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mit zwei Hörnern dran, aus seinem Gesicht ragten lange, gelbe Haare, die ihm bis auf die Brust reichten, die auch aus Metall war. Vom Hals her breitete sich über den ganzen Rücken ein flügelähnlicher Körperteil aus, der fast bis auf den Boden reichte. Beim kleineren der beiden, dem rote Haare aus dem Gesicht wuchsen und wallendes Kopfhaar unter dem Metall hervorquoll, reichte der weiche Körperteil wirklich bis auf den Boden. Das schien ihm nicht zu gefallen, denn mit einer Vorderpfote versuchte er es immer wieder anzuheben. Die andere Vorderpfote hielt einen großen, länglichen Gegenstand, der in der Sonne silbern glitzerte. Der große Mensch hatte ein ganz ähnliches Ding in der Pfote, aber das war noch gewaltiger, als der Stock vom Rothaarigen. Der besaß auch zwei Hinterpfoten aus dickem Fell, das aussah, als sei es ihm gar nicht selbst gewachsen. Jähes Entsetzen durchzuckte das Eichhorn, als es begriff: Die Zweibeiner hatten Vierbeiner getötet und gehäutet. Oder hatten sie die Tiere vielleicht gar nicht getötet und gleich gehäutet? Ein eiskalter Schauer ließ den Leib und vor allem den buschigen Schwanz des Nagers vibrieren. Um die Mitte ihres Körpers hatten die schauderhaften Wesen ein schlangenartiges Ding gewunden. Dort hinein hatten sie ihre schrecklichen, spitzen Totschläger gesteckt. Der obere Teil ihrer Hinterpfoten steckte in irgendetwas, was bei genauerer Betrachtung auch ein ehemaliges Tier sein konnte. Alles, was die Alten erzählt hatten, stimmte also. Bis auf den Geruch, der war anders, als das kleine Nagetier es gelernt hatte. Das kalte Grauen kletterte zum Eichhörnchen in den Baum, packte es am Hals und überredete es, sich nicht weiter um die Zweibeiner zu kümmern und stattdessen einen längeren Waldlauf im gestreckten Galopp zu unternehmen. Und zwar entgegengesetzt der Richtung, die von den Zweibeinern eingeschlagen worden war.

      ‚Die wollen auch nicht weiter auf der Evolutionsleiter hochklettern‘, dachte der kleine Krieger, der die Gedanken des Eichhorns belauscht hatte. Es war müßig, sich um die spirituelle Vervollkommnung der Tiere zu kümmern. Sie waren einfach nicht entwicklungsfähig oder sie stellten sich bewusst blöd. Vermutlich letzteres, das war schön bequem und man musste sich nicht für den Weltenlauf verantwortlich fühlen, dachte er und stapfte betrübt über so viel mangelndes Pflichtbewusstsein hinter dem Großen her. Sie hatten eine Lichtung erreicht und beide untersuchten den Erdboden mit ihren Schwertern nach Spuren menschlicher Siedlungen.

      „Heiliger Donner aller Götter!“, brüllte der Große plötzlich. „Es ödet mich an, wie ein tumber Bauer durch den Wald zu latschen und jeden Meter baumlosen Bodens umzuwühlen wie ein wildes Schwein. Wo bei Wotan sind wir hier gelandet?“

      „Ich denke mich an diese Stelle zu erinnern“, warf der Kleine beschwichtigend ein.

      „Hier war die Thingstelle in früheren Zeiten, ich spüre es bis in die Knochen, dass hier die Götter angebetet wurden.“

      „Bei aller Hochachtung für deinen außergewöhnlichen Spürsinn“, sagte der große Krieger sichtlich um Fassung ringend, „sag mir doch einfach, wann hier eine Thingplatz war. Dann können wir uns gemütlich ausrechnen, in welchem Jahr wir gelandet sind. Wenn wir wenigstens ein paar Spuren von Steinkreisen gefunden hätten, aber hier erinnert nichts mehr an uns und kaum etwas an das ganze Menschengeschlecht. Also Bruder, befleißige dich doch gefälligst mir zu verraten, wann und wo wir sind.“

      „Wie ich dir sage, an das wo habe ich deutliche Erinnerungen. Einstens war hier ein Thing, später kamen die Slawen, noch später die Franken und Sachsen. Die Götter wissen, was noch für Horden hier durch sind, schlussendlich kamen die Christen vom anderen Rand dieser Berge und bauten in der Nähe eine Burg. Dann entstand eine Stadt, von hier aus wurden deutsche Könige berufen, sogar Kaiser. Ein gewisser Barbarossa hatte ganz in der Nähe eine Pfalz und soll der Sage nach in einem Berg liegen und schlafen“, erklärte der rothaarige Kämpfer jetzt.

      „Was heißt hier der Sage nach!“, brauste der große Krieger auf und sein blonder Bart wehte im aufkommenden Lüftchen. „Wir sind hier der Mythos. Wir machen ihn und wir sind er. Wer hat diese Sage von dem schlafenden Kaiser erfunden?“

      „Das ist eine lange Geschichte“, seufzte der andere abwehrend. „Gut, dann erzähl sie mir“, knarrte der Große und setzte sich auf einem Mooskissen zurecht.

      „Was, jetzt? Muss das sein?“, nörgelte der Rotschopf.

      „Wir haben ja sonst nichts Besseres vor“, erwiderte der große, blonde Recke. „Und verlaufen haben wir uns auch, machen wir eben eine Pause.“

      „Na schön“, seufzte sein Begleiter und fing an, die ganze lange Geschichte des Stauffenkaisers zu erzählen, von seiner Jugend, seiner Heirat, seinen Feldzügen, seiner Diplomatie in Italien und anderswo und schließlich von seinem Auszug nach Jerusalem zum dritten Kreuzzug.

      „Wir hatten damals große Hoffnungen in den Kaiser gesetzt“, fuhr der Erzähler fort. „Er schien uns die letzte Möglichkeit zu sein, das ganze germanische Göttergeschlecht in den Herzen der Menschen am Leben zu erhalten. Nur wenn es uns gelungen wäre, ihn vom Christentum abzubringen, dann hätte Walhalla eine Chance als Weltreligion gehabt. Unsere Sache stand auch nicht schlecht, denn der Kaiser hatte andauernden Streit mit den Vertretern der christlichen Kirche. Mehrere Päpste hätte er am liebsten auf sein langes Schwert gespießt, aber letztendlich war er doch zu festgelegt in seinem Glauben. Odin persönlich leitete damals die Operation und hatte seinen Sohn Thor ausgeschickt, den Kaiser mit dem roten Bart zu bekehren. Leider war der große Donnerer wenig erfolgreich und Friedrich I., wie der Barbarossa in Wahrheit hieß, hing nach wie vor an diesem jammervollen Gott, dessen Sohn sich kampflos ans Kreuz nageln hatte lassen. Er glaubte uns nicht und hielt uns für Scharlatane und so schlug ihm Thor schließlich einen Wettkampf auf neutralem Boden vor, nämlich im Wasser.“

      „Im Wasser?“, schnappte der Zuhörer jetzt wie ein Fisch auf dem Trockenen.

      „Der Kaiser liebte das Schwimmen. Ja, ich kann sagen, er konnte vorzüglich schwimmen. So verabredete er also mit Thor ein Wettschwimmen. Gewänne der Kaiser, so hätte Thor ihm göttliche Macht verleihen müssen und bei einem Sieg Thors wollte der Kaiser den alten Göttern wieder huldigen. Beim ersten Hahnenschrei stürzten sie aus der Burg, in der sie auf der Reise genächtigt hatten, und begaben sich zum nahe gelegenen Fluss. Thor war damals als Getreuer des Kaisers unterwegs und niemand weiter begleitete die beiden. Und sie warfen sich in die wilden Fluten des reißenden Stroms, dessen Name mir momentan entfallen ist – warte, ich komm gleich drauf … “, grübelte der Rotbärtige.

      „Es ist mir sehr egal, wie diese verwunschene Brühe geheißen wird!“, fauchte sein Zuhörer.

      „Na gut, wie du meinst“, beschwichtigte der kleinere Recke, „Sie hatten sich also einen bestimmten Punkt ausgemacht, den es zu erreichen galt. Wer als Erster einen rauen Felsvorsprung erklomm, der deutlich sichtbar aus dem brodelnden Fluss ragte, der sollte der Sieger sein. Odin hatte getobt, als er von dieser Wette hörte, aber da war es schon zu spät. Und es war auch nicht die befürchtete Blamage eines Göttersprosses gegenüber einem sterblichen Menschen die eintrat, sondern das Ende aller religiösen Hoffnungen. Kaiser Barbarossa erlitt einen Herzanfall und ertrank in den Wellen. Salef!“

      Der Erzähler machte eine Pause und schaute den anderen triumphierend an.

      „Was, Salef?“, fragte der große Kämpfer verständnislos, „Was soll das heißen?“

      „Der Fluss. Er heißt Salef und liegt in Kleinasien“, memorierte jetzt der Erzähler.

      „Aha“, brummte der Große, ohne sonderliche Begeisterung.

      „Thor gewann das Rennen locker und zieht heute noch den rotbärtigen Kaiser mit seinem Sieg auf. Der staunte anschließend nicht schlecht, als er nach seinem Tode nicht bei seinem Wüstengott landete, sondern direkt in Walhalla, wie all die anderen germanischen Fürsten auch. Um aber die Hoffnung nicht vollends aufzugeben, dass die alten Götter eines Tages zurückkehren würden, schuf Odin den Mythos vom schlafenden Kaiser, der einstmals erwachen wird, wenn das Reich ihn braucht. Mit Reich meint Odin aber nichts anderes als Walhalla. Thor sollte diese Rolle spielen und als Barbarossa in einer Höhle liegen. Das war Odins harte Strafe für seinen albernen Schwimmwettkampf. Und deshalb sind wir wahrscheinlich auch hierher geschickt worden, um zu sehen, ob die Zeit nun reif ist.“

      „Ja, nur wann sind

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