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zugrunde liegende Religiöse schleppen sie unbewusst mit. Das Resultat prägt das ganz und gar selbstbewusste Auftreten spirituell-esoterischer Selbstdarsteller: hyperauthentisch, aber nicht echt.

      „Man muss sich an seiner Religion abarbeiten“ …

      … betont der Medienphilosoph Norbert Bolz [12]. Und damit meint er nicht die persönlich zurechtgezimmerte, sondern jene unseres Kulturkreises. Denn ansonsten klebt uns diese immerzu an den Fersen, Schritt für Schritt. Ob nun im Selbstverwirklichungsmilieu oder in esoterischen Dunstkreisen, wo man hinschaut dieselben Schemata: Schuldgefühle, Unwertsein, Ablasshandel, Beicht- und Bekenntniskult, Leistungsethos, Dienen sowie Erlösungssehnsucht: Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Wer sich seine kulturgeschichtlichen Wurzeln nicht vergegenwärtigt, wird ewig in diesem Hamsterrad rotieren. Denn diese Prinzipien prägen gewissermaßen unser Ich-Empfinden. Ob wir das loswerden können, wage ich nicht zu beantworten. Doch simples Wissen kann hier helfen.

      Gewiss, Meditation dient als gangbarer Weg zu mehr „subjektbezogener“2 Gegenwärtigkeit, doch den Geschichtsunterricht ersetzt sie uns nicht. Ganz im Gegenteil: Falsch verstanden und eingesetzt bedient sie viel eher die Auswüchse einer in sich selbst verliebten Gesellschaft und der darin kultivierten Glückseligkeitsdoktrin. Meditation ohne Wissen ist wie das Reisen ohne Landkarte, man verirrt sich leicht. Und egal ob nun Trance oder die Praxis kontemplativer Versenkung – Medikamente können gesund machen, doch wenn man sie auch als Gesunder noch nimmt, dann ist das Doping. Doping macht schnell auch süchtig.

      Unabhängig also davon, welche Form der Innenschau wir betreiben, es lohnt sich, darüber zu reflektieren, wann man auf dem Holz- oder besser Kreuzweg ist. Denn je mehr man sich mit seinen eigenen vier Wänden beschäftigt, desto mehr abgestoßene Ecken, Kanten und Macken treten hervor: Polieren, Putzen, Staubsaugen, Selbstoptimierung ohne Ende sind die Folge. Eingebettet in einen Wettlauf spiritueller Workaholics werden wir so vielleicht immer noch heiler, noch ganzer, noch leidfreier, aber wozu? Wird’s nicht ab einem gewissen Grad irgendwie unnatürlich? Gibt es nicht noch etwas Wichtigeres als das eigene Innenleben, etwas Erstrebenswerteres als formvollendete Ganzheit?

      Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück

      Eben derlei „Werte“ gilt es zu hinterfragen. Ansonsten landen wir abermals bei Franz Schubert: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“ Uns plagt die Sucht nach dem Sehnen, die im Stück „Der Wanderer“ ihren Widerhall findet. Ewig getrieben von einer unbändigen Gewissheit, wonach überall die Wiesen grüner sind, nur nicht im eigenen Garten. Sei es nun beim Schamanen im peruanischen Urwald oder in einem Tempel im Himalaya. Wir machen uns bereitwillig zum Spielball unserer eigenen Projektionen.

      Es ist absolut in Ordnung, Weisheitslehren aus Fernost zu importieren, doch müssen wir deshalb auch deren spirituell-aristokratische Hierarchien mitbejubeln? Es ist okay, sich dann und wann dem Irrationalen hinzugeben, doch müssen wir deshalb gleich höhere Wahrheiten mit ins Boot holen? Karma-Religionen und irrationale Erklärungsmodelle eröffnen einen Kosmos, in dem jeder alles behaupten kann und darf. Wenn wir dahin zurücksteuern, liegt jede Beweislast fortan beim hilflosen Kritiker. Dann können wir gleich wieder Hexen verbrennen. Der sehnsüchtig Suchende läuft hier Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und ehe man sich’s versieht, verwirft man alles, was Denker, Künstler und Schreibende aller Art über Jahrhunderte an Freiheit für uns erkämpft haben.

      Doch Freiheit scheint heutzutage nicht mehr viel wert. Für manche wirkt sie geradezu wie ein Feindbild. Apolitisch, antiintellektuell und antimodern. Wenn es um die bereitwillige Aufgabe aufklärerischer Werte geht, liefert die Esoterik 2.0 ein umsatzträchtiges Exempel. Von Frauenrechten keine Spur, inszeniert frau sich als Engel oder „Weisse Priesterin“ [13] – narzisstische Aufwertung mit dem Etikett einer neu gefundenen Reinheit. Doch tatsächlich geht es hier um eine groteske Form von „Ent-freiung“, welche das Gefühl von Freiheit verkauft – ein Rückschritt ins dunkle Spätmittelalter und nichts anderes.

      Es bleibt, was es ist, ein New Cage.

Die Epidemie

      Laut führenden Trendforschern glauben 40 Prozent der Deutschen ihr Leben von magischen Kräften durchwirkt [14]. So wie das „Entgiften“ des eigenen Körpers zum selbstverständlichen Ritus einer neuen Gesundheitskultur geworden ist, säubert beziehungsweise „entstört“ man dieser Tage selbstredend seinen Wohn- und Arbeitsbereich. Nicht nur sauber, sondern energetisch rein soll nun alles sein. Lokalisierte man ehemals noch irgendwelche Geister oder verlorene Seelen als Quelle seines Unbehagens, geht man nun daran, sein Dasein wieder an das „astrale Magnetgitter“ anzubinden. Das alles im Namen der Ganzheitlichkeit, das Universum als lebender Organismus. Re-Connection an die kosmische Ordnung und laufende Rekalibrierung sind die magischen Einflussnahmen der Esoterik 2.0.

      So wie alle anderen Bereiche unseres Lebens unterliegt auch das Magische bestimmten Moden. Die neuen Labels sprechen nicht nur die Sprache ihrer Zeit, vor allem bedienen sie die Sehnsüchte eines weitaus größeren Publikums als je zuvor.

      Realpolitik einmal anders

      „Warum geraten Parlamentarier in Rage?“, fragte die österreichische Kronen Zeitung im Jänner 2012. Die Antwort scheint einfach: „Erdstrahlen und Wasseradern“. Und diese wurden bald ausfindig gemacht: von einem Mitglied des Parlaments – seines Zeichens „Energethiker“ – und seinem Team. Mittels Wünschelrute, Weihrauch und Truthahnfeder erfolgte ein eigenwilliger „Energie-Check“ im großen Plenarsaal des Hohen Hauses, in Anzug und Krawatte versteht sich. Das Ergebnis: Kanzler und Vizekanzler säßen auf energetisch „guten“ Plätzen, am Rednerpult hingegen wirke „das härteste Störfeld des ganzen Saales“. Diese Belastung könne „aufwühlen und aggressiv machen“!

      Folgt man dem Ergebnis dieser Untersuchung, bedürfen gesellschaftliche Spannungen weniger politischer Lösungen als viel eher energetischer Säuberungen. Quelle: [15]

      Es sind schon lange nicht mehr die Spinner

      Die Marketingfachleute haben den allgemeinen Trend längst aufgegriffen. Man spricht vom Entstehen einer „neuen Bewusstseinsindustrie“, und das in einer „Gesellschaft der Sinnsuchenden“ [16]. Die sogenannten „Sinntouristen“ werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren an die „40 Prozent aller Urlauber“ ausmachen, konstatiert Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut Kelkheim. Dazu passen Berechnungen der Dresdner Bank, wonach die deutschen Bundesbürger bereits jetzt pro Jahr „an die neun Milliarden Euro in Lebenshilfe, Orientierung, Selbstverwirklichung und Sinnsuche“ investieren. Von einem Industriezweig zu sprechen scheint da wohl kaum übertrieben. In diesem Umfeld gereicht so etwas wie „yogisches Fliegen“ nicht mehr zur Besonderheit. Ganz im Gegenteil: Ehemals „Esoterisches“ wird zusehends zu einer Art Volkssport. Wer hier nicht mitmacht, stellt sich geradewegs ins Aus.

      Schon Georg Lukács (1916) ortete ein Zeitalter „transzendentaler Obdachlosigkeit“ [17]. Und von einem Rückgang des religiösen Hungers will wohl niemand ernsthaft reden. Umso vielversprechender demnach die Frage, welche Form die spirituellen Einhausungen dieser Tage angenommen haben. Eines kurz vorweg: Esoterisches Gedankengut ist uns keineswegs fremd. Es ist vielmehr zum selbstverständlichen Geistesgut unserer Gesellschaft geworden.

      Von rosaroten Panthern

      Wer hat an der Uhr gedreht? Theologen wie Paul M. Zulehner bemerken vor allem seit den Neunzigerjahren einen „Megatrend zur Respiritualisierung“ [18] unserer Lebensweise und damit einhergehend eine kontinuierliche Verfärbung unserer sozialen Wahrnehmung. Ehemals Exotisches wird nicht mehr als solches identifiziert. Und wenn uns das Rosa der Esoterik nicht mehr ins Auge sticht, mag das auch folgende Gründe haben:

       Vielleicht tragen wir alle bereits rosarote Brillen. Paulchen Panther wäre demnach für unser Auge kein Verdächtiger mehr. Er erschiene ganz einfach wie einer von vielen. Um ihn zu finden, müssten wir den Filter aus unserem Blick entfernen,

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