht, als man mir sagte, ich solle den Dienst eines Hordenführers übernehmen. Das war weiter nichts, als bei fünf bis sechs Jungen, die in meiner Nachbarschaft wohnten, den Beitrag zu kassieren und Benachrichtigungen für den Dienst zu überbringen. Ich tat es so gewissenhaft wie ich es konnte. Das war anscheinend gut genug, um mich eines Tages in jenes Führerlager nach Thräna zu schicken, damit ich mir den dazugehörenden Dienstrang mit dem Silberwinkel am Ärmel erstrampeln konnte. Das hielt ich damals für einen Vertrauensbeweis und eine Ehre. Was mich und die mit mir dort angereisten Kameraden erwartete, war so strapaziös , dass mir der zuständige HJ-Arzt bei der abschließenden Untersuchung riet, ich solle mich wegen meines Herzens in ärztliche Nachkontrolle begeben. Wir wurden dort von einem äußerst unsympathischen Jungvolkführer bis zur Erschöpfung geschliffen. Es war das erste Mal, dass ich gegen einen Jungvolkführer eine tiefe Abneigung empfand. Das barackenähnliche Backsteingebäude für dieses Führerlager war bereits im September 1933 dem Altenburger Jungbann von den Niederlausitzer Kohlenwerken zur Nutzung übergeben worden. Es gehörte bis dahin zum Braunkohlentagebau - und Brikettfabri k- Komplex in Thräna und lag an der sächsisch - thüringischen Grenze. Ein Tagebauloch lag direkt vor unserer Führerschule. Wenn irgendetwas nicht klappte, jagte uns jener Sadist von Ausbilder mit dem Befehl: „In den Tagebau marsch-marsch!“ über den Schräghang des oberen Abraums. Das geschah mitunter mehrmals hintereinander, so dass wir zum Schluss mit zitternden Knien und völlig k.o. wieder den oberen Tagebaurand erreichten. Natürlich lernten wir auch viele andere Dinge, die wir für recht interessant und nützlich hielten. So zum Beispiel den Umgang mit Karte und Kompass, Geländebeschreibung, Entfernungsschätzen, Tarnen und den vielen militärischen Kram, der einem im Laufe der Jahre dann in Fleisch und Blut überging. Diese Führerschule erlebte ich vermutlich Anfang des Jahres 1936. Ich war zum ersten Mal froh, eine Jungvolkveranstaltung hinter mich gebracht zu haben. Begeisterung hatte das Erleben nicht erzeugt. Dafür stellte sich als Nachwirkung ein eigenartiger Effekt ein: Ich merkte bald, dass ich nun mehr gefordert und gefragt war in meinem Fähnlein. Auf einmal war der kleine Pimpf herausgehoben aus der Masse der Anderen weil er einen Einsatz mit ganz besonderen Anforderungen ehrenvoll bestanden hatte. Ein Ehrgeiz zu etwas Besonderem war mir bis dahin so gut wie fremd gewesen. Jetzt war ich zwar nur um ein Weniges herausgehoben, doch im Laufe der Jahre veränderten sich meine Rangabzeichen weiter. Führer Schnüren kamen eines Tages auch dazu. Sie zeigten die Dienststellung an, die man einnahm. Daran konnte jeder erkennen, über wieviel Jungen der betreffende Träger das Kommando führte. Es bedeutete allerdings auch, dass der Betreffende in der Lage sein musste, den Dienstbetrieb für seine ihm unterstellte Einheit zu organisieren und zu lenken. Zunächst war daran bei mir noch nicht zu denken denn ein Bestreben aufzusteigen war bei mir kaum vorhanden. Allmählich entwickelte sich unter der Führerschaft des Jungvolks ein gewisses Elitebewusstsein und eine Eitelkeit von der besonderen Art, wie ich sie schließlich bei allen uniformierten Formationen dieser Zeit beobachtete. Uns war das durchaus bewusst und wir frozzelten darüber. War einer in eine höhere Dienststellung aufgerückt, dann wurde von den Anderen manchmal gewitzelt, er drücke die linke Brusthälfte zu weit nach vorn. Linksseitig trug man nämlich die Führer Schnüren vom Jungzugführer an aufwärts.

      Mit der Beseitigung der jugendgemäßen Vielfalt im Erscheinungsbild des Deutschen Jungvolks zu Gunsten einer militärischen Einheitlichkeit wurde bereits im Januar 1935 begonnen, als in Marienburg 600 Jungbannfahnen geweiht wurden. Davon kamen 21 nach Thüringen. Eines Sonntagvormittags erfolgte am Altenburger Bahnhof durch uns die feierliche Einholung unserer Jungbannfahne. Etwas später bekamen wir die ebenfalls „geweihten“ Fähnleinfahnen, alle vom gleichen Format, mit weißer Siegrune auf schwarzem Grund und mit eingestickter Fähnleinnummer. Die nach uns in einem demokratischen Staatswesen lebenden Menschen werden es nicht für möglich halten, in welchem Ausmaße 33 Monate nach Hitlers Machtübernahme nicht allein die Jugend, sondern auch die Erwachsenen auf ein militaristisches Gehabe eingeschwenkt waren. Dazu noch eine Notiz aus der Altenburger Landeszeitung:

       Sonnabend / Sonntag, 20. Oktober 1935

       Thing des Stammes Kauffungen. Dumpfe Schläge der Landsknechts Trommeln hallen durch die Straßen der Stadt, und dazwischen erklingen die hellen Fanfaren. Die Leute auf den Straßen bleiben stehen und grüßen mit erhobener Rechten die Fahnen der jüngsten Gliederungen der nationalsozialistischen Bewegung. Der Marsch geht auf den Platz vor der früheren Nikolaikirche … Es ist zum ersten Male, dass das Altenburger Jungvolk seinen Thing nicht draußen im nächtlichen Wald abhält, sondern hier mitten in der Stadt, in einem der ärmsten Viertel …

      Zeltwache, Pfingstlager 1934

      Entrollen der Fahnen für den Abmarsch ins Pfingstlager 1941

      Aus romantischem Spiel wird schrittweise die Vorbereitung auf den kriegerischen Ernstfall.

      Ich muss gestehen, eine Vorstellung über meine Zukunft und berufliche Entwicklung habe ich erst ziemlich spät, in meinem sechzehnten Lebensjahr erlangt. Dann aber war ich mir sehr sicher und verfolgte dieses Ziel mit großer Hartnäckigkeit gegen alle Widerstände und Misslichkeiten meines Lebens.

      Bis dahin tat ich, was der Tag von mir verlangte und verbrachte den Rest der Zeit mit dem, was gerade mein Interesse gewonnen hatte. Die Pflichten des Tages trugen Schule und Jungvolkdienst an mich heran. Das Angenehmste in meinen Beschäftigungen ergab sich aus persönlichen Neigungen und vielfältigen Anregungen aus meiner Umgebung. Daran gewannen Beobachtungen in der Natur ebenso ihren Anteil wie Bücher, Filme und alle möglichen Erlebnisse in unserer Stadt.

       8. Non scholae, sed vitae discimus

      Mein Vater hatte vermutlich schon lange ziemlich klare Vorstellungen über die Grundlagen meines Fortkommens. Er war in seinen Jugendjahren zu der Erkenntnis gelangt, dass einzig und allein eine solide Schulbildung den Weg in eine gesicherte Existenz eröffne. Nachdem er seine Schlosserlehre in Stendal beendet hatte, war er von zu Hause weggegangen

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