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Hoffnungsmorgen. Группа авторов
Читать онлайн.Название Hoffnungsmorgen
Год выпуска 0
isbn 9783865069689
Автор произведения Группа авторов
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Aber die Politik Roms ließ mir keine Wahl. Ich musste diesem hochnäsigen Gesindel zu Willen sein. Du kannst dir denken, wie es um meine Laune bestellt war. Sie wurde nicht besser, als ich die Beschuldigung hörte, die Kajafas vorbrachte. Dieser Gefangene – sein Name war Jeshua – solle das Volk aufgewiegelt haben, weil er ein Gotteslästerer sei. Was interessiert es mich, ob dieser seltsame jüdische Gott verlästert wird oder nicht? Dieser Gefangene interessierte mich auch nicht. Ein Gesindel mehr oder weniger – was soll’s?
Ich war willens, diese leidige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Zunächst legte ich dem jüdischen Rat nah, den Mann nach seinem eigenen Gesetz zu verurteilen. Aber sie wollten unbedingt ein Todesurteil haben. Hinrichtungen in besetzten Gebieten hat Rom sich vorbehalten, wie du weißt.
,Nun gut‘, dachte ich. ,Spreche ich halt das Urteil und kann dann in Ruhe zu meiner unterbrochenen Morgenmahlzeit zurück.‘
Und dann stand ich diesem Jeshua gegenüber. Ich hatte ihn in den Palast bringen lassen, um nicht länger auf meinem Vorplatz herumstehen zu müssen. Ich war spontan beeindruckt von diesem Mann.
Er wirkte überhaupt nicht wirr und rebellisch wie die meisten dieser jüdischen Wanderprediger, die bei ihren religiösen Führern in Ungnade fallen. Er war ruhig und gefasst, seine Ausstrahlung gefiel mir. Nicht einmal versuchte er, seine Ankläger schlechtzumachen oder sich zu verteidigen.
Und dann traf er mich mit knappen Worten mitten ins Herz. Ich fragte ihn: „Bist du der König der Juden?“
„Mein Königtum stammt nicht von dieser Welt“, antwortete er. „Ich wurde geboren und bin in die Welt gekommen, um die Wahrheit offenbar zu machen und als Zeuge für sie einzutreten. Wem es um die Wahrheit geht, der hört auf mich.“
Was soll ich sagen, liebster Neffe? Obwohl ich Jeshua eine entwaffnende Antwort gab, nämlich: „Was ist Wahrheit?“, hatte ich doch das Gefühl, der Wahrheit gerade begegnet zu sein. Ich wollte nicht, dass dieser Mann gekreuzigt wird!
Statt zu meiner Morgenmahlzeit zurückzukehren, war ich nun bereit, mich für Jeshua einzusetzen. Also ging ich hinaus zu Kajafas und der übrigen Priestermeute und sagte ihnen: „Ich sehe keinen Grund, diesen Mann zu verurteilen.“
Aber sie ließen nicht locker, behaupteten weiter, dass Jeshua das Volk aufwiegelt. Mir war klar, dass die Priesterschaft neidisch auf den Erfolg war, den Jeshua mit seiner Ausstrahlung bei der Bevölkerung hatte. Leider war mir auch klar, dass ich die religiösen Führer nicht brüskieren durfte. Wie schon gesagt – Rom und seine Besänftigungspolitik …
Dann fiel mir Herodes ein. Da Jeshua aus Galiläa stammte, war dieser jüdische König von Roms Gnaden als Erster zuständig. Wenn ein Jude Jeshua freisprechen würde, könnte sich der Zorn der Priester nicht gegen Rom richten. Und ich wäre fein raus. Also schickte ich Jeshua zu Herodes, der glücklicherweise gerade in Jeruschalajim weilte.
Die Priester hatten unterdessen eine große Volksmenge gegen Jeshua aufgewiegelt. Als ich der Menge mitteilte, dass Herodes und ich Jeshua begnadigen wollten, schrien sie: „Nein! Kreuzige ihn!“
Ich habe dir ja schon mal von dem Brauch berichtet, dass ich zum jüdischen Pessachfest einen Gefangenen freigebe, den das Volk bestimmen darf. Gestern war der Tag vor diesem Pessachfest. Also guckte ich einen ganz üblen Buschen aus, der wegen Mordes im Gefängnis saß. Er heißt Barrabas. Ich stellte die Menge vor die Wahl, entweder ihn oder Jeshua zu begnadigen. Ich war unglaublich schockiert, als die Menge schrie: „Gib uns den Barrabas frei!“ Ich verglich diesen üblen Gesellen mit Jeshua und verstand die Welt nicht mehr.
Und nicht, dass du denkst, ich hätte mir irgendwie die Sinne vernebeln lassen von einer charismatischen Persönlichkeit! Gut, ich kann mein Faible für ihn nicht erklären. Als ich Jeshua begegnete, war er auf den ersten Blick nicht anziehender als andere jüdische Verbrecher. Sein ehemals weißes Gewand war schmutzig, voller Schweiß und Blutstropfen. Eklig wirkte das, als hätte er Blut geschwitzt! Er sah völlig fertig aus nach einer langen Verhörnacht und roch auch nicht besonders gut. Trotzdem strahlte er Würde aus. Und irgendwie – ja. ich kann das nicht anders ausdrücken – Liebe. Oder Güte? Nicht nur Herodes und ich wollten Jeshua retten, deiner Tante Claudia ging es ganz genauso. Noch während ich auf dem Richterstuhl saß, schickte sie mir eine Botschaft: „Lass die Hände von diesem Gerechten! Seinetwegen hatte ich letzte Nacht einen schrecklichen Traum!“
Ach, Marcus, du ahnst nicht, was für eine Angst mich da ergriffen hat! Das war die dritte Bestätigung der Wahrheit: Jeshua war unschuldig! Ich selbst wusste das ja sofort, als ich mit ihm gesprochen hatte. Selbst Herodes, dieser leichtfertige Genussmensch, hatte das erkannt. Und nun stellte sich auch noch heraus, dass Claudia auf einem wundersamen Weg zur gleichen Erkenntnis gekommen war.
Verzweifelt versuchte ich, die Juden noch einmal davon zu überzeugen, Jeshua nicht hinrichten zu lassen. Aber sie schrien nur noch lauter: „Kreuzige ihn!“ Ich versuchte sogar, Jeshua dazu zu bringen, mir Rede und Antwort zu stehen, um einen Beweis seiner Unschuld vorbringen zu können. Doch er sprach nicht mehr mit mir. Ich bedrängte ihn und sagte: „Vergiss nicht, dass ich die Macht habe, dich freizugeben, aber auch die Macht, dich ans Kreuz zu bringen!“
Er sagte: „Du hättest keine Macht über mich, wenn Gott es nicht zugelassen hätte.“
Da hatte ich noch mehr Angst und wusste nur noch einen Ausweg. Auf die Idee hatte Herodes mich gebracht. Er hatte sich einen Spaß gemacht und dem fix und fertig aussehenden Mann ein Prachtgewand anziehen lassen. Das war grotesk und sah wirklich erbarmungswürdig aus. Ich dachte, diesen Eindruck könnte ich noch verstärken, und ließ Jeshua auspeitschen. Meine Soldaten verspotteten ihn und drückten eine Dornenkrone auf sein Haupt.
So – hilflos, beklagenswert und blutend – führte ich Jeshua noch einmal vor die Volksmenge. Ich hoffte auf ihr Mitleid, sagte nur: „Seht ihn euch an, den Menschen!“
Aber die Erregung der Menge wurde nur noch größer. „Kreuzigen, kreuzigen!“, so riefen sie lauter und lauter.
Im Einklang mit der Politik Roms blieb mir nichts anderes übrig, als ihnen ihren Willen zu lassen. Aber ich wollte unbedingt ein Zeichen setzen. Ich ließ mir eine Schüssel mit Wasser bringen. Vor allen Leuten habe ich mir die Hände gewaschen. Dabei sagte ich laut und deutlich: „Ich habe keine Schuld am Tod dieses Mannes. Das habt ihr zu verantworten.“
Ja, Marcus, ich weiß. Das war eine klägliche Vorstellung. Statt die Macht meines Amtes zu nutzen, habe ich mich dem Pöbel unterworfen – wider besseres Wissen und Gewissen. Aber du hättest diese Raserei der Menge erleben müssen! Da hätte ich nur mit Waffengewalt gegenhalten können. Und der Auftrag Roms lautet: Aufstände möglichst vermeiden. Das ist der Fluch eines hohen Amtes. Manchmal müssen persönliche Erkenntnisse zum Wohl des großen Ganzen hintanstehen.
Das soll dich aber nicht von deiner Entscheidung abhalten, im römischen Staat politische Karriere zu machen. Du hast da sicher eine glänzende Zukunft vor dir!
Ich selbst stecke immer noch mitten in den düsteren Grübeleien über mein Urteil. Gestern also wurde Jeshua gekreuzigt. Während dieser Zeit gab es mitten am Nachmittag stundenlange Sonnenfinsternis. Die war von unseren Auguren nicht angekündigt worden.
Du kannst dir vorstellen, wie mich – und auch Claudia – dieses Phänomen geängstigt hat. Sollte in der ganzen unglücklichen Geschichte doch eine höhere Macht das Sagen haben?
Am Sabbat heute herrscht Ruhe im ganzen Land. Der Leichnam von Jeshua ist noch vor Beginn dieses lähmenden wöchentlichen Ruhetags der Juden vom Kreuz genommen und begraben worden.
Kajafas hat mich genötigt, Wachen am