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Der „Führer“ zeigt sich zwar ungehalten über dieses Schreiben, spricht jedoch Speer sein Vertrauen aus, auch die Vertreter der Industrie drängen diesen zu bleiben – Speer bleibt Rüstungsminister und kehrt zurück in den engen Kreis um Hitler. In seinen Erinnerungen wird er später gestehen: „Trotz aller Bereitschaft zu resignieren, hätte ich nur ungern auf die Stimulans eines jeden Führungsrausches verzichtet.“ Hitler zeigt sich versöhnlich und akzeptiert auch die Ernennung von Speers Mitarbeiter Franz Xaver Dorsch (1899 – 1986) zum Leiter des Bausektors und zum Chef der „Organisation Todt“. Der schwäbische Bauingenieur Dorsch, ein Parteigenosse der ersten Stunde, ist damit auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern im gesamten Reichsgebiet verantwortlich.

      Konnte von den Häftlingen nicht mehr abgebaut werden: der stehen gebliebene Kern eines Gangabschnitts im Loosdorfer Fabriksstollen.

      Insgesamt 20 Projekte des Jägerstabs werden der SS übertragen, es sind dies aufwändige Großbauvorhaben, für die SS-Obergruppenführer Hans Kammler eine eigene Organisation einrichtet, den „SS-Sonderstab Kammler“ mit Sitz in Berlin. Die 20 Bauvorhaben werden als A- oder B-Projekte definiert, wobei die Bauten der A-Gruppe bereits nach acht Wochen bezugsfertig sein sollen, bei den Projekten der Gruppe B handelt es sich um Bauten, die bis Ende 1944 fertiggestellt sein sollen. Dem „Sonderstab Kammler“ unterstehen vier regionale „Sonderinspektionen“, darunter auch die „Sonderinspektion IV Wien“, die für die Projekte B7 (= „Esche II“), B8 (= „Bergkristall“), B9 (= „Quarz“), B10 (= „Quarz II“) und „Zement“ in Ebensee zuständig ist. Jedes einzelne Projekt wird von einem „SS-Führungsstab“ betreut; das Gesamtvolumen ist gigantisch: Die Pläne des Jägerstabs von Ende Mai 1944 sehen die Schaffung von etwa 980.000 m2 bombensicherer Fertigungsfläche vor. Hans Kammlers ursprünglicher Plan, angesichts des extremen Zeitdrucks auch die zivilen Arbeitskräfte einer gleichsam militärischen Disziplin zu unterwerfen und eigene, für den Sonderstab Kammler tätige „Baukompanien“ zu schaffen, scheitert jedoch am Widerstand der Baufirmen, die befürchten, ihr Personal an die SS-Bauleitungen zu verlieren. So bleibt auch Kammler auf private Baufirmen und die Unterstützung der Bergbaubehörden angewiesen; zusätzlichen Handlungsspielraum bietet ihm einzig die Verfügungsgewalt über die KZ-Häftlinge, die er auch skrupellos ausnützt.

      Als „Technokrat der Vernichtung“ wurde er bezeichnet und als Handlanger Heinrich Himmlers, als „rücksichtsloser, kalter Rechner“ und „Fanatiker in der Verfolgung eines Zieles, das er so sorgfältig wie skrupellos zu kalkulieren wusste“ (Albert Speer): SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler. Ein Mann, der lange Zeit im Schatten anderer steht, doch dann, in der Krise des Dritten Reiches, gelingt ihm ein phänomenaler Aufstieg: Er wird zur Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“, ja, als „Generalbevollmächtigter“ des Führers für die Flug- und Raketenproduktion ist er in den letzten Kriegswochen so etwas wie „Hitlers graue Eminenz“ – vom ehemaligen Flugzeugkonstrukteur wird er zum letzten Vollstrecker des Willens des „Führers“.

      Hans Kammler, 1901 in Stettin geboren, Sohn eines Offiziers, ist Architekt und Doktor der Ingenieurwissenschaften, noch vor seiner Promotion an der TH Hannover im November 1932 tritt er der NSDAP bei; wenig später, im Mai 1933, schließt er sich der SS an und startet seine Karriere als Leiter der Abteilung für Wohnungs- und Siedlungswesen in der Gauleitung Groß-Berlin; 1936 wird er Referent für Bauangelegenheiten im Reichsluftfahrtministerium; 1940 wechselt er zum „SS-Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft“ und damit „hauptberuflich“ in die Dienste der SS. Sein außergewöhnliches Organisationstalent und seine Energie beeindrucken Himmler, am 1. Juni 1941 wird Kammler Chef des „SS-Hauptamtes Haushalt und Bauten“, im Februar 1942 überträgt ihm Himmler die Leitung der für das Bauwesen zuständigen „Amtsgruppe C“ im SS-Hauptamt für Verwaltung und Wirtschaft. Damit ist er nun für alle Bauvorhaben in den Konzentrationslagern zuständig; auch die Errichtung von Krematorien und Gaskammern wird von ihm überwacht. Unzufrieden mit der geplanten „Kremierungsleistung“ von 2.650 Leichen am Tag in den neuen Krematorien von Auschwitz-Birkenau, ordnet er im Herbst 1942 an, die Pläne noch einmal zu überarbeiten.

      Kammler ist ein SS-Offizier, wie er im Buche steht: „Blond, blauäugig, mit langem Schädel, immer gut gekleidet“, umgibt ihn, wie Albert Speer später schreibt, jene „Kälte“, die auch Heinrich Himmler auszeichnet; als Rüstungsminister sieht sich Speer plötzlich mit einem Rivalen konfrontiert, der die stärkste Trumpfkarte der SS – die beinahe grenzenlos scheinende Verfügbarkeit von „billigen“ Arbeitskräften – geschickt auszuspielen weiß. Himmler erkennt dies und forciert seinen Vertrauensmann beim „Führer“; bald tauchen Gerüchte auf, dass der Reichsführer-SS Kammler als Nachfolger Speers aufbauen wolle.

      Die Schlüsselfigur im Wettlauf um die „Wunderwaffen“: SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Kammler.

      Obwohl von ihm zunehmend unter Druck gesetzt, gefällt Speer die „sachliche Kühle“, mit der Kammler agiert; ganz richtig erkennt er im fulminanten Aufstieg des SS-Ingenieurs zu einem der mächtigsten Männer des Dritten Reiches ein Spiegelbild seiner eigenen Karriere. Mit der Entscheidung zur Verlagerung der Rüstungsindustrie unter Tag schlägt für Kammler die große Stunde: In atemberaubendem Tempo zaubert der „Sonderbeauftragte des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“ – so ab 1. September 1943 seine offizielle Funktion – Ersatzstandorte für die Waffenschmieden mit Spitzentechnologie aus dem Hut: das „Mittelwerk“ im Kohnstein, Redl-Zipf, Ebensee, St. Georgen an der Gusen. In Kammlers Hand konzentriert sich die Macht über diese unterirdischen Rüstungsbetriebe und in seinem Blickpunkt stehen auch revolutionär neue Technologien wie etwa die Nutzung der Atomkraft für den Antrieb von Flugzeugen und Lenkwaffen – ein Aspekt, der fantasievollen Spekulationen Tür und Tor geöffnet hat: Und angeblich gibt es auch Dokumente, die Beweise in diese Richtung liefern …

      Was den Bau der unterirdischen Anlagen betrifft, so hat Kammler mit dem jungen Wiener Ingenieur Karl Fiebinger einen zuverlässigen Planer und Partner gefunden; auch den letzten großen Auftrag, das geheimnisumwitterte Sonderbauvorhaben „S III“ im Jonastal, vergibt er an das Büro Fiebinger.

      Zwischen Jänner und März 1945 hält sich Kammler häufig in Ebensee und St. Georgen an der Gusen auf; am 3. April spricht er in Berlin ein letztes Mal mit Hitler und offenbar gelingt es ihm, beim „Führer“ für bessere Stimmung zu sorgen – „Kammler macht sich ausgezeichnet, und man setzt auf ihn große Hoffnungen“, notiert Goebbels in seinem Tagebuch. Am 23. April 1945 findet in Ebensee ein letztes Treffen Kammlers mit SS-Offizieren statt, bereits zuvor hat er Speer bei einem Gespräch in Berlin erklärt, dass der Krieg verloren sei und es besser wäre sich abzusetzen. Am 9. Mai begeht Hans Kammler in der Nähe von Prag angeblich Selbstmord – unterschiedliche Versionen dieses Suizids wecken jedoch bald Zweifel, es taucht die Vermutung auf, dass der „kühle Planer und Rechner“ (Reiner Merkel) seinen Tod nur vorgetäuscht haben könnte. 1948 lässt ihn seine Frau Jutta für tot erklären, danach verschwindet auch sie spurlos …

      Geheimprojekt „Zement“ in Ebensee

      „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“ singt der Kellner Leopold in Ralph Benatzkys berühmtem Singspiel Im weißen Rößl. Am 8. November 1930 wird das Stück, das auf einer Vorlage von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg aus dem Jahre 1896 basiert, im Großen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt und beginnt von hier aus seinen Siegeszug um die Welt; die Salzkammergut-Klischeebilder werden von nun an von den Evergreens aus dem Weißen Rößl unterfüttert, daran ändert auch der Krieg nichts: Johannes Hesters und Peter Alexander, Johanna Matz und Waltraut Haas trällern die Erfolgsmelodien in den 1950er Jahren fröhlich weiter; vergessen scheint, dass die Nazis auch das Salzkammergut in ihre „ostmärkische“ Todeslandschaft rund um Mauthausen einbezogen hatten.

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