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Nathaniel hob die Zeitung an, die Liam gelesen hatte. Aha …

      „Liam ist Joggen gegangen.“ Jonathan konzentrierte sich wieder auf sein iPad, tippte, wischte, scrollte wahrscheinlich durch seine Emails. „Warte, bis er zurück ist.“

      „Ich brauche Liam nicht.“

      Die Aufmerksamkeit war zurück. „Du gehst nicht alleine aus.“

      „Ich brauche keinen Leibwächter auf dieser kleinen Insel. Die Leute hier wissen nicht einmal, dass ich hier bin.“

      „Mrs. Butler weiß, dass du hier bist.“

      „Ja, aber ich bin der Überraschungsgast bei ihrer Benefiz-Veranstaltung, also wird sie es sicher nicht vor der Zeit herumerzählen. Außerdem lieben die Amerikaner die britischen Prinzen. Wir Jungs aus Brighton laufen unerkannt nebenher.“

      „Die Krone wird meinen Kopf verlangen, wenn dir irgendetwas passiert.“

      „Soll ich ihnen eine Nachricht schicken, dass ich mich entschieden habe, alleine herumzustrolchen, um dich deiner Verantwortung zu entheben?“

      „Jetzt bist du gönnerhaft.“

      „Und du machst dir zu viele Sorgen, Jonathan.“ Nathaniel drehte sich um. Das Gespräch war beendet. Er ging aus – alleine.

      Obwohl er bereits drei Tage im Sommerhaus seiner Familie auf der Insel verbracht hatte, hatte Nathaniel noch nicht viel von ihr gesehen. Den Strand, der zugegebenermaßen sehr schön war, die besorgte Miene seines persönlichen Assistenten und die ernsten Blicke seines Sicherheitsoffiziers. Beide gute Freunde, aber eben nicht so besonders schön waren … das war’s.

      Drei erwachsene Männer im Urlaub, die in einem hundert Jahre alten Sommerhaus Filme schauten und ein uraltes Brighton‘sches Kartenspiel spielten. Nathaniel wurde langsam unruhig.

      Gut, im Grunde war er auf einer Geschäftsreise in Amerika, nicht für einen Erholungsurlaub. In königlicher Angelegenheit, um genau zu sein. Aber eigentlich schuldete ihm das Königreich Brighton einen echten Urlaub. Einen mit Sonne, Strand und Wellen und vielleicht der Gesellschaft einer hübschen Dame, mit der er essen gehen konnte.

      So gesehen könnten ihm sein Berater und seine geliebte Nation ruhig einmal eine oder zwei Stunden für sich gönnen.

      „Weißt du, wohin du fährst?“ Jonathan eilte um das Sofa herum, um Nathaniel im Foyer aufzuhalten.

      „Zum Glück nicht.“ Nathaniel trat hinaus in die Sonne und die Freiheit. Er liebte sein Land. Liebte Brightons wolkenverhangene Tage mit einem Hauch Frost in der Luft. Aber die Sonne, die Hitze und den endlosen blauen Himmel Georgias liebte er auch. „Es ist eine kleine Insel. Ich bin sicher, ich werde mich zurechtfinden.“ Er lächelte Jonathan zu, der so ernst und angestrengt war. Der Mann nahm seine Pflichten als Berater des Kronprinzen von Brighton sehr genau.

      „Ich komme mit.“

      „Jonathan, ich brauche mal einen Moment nur für mich.“ Nathaniel rutschte hinter das Lenkrad. „Zum Nachdenken.“

      „Worüber?“

      „Ich weiß auch nicht … Über das Leben.“

      Der Mann seufzte und ließ seine dünnen Schultern hängen. „Hast du dein Handy dabei?“

      Nathaniel klopfte auf seine Hosentasche, in der er das Telefon verstaut hatte. „Mach einfach mit dem weiter, was du bis eben gemacht hast, Jon. Ich werde nicht lange weg sein.“

      Nathaniel lenkte den Wagen aus der Ausfahrt, schlug den Weg nach Süden in Richtung des Ocean Boulevards ein und öffnete alle Fenster.

      Die sonnenheiße Julibrise füllte den Raum und zerzauste ihm das Haar. Der Wind zerrte an den losen Enden seines Hemdes und an den Gedanken, die an seinem Herzen nagten.

      Nathaniel legte den Ellbogen ins Fenster und nahm den Fuß vom Gas. Er machte es sich in seinem Sitz bequem und lenkte das große Auto durch das wechselhafte Licht, wo die Helle des Nachmittags bereits den längeren Schatten des Abends wich.

      Als er eine alte Frau entdeckte, die auf dem schmalen Lehmpfad neben der Straße Fahrrad fuhr, begann er langsam, sich zu entspannen.

      Trotzdem, die Nachrichten von Zuhause waren nicht gut gewesen, als er eben das Haus verlassen hatte. Papas Gesundheit ließ merklich nach. Nathaniel vermutete, dass er nicht nur hierher geschickt worden war, um seiner entfernten Kusine Carlene Butler einen Gefallen zu tun, sondern weil es möglicherweise Nathaniels letzter Ausflug als freier Mann war. Mit 32 Jahren dachte er, er hätte Jahre – Jahrzehnte –, bevor die Königswürde auf ihn wartete.

      Stattdessen blieben ihm Monate. Ein Jahr vielleicht, höchstens.

      Mit einem Gefühl des Wiedererkennens lenkte er den Wagen um eine Kurve. Er brauchte mehr Zeit. Um Papas Weisheit in sich aufzunehmen. Um seine jugendliche Rebellion und seine Indiskretionen in den Griff zu bekommen.

      „Du wirst binnen eines Jahres König sein. Bereite dich darauf vor.“ Papa war so sachlich. So förmlich. Erst König, dann Mensch.

       „Papa, nein, du wirst dich erholen …“

      Als Nathaniel an einer Ampel hielt, atmete er den süßen Duft der Jasminblüten ein. Er erinnerte ihn an zu Hause. An die Sommer seiner Kindheit mit Papa, Mama und seinem kleinen Bruder Stephen in Parrsons House.

      Als die Ampel auf Grün umsprang, wählte Nathaniel im Kreisverkehr den Weg über Frederica nach Demere.

      Diese Ausfahrt war genau das, was er gebraucht hatte. Eine neue Perspektive. Das Leben veränderte sich. Zu plötzlich. Zu schnell.

      Der Druck, sich eine Frau zu suchen, würde immens wachsen, sobald er wieder nach Brighton zurückkehrte. Erst von Mama, dann von Papa. Dann seitens der königlichen Behörde. Vielleicht würde der Premierminister „auf ein Wort“ mit ihm sprechen wollen.

       Sag, Nathaniel, hast du dir denn schon Gedanken über die Wahl deiner Braut gemacht? Der Thron braucht einen Erben.

      In letzter Zeit hatten die Medien angefangen, ihre britischen und deutschen Vettern nachzuahmen und schlüpfrige Geschichten über die königlichen Prinzen zu drucken. Sie wollten Auflage machen. Deswegen streuten sie abfällige Bemerkungen über die Heiratsabsichten des Kronprinzen, erinnerten die Leute an seine jugendlichen Unüberlegtheiten und daran, dass er in den letzten zehn Jahren keine feste Begleiterin gehabt hatte. Schön, schön … ein ganzes Jahrzehnt. Obwohl er neuerdings immer öfter mit der schönen Lady Genevieve Hawthorne gesehen worden war.

      Nathaniel nahm den Damm von Torras nach Brunswick, folgte den Kurven der Straße und ließ sich von ihr leiten.

      Er war gerade scharf rechts abgebogen, als sein Blick auf ein Straßenschild fiel. Prince Street.

      Nathaniel nahm den Fuß vom Gas und ließ den Geländewagen langsam im Schatten der Virginia-Eichen entlanggleiten. Eine sanfte Brise strich vorbei. Prince Street … Das Schild machte ihm ein bisschen Hoffnung, gab ihm das Gefühl, dass doch alles gut werden könnte. Als ob er tatsächlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein könnte. Ein ungewöhnliches Gefühl für Kronprinzen.

       Herr, ich bin bereit …

      Er wollte gerade wenden, als er auf eine laute, weibliche Stimme aufmerksam wurde. Nathaniel lehnte sich über das Lenkrad, kniff die Augen zusammen, um besser durch das Spiel von Licht und Schatten sehen zu können. Eine Frau ging um ein Auto herum, das unter einem riesigen, knorrigen alten Baum geparkt war. Ein abgerissen aussehender Mann folgte ihr.

      Sie hielt an und wedelte mit einem Eisenstab oder etwas Ähnlichem und zeigte die Straße hinunter, als ob sie ihm sagen wollte, dass er gehen soll.

      Der Mann trat mit einem wölfischen Grinsen einen Schritt auf sie zu. Sie schwang den Gegenstand in ihrer Hand in seine Richtung. Gut gemacht, Mädchen!

      Nathaniel fuhr sein SUV unter den Baum, parkte neben dem kleinen grünen Cabrio und stieg aus.

      „Kann

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