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fast einen Kopf kleiner als sie, was auch an Friedas sehr hochhackigen Schuhen lag.

      „Und das kann man alles singen?“, staunte Frieda und schüttelte ihre aufwendig toupierte Löwenmähne nach hinten.

      „Nun, nicht jeder. Oder genauer gesagt: Nur gut ausgebildete Sänger vermögen Wagners genialer Musik gerecht zu werden. Wagner ist sehr schwer zu singen und für das Orchester nicht leicht zu musizieren“, antwortete Lehmann und schielte aus den Augenwinkeln selbstgefällig nach zwei jungen Männern, die ihn neidisch anstierten. Ja, so ein Superweib hatte hier niemand an seiner Seite. Lehmann war absolut glücklich.

      „Wann hat die Oh-pär denn angefangen?“, wollte Frieda wissen.

      „Angefangen, wieso angefangen?“ Lehmann war verwirrt.

      „Na, die Musiker spielen doch schon und im Übrigen nicht sehr schön, muss ich sagen“, warf Frieda ein.

      „Aber nein“, lachte Lothar Lehmann. „Die spielen noch nicht, die stimmen nur ihre Instrumente.“

      „Warum können sie das nicht in ihrer Garderobe machen, wo sie niemanden stören mit ihrem Gequietsche?“, wollte Frieda wissen.

      „Ja, nun, äh … “, machte Lehmann und bemerkte, dass er keine Antwort geben konnte. „Ich habe keine Ahnung!“, sagte er schließlich überrascht.

      Sie hatten ihre Plätze erreicht und setzten sich. Friedas Kleidchen rutschte an den Beinen hoch. Lehmann wurde es bei diesem Anblick heiß und kalt, doch gnädigerweise verdunkelte sich der Zuschauerraum kurz darauf. Das Gezischel und Gemurmel der Operngäste erstarb so allmählich, wie sich der Saal verfinsterte. Ein Mann im schwarzen Anzug rumorte im Orchestergraben herum und bahnte sich einen Weg an den Bühnenrand. Die Zuschauer klatschten und der Mann verbeugte sich in Richtung des tiefschwarzen Saals. Er wandte sich dem Orchester zu und bedrohte es mit einem kleinen Stöckchen. Bald schon fuchtelte er ausgelassen mit den Armen in der Luft und schwenkte den kleinen Stab fröhlich hin und her, während das Orchester sich tapfer durch die komplizierten Wagnerschen Noten manövrierte.

      „Der Dirigent“, hatte Lehmann Frieda zugeflüstert und sie hatte stumm genickt.

      Einige Reihen dahinter stand ein Mann von seinem Klappsessel auf und stellte sich an einen der seitlichen Ausgänge. Er hielt eine Videokamera vor seinem Gesicht. Es war Horst Kindler, der seinen hervorragenden Plan aus der letzten Nacht in die Tat umsetzen wollte. Er hatte keine Drehgenehmigung von der Theaterleitung eingeholt und sich schon vorsichtshalber zurechtgelegt, was er denen erzählen würde, die ihn blöd anmachen wollten. Er war schließlich der Einzige, der überhaupt etwas unternahm. Ohne ihn würde die Stadt und ihr komisches Theater nie in die überregionalen Schlagzeilen kommen. Und da wäre es ja wohl eine Frechheit, wenn er sich noch aufwendig vorher seine Arbeit genehmigen lassen müsste, die er unentgeltlich und aus lauter Enthusiasmus hier leistete.

      Im verantwortlichen Musikverlag und auch in der örtlichen Theaterleitung hätten die Verantwortlichen eventuell eine, in einigen Punkten differierende Haltung zu Kindlers Überlegungen eingenommen, aber der Zuschauerraum war dunkel und von beiden Institutionen niemand anwesend. Während das Orchester sich bravourös durch die Ouvertüre tastete, dachte der filmende Kindler mit erheblichem Respekt an die unglaubliche, blonde Sexbombe, die mit dem dicken Lehmann gekommen war. Hatte der alte Halunke also doch nicht zu dick aufgetragen. Kindler verstand nur überhaupt nicht, was eine solche Frau mit einem Typen wie Lehmann anfing.

      Noch einige Reihen dahinter massierte sich Sabrina Donath die Schläfen. Sie hatte Kopfschmerzen von der ganzen Aufregung im Kyffhäusergebirge. Körperlich erschöpft war sie auch, denn die Streitaxt hatte ein beträchtliches Gewicht und es waren gut und gerne zwei Kilometer vom Plateau bis zu ihrem kleinen Renault gewesen. Sie merkte schon in den Unterarmen, was sie da morgen für ein prächtiger Muskelkater erwartete. Die alte Axt hatte sie erst einmal in der Redaktion gelassen. Henriette wusste auch nicht zu sagen, ob das Ding wertvoll war oder nicht. So blieb ihr nichts anderes übrig, als in den nächsten Tagen den Direktor des städtischen Heimatmuseums darüber zu befragen. Eigentlich war sie ziemlich kaputt und hatte keine Lust gehabt, sich einen tonnenschweren, stundenlangen Wagner anzutun. Aber in der Wochenendausgabe war ihre Kunstkolumne fällig und andere kulturelle Ereignisse hatte es in dieser Woche einfach nicht gegeben. Neben ihr saß Enrico mit schussbereiter Kamera und großem, aufgeschraubtem Objektiv. Er selbst machte auch nicht den frischesten Eindruck, sein Kopf prallte in unregelmäßigen Abständen gegen ihre Schulter, um dann erschreckt zurückzuschnellen. Hoffentlich fängt er nicht an zu schnarchen, dachte Sabrina.

      Frieda versuchte der Handlung auf der Bühne zu folgen, was durch mehrere Aspekte erschwert wurde. Die Musik war zu laut.

      Die Texte der Sänger waren unverständlich.

      Sie spielten keine Geschichte, sondern standen steif herum, klopften sich hin und wieder auf die Brust und rollten furchterregend mit den Augen.

      Bisher hatte Frieda folgendes gesehen:

      Ein Mann kam schwankend auf die Bühne und sang auf eine Frau ein, die dort schon wartete. Dann erschien ein weiterer Mann, der viel tiefer sang und scheinbar den ersten nicht leiden konnte. Der wiederum zog, als er allein auf der Bühne war, eine Schwerterattrappe aus einer Baumattrappe und anschließend, als hätte sie darauf gewartet, kam die Frau wieder und die beiden fassten sich beim Singen an den Händen. Den weiteren Verlauf der Handlung hätte Frieda auf Nachfrage nicht mehr exakt wiedergeben können, denn ihr waren die Augen zugefallen und sie schlummerte selig.

      Ihre nächste Erinnerung war eine wohltönende und sogar verständliche Baritonstimme, die gerade sang:

      „not tut ein Held,

      der, ledig göttlichen Schutzes,

      sich löse vom Göttergesetz.

      So nur taugt er zu wirken die Tat,

      die, wie not sie den Göttern,

      dem Gott doch zu wirken verwehrt.“

      Langsam sickerte das Gehörte in Friedas Bewusstsein, ohne dass sie einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Worten herstellen konnte. Sie dachte eine Weile nach und kam zu dem Schluss, dass der Sänger gemeint haben musste, er suche einen Helden, der irgendeinen Auftrag ausführen sollte, den die Götter nicht selbst erledigen wollten. Das erinnerte sie an ihren eigenen Auftrag, den sie hier erfüllen musste, und sie schlug vorsichtig ein Auge auf und blinzelte ins grelle Bühnenlicht. Dort standen jetzt andere Sänger und … bei Odin, das sollte der Göttervater selbst sein! Und das Weib an seiner Seite sollte wohl ihre Schwester Fricka darstellen. Frieda, die eigentlich die Fruchtbarkeitsgöttin Freya war, erschauerte. Das war Blasphemie, das war ganz eindeutig Blasphemie!

      „Oh, ihr Götter!“, stöhnte sie und rutschte auf ihrem Sitz herum. Ihr Kleid zog sich noch weiter in Richtung Bauchnabel zurück und Lehmann, von ihren Worten aus dem pompösen Kunstgenuss gerissen, war es plötzlich unmöglich, den Blick von Friedas Schoß zu wenden.

      „Jetzt reicht es aber!“, schrie Freya, die auch als Kriegsgöttin einen wohlklingenden Namen hatte. „Das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen!“

      Als sie jetzt sah, wohin Lehmann unverwandt starrte, sprang sie auf und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige mit ihrer kleinen, schwarzen Lederhandtasche. Ein Raunen ging durch das Publikum, der Dirigent wandte den Kopf mit verstörtem Blick.

      „Schauen Sie mich nicht so an!“, brüllte die erzürnte Göttin und zwängte sich aus ihrer Sitzreihe heraus. Kaum hatte sie das geschafft, bückte sie sich, ergriff ihren hochhackigen linken Pumps wie eine Schlachtaxt und schleuderte ihn dem verdutzten Orchesterleiter mit voller Wucht ins Gesicht. Es war ein Volltreffer. Dem Musikdirektor wurde plötzlich schwarz vor Augen. Eine Reihe goldener, ausgestanzter Weihnachtssterne drehten sich in dieser Finsternis kurzzeitig vor seinem geistigen Auge im Kreise und dann wurde es Nacht. Der Obermusiker plumpste wie ein prall gefüllter Kartoffelsack kopfüber in Richtung erste Geigen, wo er krachend auf seiner japanischen Konzertmeisterin zu liegen kam. Pling, schnarrte deren Violine und die Seelen mehrerer tausend Euro machten sich auf die Reise in das wunderbare Nirwana des Mammons. Die letzten Instrumente, die bisher tapfer den Anschein einer geordneten

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