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ist nichts, weil er alles ist“, erwiderte er und schaute mich an. Ich lag nackt ausgestreckt auf dem Laken auf dem schmalen Bett und gleichzeitig fühlte ich mich schwerelos in der Luft kreisen. Der ganze Raum drehte sich um mich. Aus seinem Gesicht fühlte ich Wellen auf mich zufliessen, die mich umgaben, während er weiter sprach: „Jedes kleine Teilchen in mir ist mit menschlichen Erinnerungen gefüllt, die sich durch den Geist bereisen lassen, wenn der Mensch seine Träume und seine außerkörperlichen Erfahrungen für sich nutzen kann. Ich selbst drang in deinen Geist wie in ein verwandtes Territorium ein, und meine Botschaft veränderte sich in deiner Erinnerung, bis du sie als deine eigene erkanntest, denn ich bin die Kraft, die du gerufen hast, um dir zu helfen, der zu werden, der du bist.“

      „Und wer bin ich – der Du bist?“ Es war, als hätte meine Seele ihren Körper verlassen, denn obwohl ich mich teilweise unten in der materiellen Sphäre wahrnahm, spürte ich auch, wie ein anderer Teil seine Worte wie ein Treppengeländer benutzte, um sich zu den Göttern hinauf zu schwingen.

      „Es gibt kein Ich“, fuhr er fort. „Deshalb gibt es auch kein göttliches Wesen, das man beschreiben könnte, es gibt tausend innere Wesen, die sich zu einer Seele zusammenfinden und sich ständig nach ihren Selbsterfahrungen und ihrer Selbstwahrnehmungsidentität einordnen und umschichten. Zugleich spalten sich ständig Energieströme aus dem Persönlichkeitskern ab und gehen eigene Wege, indem sie sich mit neuen Bewusstseinskonfigurationen verbinden.“ Da fiel mir plötzlich auf, dass er eigentlich gar keine menschlichen Umrisse hatte; das Ganze erschien mir wie eine energetische Vibration. Ich schaute ihn genauer an und weiter fiel mir auf, dass sich sein Bild mit meinen Gedanken irgendwie anders als sonst verknüpfte: ähnlich einem Wesen aus einer anderen Welt, das sich wie eine menschliche Gestalt anfühlte, wie ein geträumter Mensch sozusagen, der eine mächtige Anziehung auf mich ausübte.

      „Ganz im Gegenteil“, tat mir der Halbgeträumte kund. Sein Gesicht vibrierte. Es verwandelte sich in einen riesigen Leuchtfleck. Das Licht schien sein ganzes Wesen zu durchfluten und mir war, als ob ich durch die halbgeöffneten Augenlider vor meiner eigenen Erkenntnis stand: „Man könnte diesen Vorgang auch als eine seelische Verwandtschaft bezeichnen, ein Sympathieband oder eine Art starke innere Bindung zwischen verschiedenen Wesen mit verwandten Genen. Zwischen diesen Energieteilen bleibt ein starker seelischer Bund bestehen, egal, wieweit sie sich voneinander entfernen.“

      Und als ich ihn fest anschaute, hatte ich den Eindruck von etwas ganz Realem; er war irgendwie tief in mir verwurzelt und übte eine mächtige Anziehung auf mich aus, aber irgendwie war er auch nicht real. Gleichzeitig spürte ich, wie seine Ausstrahlung meine Aufmerksamkeit losliess und sich mein Bewusstsein auf die alleinige Frage zubewegte: „Aber woher nehme ich die Gewissheit, dass du mir keinen Scheiss erzählst?“

      Plötzlich berührte er mich; es war wie ein Tropfen reiner Energie. Auch konnte ich seine energetischen Vibrationen sehen. Er schien sich meiner Anwesenheit bewusst zu werden und im gleichen Atemzug spürte ich seine Hand auf der Schulter.

      Es war, als sei ein Teil von mir, der schon gestorben war, durch diese Berührung wiederbelebt worden. Als ich die Augen öffnete, war es ein kurzer Moment der gleiche Schauplatz. Ich sah seine Gestalt, irgendwie war er mir vertraut, doch die ganze Szene verschwand in dem Augenblick, als er zu sprechen anhub: „Menschen, die sich anziehen, strömen in der Sekunde, da der Funke zündet und überspringt, miteinander korrespondierende Energieteile aus.“

      Ich spürte nichts, aber ich war überzeugt, dass mein Kopf an seiner Schulter lag: „Das ist übrigens das Geheimnis, das wir als Liebe empfinden, und die Art der Aneinanderreihung dieser Jenseitsmeditationen führt zu dem, was der Mystiker normalerweise als die Entwicklung der Persönlichkeit seiner Seele bezeichnet“, fuhr er fort. Seine Augen funkelten aus dem Nichts, und beinahe hätte ich mein Bewusstsein verloren.

       Kapitel 2

       Der Dialog mit dem eigenen Spiegelbild

       „Niemand, du?“

       Plötzlich konnte ich mich wieder erinnern. Es war mein Begleiter, mein innerer Psychopompos, der mich in der Vergangenheit durch die Abgründe meiner inneren Schatten geführt hatte. Es war vor langer Zeit, ich hatte es beinahe vergessen. Aber mit einem Mal stand die ganze Vergangenheit vor meinem inneren Auge da, und ich konnte mich an beinahe jedes Detail wieder entsinnen.

      Dann schlug Niemand die Kapuze seines Mantels zurück und mit einem einzigen Blick wurde mir die Antwort klar: Ich sah mich selbst! „Ich bin nicht der, den du zu sehen glaubst“, hörte ich seine Botschaft im Raum, „ich bin der Wächter der Seele am Ende der Träume, der aus dem alten Nichts-weil-es-alles-ist hervorgegangen ist, um dir das zu vermitteln, an das du dich in diesem Augenblick zu erinnern beginnst.“

       „Was willst du damit sagen?“

      Ich konnte seine Augen in der Dunkelheit leuchten sehen. „Ich blicke in dir auf viele verwandte Erinnerungen zurück, aus denen auch ich einst hervorging, denn ich bin die Summe dessen, der du am Ende deines Weges sein wirst“, spürte ich seine Worte tief in mir, denn sie schienen mir etwas vermitteln zu wollen, das über meine Wahrnehmung hinausging, das Unsagbare nämlich, das nicht wirklich vorstellbar war. „Vergangenheit und Zukunft sind nichts anderes als kosmische Chips oder duale Komponenten, von der Schöpfung als Zeit-Raum Wahrnehmungsmuster im Gehirn unserer Spezies verdrahtet, um die dualen Abläufe in der menschlichen Wahrnehmung zu gewährleisten, und keinesfalls als unabdingbare Form. In diesem Sinn bin ich deine erinnerte Zukunft, in die du einst hineinwachsen wirst, auch wenn alle Teile, die du einst sein wirst, längst in dir vorhanden sind, ähnlich wie deine Lebenswünsche lange schon vor ihrer Erfüllung in deiner Seele fest verankert sind, auch wenn sie nach materiellen Gesichtspunkten noch gar nicht existieren.“

      „Du willst meine erinnerte Zukunft sein …“, krächzte ich. „Glaubst du denn wirklich, ich will zu dir?“ Ich stellte fest, dass seine Aussage mehr als eine Feststellung war; es war wie eine gefühlte innere Stimme, eine Art sechster Sinn.

      Seine Antwort fiel sehr knapp aus: „Jedes Ego strebt am Ende zu seinem höheren Selbst: Zu mir!“ Die Atmosphäre rund um seine Gesichtszüge flackerte. Ich spürte, dass es nichts mehr zu sagen gab; mein schnodderiger Einwand hatte die Kommunikation verwehrt und es gab nichts mehr, über was wir uns sonst noch hätten unterhalten können. Sein Blick trübte sich ein und ich befürchtete schon, Niemand verschwände oder löste sich auf.

      Doch schon im nächsten Moment war sein Blick wieder durchdringend und klar. Er konzentrierte sich auf den kranialen Ansatz meiner Nasenwurzel: „Du glaubst, dass das, was ich sage, einfältig und simpel ist“, sagte er ungerührt, „nur weil du dir wahrscheinlich unendlich tief und sensibel vorkommst – doch dem ist nicht so! Jedes Ego glaubt, sein Leben wäre eine tolle Abenteuergeschichte, die sich vor ihm ausrollt. Erst wenn der Mensch in zunehmendem Alter merkt, dass die Lebensströme immer mehr versickern, bis das Ganze am Ende schliesslich ganz versiegt, ist er am Ziel. Denn im Grunde handelt es sich um eine sich immer enger zusammenziehende Kurzgeschichte, die sich nur durch die kontrollierende Instanz des Ego wie ein grosser Abenteuerroman anfühlt. Am Ende des Lebens haben die wenigsten Menschen die Kraft, sich selbst zu betrügen.“

      „Allmählich begreife ich, was du mir sagen möchtest“, entgegnete ich nach einer gewissen Zeit kleinlaut. Dann begann er wieder über den Tod und uns beide zu sprechen und wunderte sich über meine Art, die wirklichen Dinge selbst am Ende des Lebens noch zu verdrängen. Er beschrieb die Zeit und die Erkenntnisse aus den Abläufen der aufeinander folgenden Abschnitte als das wahre Bindeglied zwischen den Generationen und legte dabei besonderen Wert auf die Erkenntnis, dass er für mich genau die Antwort parat hätte, die ich Zeit meines Lebens in der Welt gesucht hätte.

      „Ich danke dir! Es scheint mir, als wolltest

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