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ihrer frühen Verehrer »mein schwarzer Schmetterling« genannt. Ihr Traum war es gewesen, Schauspielerin zu werden, doch das hatte man ihr gründlich ausgetrieben, obwohl darin wohl ihr wahres Talent gelegen hätte. So verlegte sie sich auf die Schriftstellerei, die ihr von den Eltern erlaubt wurde, jedoch glückten ihr nur holprige Texte.

      Zwei Kinder hatte sie zur Welt gebracht, 1826 ihren Sohn Aaron und zwei Jahre später ihre Tochter Rahel. Die zweite Geburt hatte sie sehr erschöpft, und seitdem sah sie blass und zerbrechlich aus. Sie ging auch nicht mehr so gern aus dem Haus wie früher, sondern ließ die Menschen lieber zu sich kommen. Da sie viel las und immer wusste, was in Politik, Dichtkunst und Philosophie gerade en vogue war, galt sie als anregende Gesprächspartnerin. Zwar konnte ihr Salon mit dem einer Rahel Varnhagen nicht ernsthaft konkurrieren, dennoch war er bei Männern von Rang und Namen so beliebt, dass gar nicht alle eingeladen werden konnten, die gern gekommen wären. Bei allem hatte sie aber auch die Interessen ihres Mannes im Kopf, denn der war kein guter Verkäufer seiner Baukunst, wie ihr schien, und neigte immer dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, auch war er kein Meister der gepflegten Konversation und schon gar nicht jemand, der andere auszuhorchen wusste und ihnen schmeichelte, wenn es darum ging, Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen, um einen lukrativen Auftrag zu erhalten.

      Friedrich Silberstein traf seine Frau bei der Lektüre eines Romans. Es war Gottfried Kellers Der grüne Heinrich, wie er sah, als sie das Buch beiseite legte. Er fand es furchtbar langweilig und hatte schon nach den ersten fünf Seiten aufgegeben. Etwas anderes interessierte ihn weitaus mehr.

      »War Meir Rosentreter hier?«

      Sarah schüttelte den Kopf. »Nein.«

      »Er wollte mir ein Empfehlungsschreiben bringen, für meine Reise nach Mainz, wo sie eine neue Synagoge bauen wollen.«

      »Ich kann nur sagen, dass er nicht da war.«

      Friedrich Silberstein machte eine Handbewegung, die abwiegeln sollte, denn seine Frau schien ein wenig eingeschnappt zu sein. »Komisch, wo er sonst immer so gefällig und so zuverlässig ist …«

      Sarah Silberstein zeigte zur Zimmerdecke hinauf. »Vielleicht weiß Aaron mehr.« Ihr Sohn hatte direkt über ihnen sein Zimmer.

      »Wieso soll der was wissen?«

      »Weil er sich gestern mit Katharina getroffen hat. Soll ich ihn mal holen?«

      »Ja, tu das.«

      AARON SILBERSTEIN hörte seine Eltern unten in der guten Stube diskutieren und verspürte wohl unwillkürlich den Wunsch, nach unten zu eilen und seinen Vater zu begrüßen, andererseits war ihm die ungestörte Mittagsruhe ein lieb gewordenes Ritual, und zu gern hätte er noch ein paar Seiten Eichendorff gelesen, ehe er wieder in die Brüderstraße eilte und in seiner Kanzlei auf Klienten wartete.

      Der Einsiedler hieß das Gedicht, und leise sprach er den Anfang der zweiten Strophe vor sich hin: »Die Jahre wie die Wolken gehen / Und lassen mich hier einsam stehn, / Die Welt hat mich vergessen …« So weit war er mit Eichendorff völlig d’accord, und den subtilen Schmerz, der den Dichter erfüllte, genoss er wie einen köstlichen Likör. Doch was folgte, ließ ihn zusammenzucken, als hätte ihn ein Messerstich mitten in die Brust getroffen: »Da tratst du wunderbar zu mir …« Eichendorff meinte die tröstende Nacht. Aaron aber bezog diese Zeile auf ein wunderschönes Mädchen. Ein solches jedoch trat nicht in sein Leben, obwohl er kaum an etwas anderes denken konnte als daran, endlich eine Frau zu finden, die er wirklich liebte. Aber wie hatte sein Großvater immer gesagt? Men sol nit betn, di zoress soln sich ojsslosn. Worem as di zoress losn sich ojss, lost sich doss leben ojch ojss – Man soll nicht beten, dass das Leid ein Ende nehme. Denn wenn das Leid aufhört, hört auch das Leben auf.

      Aaron Silberstein legte Wert darauf, als das genaue Gegenteil seines Vaters zu gelten, und oft hörte man von ihm die Wendung: »Ich bin ganz anders als er.« Vordergründig schien sich das nur auf den Körperbau der beiden zu beziehen, denn der Senior war untersetzt bis füllig, der Junior aber lang und schlank. In Wahrheit aber wollte er sagen: Ich bin nicht so verknöchert, nicht so preußisch und königstreu wie mein Vater, kein Ewiggestriger, noch immer dem Berliner Biedermeier des Vormärz verbunden. In seinen Jünglingsjahren hatte sich Aaron der Haskala verpflichtet gefühlt, der jüdischen Aufklärung, und Moses Mendelssohn, der »jüdische Luther«, wie sie ihn mitunter nannten, war sein Prophet gewesen. Als Student hatte er sich dann unter dem Einfluss seines Freundes Wilhelm Blumenow immer stärker pantheistischen und schließlich sogar atheistischen Positionen angenähert, und öfter hörte man ihn Ludwig Feuerbach zitieren: dass nicht Gott die Menschen gemacht habe, sondern sich die Menschen ihre Götter – jeder Stamm, jedes Volk nach seinen Bedürfnissen und Lebensbedingungen. Zugleich aber hatte er noch immer das im Blut, was sie ihm in der Jeschiwa, der Talmud-Schule, beigebracht hatten, und so hielt er sich nach außen noch immer mehr oder minder streng an die jüdischen Gesetze.

      Bei aller Kritik an seinem Vater, es gab Phasen, in denen er voller Bewunderung für ihn war und auch ein wenig neidisch. Während er seinen Vater in solchen Stunden als Fels in der Brandung sah, kam er sich selbst wie ein Schiff vor, das von Wind und Wellen hin und her geworfen wurde und kein Ziel hatte. »Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich recht eigentlich will«, hatte er in sein Tagebuch geschrieben. Sein Vater hatte es durch Zufall entdeckt und ihn daraufhin verdonnert, Jura zu studieren: Das gäbe Menschen den nötigen Halt, und man könne damit alles werden.

      Immerhin war er so zu einem halbwegs erfolgreichen Advokaten mit einer kleinen Kanzlei in der Brüderstraße geworden, doch viel lieber wäre er höherer Beamter im Innen- oder Justizministerium gewesen, wo er ohne jeden Zweifel ebenfalls eine glänzende Karriere vor sich gehabt hätte – wenn er denn Christ gewesen wäre … Seit dem 31. Januar 1850 waren zwar laut Artikel 4 der Verfassung alle Preußen gleichgestellt, auch die Juden. Doch noch immer wurde diesen der Zugang zu öffentlichen Ämtern, höheren militärischen Dienstgraden und universitären Lehrstühlen verweigert.

      Zur Welt gekommen war Aaron Silberstein am 9. Mai 1826, dem Tag, an dem sich die Sängerin Henriette Sonntag, die »göttliche Jette«, nach ihrer letzten Vorstellung im Königstädtischen Theater auf dem Alexanderplatz von ihren Berlinern verabschiedet hatte. Unter den vielen Tausenden, die ihr zujubelten, fehlte aus diesem Grunde Sarah Silberstein, und sie verzieh ihrem Sohn nie so recht, dass er sie mit seiner Ankunft um diesen Genuss gebracht hatte. Damals hatten sie noch in der Spandauer Straße gewohnt, und man hatte es nicht weit zur Synagoge Heidereutergasse gehabt. Die war zwar schon am 14. September 1714, dem Sabbat vor dem jüdischen Neujahrstag, eingeweiht worden, doch dass man den Bau einem christlichen Architekten übertragen hatte, dem Michael Kemmeter, wurmte Tharah Seligsohn noch heute. Sein Schwiegervater konnte nicht anders, als ihm in gewisser Weise zuzustimmen, obwohl es ja zu dieser Zeit in Preußen praktisch keine jüdischen Baumeister gegeben hatte. Juden war auch dieser Beruf verwehrt gewesen.

      »Und wer darf sie jetzt renovieren und umbauen im klassizistischen Stil? Wieder ein Goi.« Gemeint war der christliche Baumeister und Schinkel-Schüler Eduard Knoblauch.

      »Du hättest den Vorsteher aufklären sollen, Vater, denn bei diesem Namen wird er gedacht haben: Nu, das ist einer von uns.«

      Diesen Dialog führten sie in regelmäßigen Abständen. Heute aber ging es, kaum war er nach unten gekommen, um Meir Rosentreter. Ob ihm dessen Tochter vielleicht etwas von einer plötzlich anzutretenden Reise gesagt habe, schließlich führe sie ihm den Haushalt?

      »Nein. Als wir vom Konzert gekommen sind, habe ich sie mit der Droschke nach Hause gebracht und unten geschellt. Die alte Selma ist nach unten gekommen und hat sie in Empfang genommen. Ihren Vater habe ich nicht bemerkt. Aber es kommt ja öfter vor, dass der auf Reisen ist.«

      Friedrich Silberstein war bitter enttäuscht. »Schöne Freunde sind das! Er weiß doch genau, dass sie mich ohne seine Empfehlung die Synagoge in Mainz nicht bauen lassen werden.«

      »Wartest du eben, bis es hier in Berlin so weit ist.«

      »Da nehmen sie dann den Rana!«

      »Sei nicht so verbittert, Friedrich!«, ermahnte Sarah Silberstein ihren Mann.

      

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