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waren schweißgebadet.

      Hagen war ein Krieger, der überall Aufsehen erregt hätte. Niemand würde ihn einen schönen Mann nennen, aber er besaß eine Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen konnte. Er überragte die meisten Männer um Haupteslänge, was ihn an und für sich schon zu einer Furcht einflößenden Erscheinung machte, der schwarze Bart, die Narben und die tief hängenden Brauen taten ein Übriges, seine düstere Natur zu unterstreichen. Zudem war er einäugig. Wo sich das linke Auge befunden hatte, gähnte ein Loch. Er sprach nie davon, bei welcher Gelegenheit er das Auge verloren hatte, und wenn man an seinem Leben hing, tat man gut daran, ihn nicht danach zu fragen. Meist verbarg er die unheimliche Höhle unter einer Augenklappe, nur in der Schlacht nahm er die Bedeckung ab, weil er genau wusste, welche Wirkung er damit unter seinen Feinden erzielte. Und Hagen war zu klug, um sich einen Vorteil wie diesen nicht zunutze zu machen.

      Das Training dauerte bereits den halben Tag. Trotz seiner Behinderung war Hagen ein guter Lehrer. Es gab keinen besseren Kämpfer weit und breit. Endlos probte er mit Gislher das Parieren eines bestimmten Hiebes und den darauf folgenden Gegenangriff, bis die Muskeln des Jungen die Kombination derart verinnerlicht hatten, dass sie von selbst reagierten. Die Übungen wurden mit der Spatha abgehalten, einem zweischneidigen Langschwert, das links getragen wurde. Es waren stumpfe Waffen, natürlich, doch auch so schmerzte ein Treffer noch genug, zumal Hagen seinen Schüler nicht schonte und die Schläge mit aller Kraft führte.

      Wie gewöhnlich beendete der Waffenmeister seinen Unterricht mit einem Scheinkampf. »Wir nehmen das Sax und den Schild«, entschied er. Das Breitsax mit der kurzen Griffangel war eine Mehrzweckwaffe, sowohl für den Hieb als auch zum Zustoßen geeignet.

      Ohne besondere Aufforderung zog Gislher seine Brünne aus und legte Helm und Beinschienen beiseite. »Beweglichkeit ist alles in einem Kampf«, pflegte Hagen zu sagen. »Wenn du dich mit einer Brünne schützt, bedeutet das, dass du dir nicht vertraust. Das ist so gut, als würdest du dich von vornherein für verloren geben.«

      Die nackten Oberkörper der Kontrahenten glänzten in der Sonne, als sie sich gegenseitig belauerten. Wie Hagen es ihm beigebracht hatte, beobachtete der Junge seinen Lehrmeister auf der Suche nach einer Blöße. Er war fest entschlossen, ihn diesmal zu besiegen. Seit den Tagen, da er als Kind mit Stockfechten auf den Schwertkampf vorbereitet wurde, träumte er davon. Er bewunderte den Waffenmeister; ihm im Kampf überlegen zu sein, schien Gislher das erstrebenswerteste Ziel auf der Welt.

      Hagen stand breitbeinig, die Füße leicht auswärts gestellt. Seine Arme hingen entspannt an ihm herab, die rechte Hand umfasste locker den Griff des Schwertes, dessen Spitze auf den Boden zeigte. Sein gesundes Auge war eher beiläufig auf seinen Gegner gerichtet. Alles in allem bot er ein Bild der Selbstversunkenheit, doch Gislher ließ sich nicht täuschen. Er bemühte sich, es seinem Lehrer nachzutun und eine selbstbewusste Haltung einzunehmen, war dabei allerdings nicht sehr erfolgreich. Mehrmals zuckten seine Muskeln, weil das unerwartete Brüllen eines Ochsen ihn erschreckte oder ein Windstoß durch Hagens Haare fuhr und ihm Bewegung vorgaukelte, wo keine war.

      »Du hast alles vergessen, was ich dich gelehrt habe«, sagte Hagen verdrossen.

      Gislher spürte, wie er rot wurde. »Was meinst du?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte.

      »Du zappelst herum wie ein neugeborener Säugling. Dies ist kein Spiel. Konzentriere dich!«

      »Ich bin konzentriert.«

      Hagen beachtete seinen Einwand nicht. »Du hast den Kontakt zu deinem megin verloren.«

      Beschämt senkte Gislher den Kopf. Natürlich hatte sein Lehrmeister recht. Und wenn er im nächsten Jahr auf dem Thing als freier Mann und Krieger in den Kreis der Sippe aufgenommen werden wollte, tat er besser daran, auf ihn zu hören. Der Junge atmete tief durch und bemühte sich, die Anspannung loszulassen. Nach und nach lockerten sich seine Muskeln, der Druck in seinem Bauch ließ nach. Schließlich konnte er es wieder spüren, sein megin, die Kraft, die aus der Essenz seiner Seele gespeist wurde. Jetzt war er bereit.

      Unvermutet stürmte er vor und zielte auf Hagens Kopf. Der Waffenmeister blockte den Hieb mit einer sparsamen Bewegung ab, ohne seinerseits anzugreifen. Gislher trat nach dem ungeschützten Unterleib seines Lehrers, doch der stand längst an einer anderen Stelle, reglos, als habe er sich nicht gerührt. Er unternahm keinen Versuch, mit dem Schwert nach Gislhers Bein zu schlagen, aber der Niflunge wusste auch so, dass der Waffenmeister es gekonnt hätte. Hagens scheinbare Schutzlosigkeit hatte ihn verleitet, die Deckung aufzugeben. Es ärgerte Gislher, dass seine Reaktionen so vorhersehbar waren. Verbissen drang er auf seinen Lehrer ein und traf doch immer nur dessen Schild. Das war das Frustrierendste an einem Kampf mit Hagen: dass dieser seine wütenden Attacken mit spielerischer Leichtigkeit parierte. Es schien ihn nicht einmal außer Atem zu bringen. Wo Gislher mit dem Eifer eines Knaben auf ihn eindrosch, konterte Hagen mit der Kunst eines Schwertmeisters.

      Keuchend hielt der Niflunge inne und rang nach Atem. Das war der Moment, auf den Hagen gewartet hatte. Wie ein Gewitter kam er über den Jungen und hieb von links und rechts auf ihn ein. Gislher taumelte rückwärts und konnte die Schläge gerade noch mit seinem Schild abfangen, zu einem Gegenangriff sah er sich außerstande. Die Hiebe fielen so schnell, so hart und so präzise, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als immer weiter zurückzuweichen. Der Waffenmeister trieb ihn vor sich her wie ein Kaninchen. Gislhers linkes Handgelenk, das den hölzernen Rundschild hielt und die Wucht des Angriffs auffangen musste, schmerzte; jeden Stoß spürte er bis in die Schulter.

      Unvermittelt blieb Hagen stehen und gab Gislher, der noch zwei, drei Schritte weiter taumelte, Gelegenheit, sich wieder zu fangen. Das Gesicht des Jungen lief dunkelrot an. Er fühlte sich gedemütigt. Zornig sprang er nach rechts und hieb nach seinem Lehrer. Es war der plumpe Versuch, Vorteil aus Hagens Einäugigkeit zu ziehen und ihn aus der Deckung seines blinden Flecks heraus zu besiegen. Gislher versuchte es nicht zum ersten Mal, und wie gewöhnlich funktionierte es nicht. Hagen war ein viel zu guter Kämpfer, um sich nicht über seine eigenen Schwächen im Klaren zu sein. Er hatte lange trainiert, um sein fehlendes räumliches Wahrnehmungsvermögen durch Instinkt zu ersetzen und einen Angriff von links blind abzuwehren.

      Stahl traf auf Stahl. Blitzschnell packte der Waffenmeister Gislhers Schwerthand. »Tu niemals in einem Kampf das Offensichtliche«, sagte er. »Dein Gegner rechnet damit.« Er ließ den Jungen los, und als dieser das Schwert hob, um noch einmal zuzuschlagen, rammte er ihm den Schild in den Magen.

      Gislher ging in die Knie und würgte. Als es ihm gelang, sich wieder zu erheben, war er wütend. »Ein Schild ist zum Verteidigen da«, grollte er, »nicht zum Angriff.«

      »Willst du überleben? Dann solltest du dich nicht von eingefahrenen Verhaltensweisen beherrschen lassen. Wenn du auf einen unterlegenen Mann triffst, genügt Erfahrung, im Kampf gegen einen Schwertmeister liegt deine einzige Hoffnung in der Überraschung.«

      Das Tor des Wehrzauns, der die Häuser der Niflungen umschloss, öffnete sich. Gunter kam heraus. Er hatte die Schwertschläge vernommen und wollte in Erfahrung bringen, welche Fortschritte Gislher machte. Aus den Augenwinkeln musterte er Gernholt, seinen anderen Bruder, der gegen die Pfahlwand lehnte und Hagens Technik studierte. Gernholt hatte offenbar einen guten Tag erwischt, sein Gesicht zeigte Farbe, und er nahm seine Umwelt mit wachem Interesse wahr. »Wie macht er sich?«, fragte Gunter, während er sich neben ihm niederließ.

      »Das Übliche. Er kämpft kraftvoll und mutig, aber er ist zu ungeduldig und vernachlässigt die Verteidigung.«

      Gislher hatte einen schweren Stand gegen seinen Lehrmeister; das frustrierte ihn und machte ihn wütend, wodurch er seine Schläge immer unpräziser ausführte.

      »Konzentriere dich!«, befahl Hagen und hieb nach der Hüfte des Jungen. Gislher schützte sich mit dem Schild und schlug seinerseits zu. Mühelos blockte der Waffenmeister den Schlag ab und zielte erneut auf die Hüfte. Unmerklich zwang er seinem Gegner einen Rhythmus auf: Schlagen – Senken des Schildes – Schlagen. »Denk an meine Worte«, sagte er, »eingefahrene Verhaltensweisen sind dein Tod.«

      Erst als sein Lehrer das Schwert nach oben riss, als wolle er ihm den Schädel spalten, während er

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