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Sozi­a­lis­mus in der DDR, der Sowje­t­u­nion und den Län­dern Ost­eu­r­o­pas bei­ge­tra­gen haben, ana­ly­siert und ich weiß, dass viele mei­ner Gesprächs­part­ner in Kuba ein Inter­esse an die­sen Erfah­run­gen, aber auch an unse­ren Feh­lern und Irr­tü­mern und deren Bewer­tung haben. Ich habe Kuba seit 1970 rund ein dut­zend Mal besucht. Bei allen Rei­sen konnte ich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen Gesprä­che füh­ren und zahl­rei­che Kon­takte auf­bauen, die teil­weise bis heute nütz­lich sind.

      VH: Sie haben von 1952 bis 1953 in Mos­kau an der Kom­so­mol-Hoch­schule stu­diert. Wel­che Rolle haben Latein­ame­rika und Kuba 1953 bei den Stu­den­ten in Mos­kau gespielt?

      HM: Für uns stan­den beim Stu­dium andere The­men im Vor­der­grund. Es gab damals poli­ti­sche Ent­wick­lun­gen, die uns und die Welt beweg­ten. Der Korea-Krieg ging in die End­phase, in China wurde eine sozi­a­lis­ti­sche Volks­re­pu­blik auf­ge­baut und in Eur­opa herrschte der Kalte Krieg. Was sich auf Kuba ereig­nete, haben wir jun­gen Stu­den­ten erst spä­ter dis­ku­tiert.

      VH: Seit wann beschäf­ti­gen Sie sich inten­si­ver mit Kuba?

      HM: Meine Erin­ne­run­gen an Kuba begin­nen im Jahr 1960. In die­ser Zeit dis­ku­tier­ten junge Leute in der DDR über die dor­tige Ent­wick­lung. Wir hör­ten von der Revo­lu­tion, von Fidel und Raúl Cas­tro. Doch wer von uns wusste bis dahin genau, wo Kuba lag? Dann trat unter den Inseln der Kari­bik mit einem Mal eine für uns in den Vor­der­grund. Das war zu einer Zeit, als wir in der DDR eigene Pro­bleme hat­ten. Wir merk­ten, dass wir die Jugend nicht mehr oder zumin­dest immer schwie­ri­ger erreich­ten. Ich war damals Sekre­tär im Zen­tral­rat der FDJ und für uns stand der Auf­bau einer sozi­a­lis­ti­schen Gesell­schaft im Zen­trum. Die Kuba­ni­sche Revo­lu­tion stand zunächst nicht auf unse­rer Tages­ord­nung. Ich hatte zwar 1959 meine erste Reise nach China unter­nom­men, aber der Sieg der dor­ti­gen Kom­mu­nis­ten im Volks­krieg lag schon eine Zeit zurück. Die Grün­dung der Volks­re­pu­blik China durch Mao Tse­tung war am 1. Okto­ber 1949 erfolgt.

      Plötz­lich hör­ten wir von Kuba. Dort war die Ent­wick­lung völ­lig anders ver­lau­fen als bei uns. Es gab eine wirk­li­che, von der Bevöl­ke­rung getra­gene Revo­lu­tion. Wir began­nen, das mit unse­ren eige­nen Erfah­run­gen zu ver­glei­chen. Dies geschah in einer Phase, in der sich die Kon­flikte zwi­schen Ost und West immer mehr zuspitz­ten. Kuba erlebte zu die­ser Zeit eine ganz andere Situa­tion. Dort stand die große Mehr­heit des Vol­kes mit Begeis­te­rung hin­ter der Revo­lu­tion. Inso­fern war meine erste intel­lek­tu­elle Begeg­nung mit Kuba auch mit der Hoff­nung ver­bun­den, dass es auch anders geht. Meine Alters­ge­nos­sen und mich beein­druckte außer­dem, dass dort Gleich­alt­rige ein Volk anführ­ten, das seine Geschi­cke zum ers­ten Mal in die eige­nen Hände nahm.

      VH: Die Bun­des­re­pu­blik bezeich­nete die Ent­wick­lung Kubas Anfang 1960 als »Gefahr für Latein­ame­rika« und warnte vor dem »Aus­bau roter Brü­cken­köpfe vor den Pfor­ten der USA«. Wie hat die DDR das ein­ge­schätzt ?

      HM: Die Ent­wick­lung auf Kuba war für meine Gene­ra­tion zunächst eine klare Absage an die von den USA unter­stützte Dik­ta­tur Bati­stas. Die Revo­lu­tion stand für uns aber auch im Gegen­satz zur Poli­tik der USA. Unsere Begeis­te­rung für Kuba war des­halb sehr groß. Dort fand eine Revo­lu­tion statt, die zuneh­mend im Zen­trum des Inter­es­ses lin­ker Jugend­li­cher in aller Welt stand. Die offi­zi­elle Kom­mu­nis­ti­sche und Arbei­ter­be­we­gung suchte aber noch nach ihrer Posi­tion. So berich­tete Wal­ter Ulbricht zum Bei­spiel im Dezem­ber 1960 auf der 11. Plen­ar­ta­gung des Zen­tral­ko­mi­tees der SED von einer Tagung der Kom­mu­nis­ti­schen- und Arbei­ter­par­teien in Mos­kau: »Auf der Kon­fe­renz wurde ver­ein­bart, das kuba­ni­sche Volk, das seine nati­o­nal­de­mo­kra­ti­sche Revo­lu­tion zum Siege geführt hat, mit allen Kräf­ten zu unter­stüt­zen.« Das klingt ganz gut, war aber zwei Jahre nach dem Sieg der Rebel­len­ar­mee doch etwas wenig. Ich will nicht sagen, dass dies ein Miss­trauen aus­drückte, aber eine Distanz, ein Abwar­ten des­sen, was sich im Hin­ter­hof der USA ent­wi­ckeln würde, war spür­bar. Zugleich gab es aber auch schon ein Inter­esse an wirt­schaft­li­cher Zusam­me­n­a­r­beit.

      2. Annä­he­rung und Gemein­sam­kei­ten

      Vol­ker Herms­dorf: Das erste Wirt­schafts­ab­kom­men wurde im Dezem­ber 1960 zwi­schen dem DDR-Außen­han­dels­mi­nis­ter und ehe­ma­li­gem Spa­ni­en­kämp­fer Hein­rich Rau und Che Gue­vara ver­ein­bart. Wie haben Sie Che Gue­va­ras DDR-Besuch in Erin­ne­rung?

      Hans Modrow: Damals bemühte sich der Rat für gegen­sei­tige Wirt­schafts­hilfe (RGW) Han­dels­be­zie­hun­gen zu Kuba auf­zu­neh­men. In der DDR wurde Che Gue­vara der Part­ner von Hein­rich Rau. Rau war ein Mann, den wir als junge Leute sehr geach­tet haben, weil er aus der kom­mu­nis­ti­schen Jugend­be­we­gung kam und nun zum Gestal­ter einer sozi­a­lis­ti­schen Wirt­schaft wurde. Che Gue­vara war damals für viele, die in der DDR und den ande­ren sozi­a­lis­ti­schen Län­dern in Ver­ant­wor­tung stan­den, nicht rich­tig ein­schätz­bar. Einer­seits war er der junge Revo­lu­ti­o­när, zugleich hatte er aber bereits damals einen kri­ti­schen Blick auf unsere Ent­wick­lung. Es gab von ihm Wer­tun­gen über die Sowje­t­u­nion, in der er Büro­kra­tis­mus, man­gelnde Effi­zi­enz, Dis­zi­plin­lo­sig­keit und Kor­rup­tion gese­hen und deut­lich gemacht hatte, dass er so etwas für Kuba nicht als Vor­bild sehe. Das war bei uns wie­derum für viele Was­ser auf die Müh­len. Zur Zeit von Wal­ter Ulbricht in den 1960er Jah­ren hat­ten wir in der DDR eine Phase, in der wir das Modell der Sowje­t­u­nion nicht unver­än­dert über­neh­men woll­ten. Damit war die DDR für Che Gue­vara ver­mut­lich ein RGW-Land, das er mit Inter­esse betrach­tete. Als Lei­ter der Nati­o­nal­bank inter­es­sierte ihn, wie Betriebe und Wirt­schaft in der DDR gelei­tet wur­den. Er hat nicht nur den Blick für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung im All­ge­mei­nen gehabt, son­dern auch ver­sucht, die inne­ren wirt­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen und Ent­wick­lun­gen in den sozi­a­lis­ti­schen Län­dern Eur­o­pas zu ana­ly­sie­ren. Aus den posi­ti­ven Ein­drü­cken bei sei­nem Besuch lässt sich wohl die Tat­sa­che erklä­ren, dass die DDR unter allen RGW-Län­dern gegen­über Kuba immer eine her­aus­ra­gende Posi­tion inne­hatte.

      VH: Im Wes­ten erfolgte die Iden­ti­fi­ka­tion jun­ger Leute mit Che Gue­vara aus Abgren­zung und im Kon­flikt mit der Obrig­keit. In der DDR wurde die Iden­ti­fi­ka­tion mit Che und der Revo­lu­tion geför­dert. Wel­che Fol­gen hatte das?

      HM: Sein Bei­spiel hatte einen gewis­sen Ein­fluss auf Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Linie in der FDJ und der SED. Che Gue­vara war für die jun­gen Leute in der DDR eine Per­sön­lich­keit, die viel ausstrahlte. Ich erin­nere mich an Dis­kus­si­o­nen dar­über, wie wir davon in unse­rer Jugend­a­r­beit pro­fi­tie­ren könn­ten. Diese Ansich­ten hat beson­ders Alfred Kurella stark ver­tre­ten. Er war sehr daran inter­es­siert, den revo­lu­ti­o­nären Pro­zess in Kuba bei uns stär­ker dar­zu­stel­len. Kurella war als jun­ger Mann noch mit Lenin zusam­men­ge­trof­fen, den er 1919 als Kurier der KPD in Mos­kau ken­nen­ge­lernt hatte. Spä­ter wurde Kurella zum Mit­be­grün­der der Kom­mu­nis­ti­schen Jugend­in­ter­na­ti­o­nale. Aus heu­ti­ger Sicht muss ich sagen, dass uns damals gar nicht so bewusst war, wel­che Tiefe und wel­che Über­le­gun­gen hin­ter dem steck­ten, was Kurella uns zu ver­mit­teln ver­suchte. Er war über­zeugt, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit revo­lu­ti­o­nären gesell­schaft­li­chen Pro­zes­sen, die Bereit­schaft zur Soli­da­ri­tät bei jun­gen Men­schen viel stär­ker för­dert, als zum Bei­spiel die Dis­kus­si­o­nen über Han­dels­be­zie­hun­gen. Ich denke dass Kurella damit recht hatte. Ein

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