Скачать книгу

Gemeinden im 1. Jh. orientiert sind.

      Zwar fehlt ein eigenes Zeugnis des Paulus über den letzten Jerusalemaufenthalt, doch enthält die Berichterstattung der Apg in Kap. 21 wertvolles, altes Textmaterial, auch wenn der Wir-Bericht nur eine Augenzeugenschaft fingieren soll.64

      Paulus reist mit einigen Begleitern von Milet über Cäsarea nach Jerusalem. Er erhält in Cäsarea gastliche Aufnahme beim Hellenisten Philippus und in Jerusalem beim Hellenisten Mnason (Apg 21,16). In der Jerusalemer Gemeinde, die gesetzestreu lebt und der Jakobus vorsteht, ist seine Person höchst umstritten, denn Gerüchte kursieren: Paulus sei antinomistisch und wende sich gegen die Beschneidung von jüdischen Knaben. Jakobus sagt daher zu Paulus: (Viele Tausende von Gläubiggewordenen unter den Juden) »haben über dich erfahren, du lehrtest alle Juden, die unter den Heiden sind, den Abfall von Moses, indem du sagtest, sie sollten ihre Kinder nicht beschneiden und nicht nach (jüdischen) Bräuchen leben«. (Apg 21,21). Paulus tritt dem durch die Übernahme der Auslösung von vier Nasiräern entgegen (Apg 21,26). Ein solcher Akt, der im Judentum als frommes Werk galt, bestand aus einer Geldspende an den Tempel, womit das Ende des Gelübdes der Nasiräer bezeichnet wird. Er selbst geht daher in den Tempel, um sich als einer, der unter Heiden gewesen ist, entsühnen zu lassen.

      Man hat gefragt, ob der auf der Grundlage der Tradition der Apg gewonnene Erzählablauf überhaupt Anspruch auf historische Wahrscheinlichkeit haben kann. Das ist nachdrücklich zu bejahen, da andere Quellen die Bestandteile der herausgeschälten Tradition bestätigen:

      a) Durch andere Quellen65 wird die Führungsstellung des Jakobus und der nomistische Charakter der Gemeinde in den fünfziger Jahren des 1. Jh.s bekräftigt.

      b) Die Beteiligung des Apostels an einem Kultakt ist wegen des Freiheitsverständnisses des Paulus gut denkbar. So schreibt er verallgemeinernd 1Kor 9,19 – 21:

      (19) »Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich immer mehr gewänne. (20) Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich Juden gewänne; denen, die unter dem Gesetz stehen, als ob ich unter dem Gesetz stände …; (21) denen, die ohne Gesetz sind, als ob ich ohne Gesetz wäre …«

      c) Dass der Apostel bei einem Hellenisten Unterkunft fand, ist wegen der früheren engen Beziehung des Paulus zu den Hellenistenkreisen wahrscheinlich. Er ist ja von diesen Gruppen, die er einst verfolgte, im Christentum unterwiesen worden.

      d) Schließlich dürfte, wie bereits erwähnt, der Apg 21,21 ausgesprochene Vorwurf gegen den Apostel historisch sein und zutreffend die Vorbehalte Jerusalemer Christen gegen Paulus wiedergeben. Er lautet: Paulus »lehrt alle Juden, die unter den Heiden wohnen, den Abfall von Mose« und sage, »sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden und auch nicht nach den (jüdischen) Bräuchen leben«.

      Ein solcher Vorwurf kommt im Verhältnis zu dem, was in der Apg von Paulus berichtet wird, überraschend. Lukas hatte Paulus als praktizierenden Juden beschrieben, der z. B. Timotheus beschnitt (Apg 16,2 f) und sich später als gesetzestreuen Pharisäer hinstellte (Apg 23,1 – 9). Deswegen geht der genannte Vorwurf sicherlich auf eine vorlukanische Überlieferung zurück.

      Historisch hatte er einen Anhalt in dem, was in paulinischen Gemeinden wirklich vor sich ging. Zwar predigte Paulus in Übereinstimmung mit den Absprachen auf dem Konzil und entsprechend seiner Berufung vornehmlich den Heiden das Evangelium. Auch findet sich in keinem seiner erhaltenen Briefe eine Aussage, wie sie ihm Apg 21,21 unterstellt wird. Doch erwartete der Apostel von geborenen Juden im Umgang mit Heidenchristen zumindest teilweise die Nichtbeachtung von Speisegesetzen (vgl. Gal 2,11 ff) und schärfte in seinen Briefen mehrfach die Gleichgültigkeit des Gesetzes gegenüber der neuen Schöpfung in Christus ein. Ein Lehrsatz, der schnell zu einer Kampfesformel werden konnte, lautete z. B.:

      »Beschnittensein ist nichts, und Unbeschnittensein ist nichts,

       sondern Gottes Gebote halten (sc. darauf kommt es an)«. (1Kor 7,19).

      Ein anderer Spruch hatte folgenden Inhalt:

      »(In) Christus gilt weder Beschneidung etwas

      noch Unbeschnittenheit etwas,

      sondern eine neue Kreatur«. (Gal 6,15).66

      Konnte es da ausbleiben, dass geborene Juden infolge einer solchen Praxis sich vom Gesetz entfremdeten und ihre Kinder nicht mehr beschnitten?

      Apg 21,21 gibt daher eine historisch zuverlässige Information über die Folgen der Predigt des Paulus sowie seiner Praxis unter Juden und über die starken Vorbehalte, um nicht zu sagen: die Feindschaft der Jerusalemer Gemeinde ihm gegenüber wieder. Zwar litt Paulus in Jerusalem für eine Sache, die nicht die seine war, nämlich die totale Loslösung des Christentums vom Judentum. Aber die Judenchristen hatten frei nach Adolf von Harnack recht: Letztlich zerstörte Paulus’ Werk die jüdischen Sitten und bereitete dem Gesetz des Moses ein Ende.

      Wenn nun feststeht, dass die letzte Jerusalemreise des Apostels den alleinigen Zweck hatte, die Kollekte abzuliefern, warum steht darüber nichts in Apg 21? Dieser Befund ist um so erstaunlicher, als Apg 21 im wesentlichen historische Elemente enthält. Gerade deswegen erscheint es ausgeschlossen, dass die in Apg 21 benutzte Quelle keinen Hinweis auf die Sammlung enthielt, was die Frage provoziert: Warum tilgt Lukas jeglichen Hinweis auf die Kollekte in jenem Kapitel?

      Die Dringlichkeit der Beantwortung der Frage wird erhöht, wenn sich in Apg 24,17 (Paulus in Jerusalem: »Nach vielen Jahren bin ich hergekommen, um für mein Volk Liebesgaben zu bringen und zu opfern«) eine versprengte Notiz über den Sinn der letzten Jerusalemreise des Paulus verbirgt.67 Die einzige mögliche Antwort auf die gestellte Frage kann daher nur lauten: Lukas meidet Apg 21 absichtlich das Kollektenthema, weil die von ihm benutzte Quelle von einem Scheitern ihrer Übergabe bzw. von ihrer Ablehnung berichtete. Hätte nämlich die Quelle ihre Annahme erzählt, würde Lukas diese Nachricht aufgenommen haben (an dieser Stelle!), kommt es ihm doch gerade darauf an, das gute Verhältnis zwischen Paulus und der Jerusalemer Gemeinde aufzuzeigen. Statt dessen vorverlegt er das in Kap. 21 vermiedene Kollektenthema und bringt es Apg 11,27 ff, wo er unter Verarbeitung von Einzeltraditionen eine »Modellreise« konstruiert68 und Barnabas und Paulus eine Kollekte nach Jerusalem bringen lässt. (Freilich wird selbst dort nicht explizit von einer Annahme der Sammlung berichtet!)

      Nun kann man natürlich historisch versuchen, die Auslösung von vier Nasiräern mit der Kollekte in Verbindung zu bringen, und überlegen, ob nicht Paulus einen Teil des Kollektengeldes dafür verwendet haben mag.69 Aber auch in diesem Fall bleibt das Fehlen einer Erwähnung der Kollekte erklärungsbedürftig, und die These, die Kollekte sei »anscheinend gleichsam nur im Nebenzimmer und sozusagen nur flüsternd übergeben und empfangen« worden70, ist eine Verlegenheitsauskunft. Sie geht nämlich von der nicht mehr hinterfragten Voraussetzung aus, die Jerusalemer Gemeinde habe auf jeden Fall einen Bruch mit Paulus vermeiden wollen. Das aber ist doch die Frage, um so mehr, als Paulus wenige Jahre zuvor in Jerusalem nur mühsam das Blatt zu seinen Gunsten hatte wenden können.

      Dieser Rückschluss auf eine Ablehnung der Kollekte71 wurde in der Forschung oftmals so nicht gezogen. Jürgen Becker schreibt: Es »muß … unter den Judenchristen in Jerusalem Leute gegeben haben, die für eine Verweigerung der Kollekte eintraten.« Er fährt sogleich einschränkend fort: »Zu diesen wird mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit nicht Jakobus gezählt haben.«72 Die Hauptbegründung dafür leuchtet jedoch nicht ein, denn in einer Konfliktsituation war es auf jeden Fall denkbar, »daß Jakobus seine Anerkennung des Heidenchristentums auf dem Apostelkonvent … durch die offizielle Verweigerung der heidenchristlichen Kollekte praktisch in Gestalt eines öffentlichen Eklats rückgängig machen konnte.«73

      Aber wieso soll den Jerusalemer Judenchristen eine Kollekte nicht mehr willkommen gewesen sein, die sie einige Jahre zuvor noch akzeptiert hatten? Mehrere Gründe legen sich als Antworten nahe.

      Zum einen war die Spannung zwischen Paulus und den Jerusalemern gestiegen. Der Apostel hatte Worte gegen das Gesetz geschrieben, die den Jerusalemern zu Ohren gekommen waren. Aus ihrer Mitte waren Spione in die paulinischen Gemeinden entsandt worden. Sie hatten dort Gräueltaten gegen das Gesetz beobachtet, die geborene Juden betrafen: Judenchristen beschnitten ihre Kinder nicht mehr und aßen zusammen mit Heidenchristen.

      Zum

Скачать книгу