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sein wollen, ist der Fake die Eintrittskarte ins Establishment. In jeder professionellen Umgebung.

      Angesichts einer immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung und Spezialisierung gewinnt der Faker das Vertrauen des Marktes, indem er zunächst vortäuscht, was er dann tatsächlich lernt und irgendwann beherrscht.

      Der Fake ist also zweierlei – ein Versprechen an sich selbst und an den Markt: Ich kann, was ihr von mir erwartet, obwohl ich das noch nie bewiesen habe. Der Faker ist kein Hochstapler oder Betrüger, sondern versteht sich aufs Überleben im System. Gesellschaft und Markt verlangen den Fake, weil sie sich dann besser orientieren können. Fake ist keine negative Strategie der Kompetenzaneignung, sondern eine positive Strategie der Selbstbehauptung. Er ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Profi – erst Schein, dann Sein. Niemand faked zum Spaß, sondern weil es notwendig ist. Zu faken ist ein Zeichen, dass wir etwas wirklich können wollen. Dass wir sein wollen, was wir zu sein scheinen.

      Bei Hochstaplern wie Gerd Postel verhält sich das genau umgekehrt: Sie wollen mehr scheinen als sein. Was sie antreibt, ist meist nicht so sehr die Gier nach Geld, sondern viel mehr die Gier nach Anerkennung und Bestätigung. Sie wollen Minderwertigkeitsgefühle kompensieren. Deren Ursache wiederum liege in „Entbehrungserlebnissen in der Kernfamilie“, so der Berliner Psychotherapeut Prof. Hans Stoffels in einem Interview mit dem NDR Fernsehen. Das Motiv des Hochstaplers ist also ein narzisstisches. Fliegt er auf, endet sein Spiel.

      Der Faker spielt nicht. Der Faker hat ganz existenzielle Absichten.

      Vom 17-jährigen Krankenpflegeschüler Christoph Zulehner kann ich das guten Gewissens behaupten. Was machte mich damals zum Faker? Das will ich Ihnen gern erklären. Ich mache das zunächst einmal an Äußerlichkeiten fest: Von Tag eins unserer praktischen Ausbildung an trugen wir weiße Kittel. Sie wissen ja, was Kleidung mit einem macht: Sie verleiht uns eine Aura. Trägt ein Mensch eine Richterrobe, verleiht das seinen Worten ein ganz anderes Gewicht, als wenn er in schlabberigen Jogginghosen und Plastiksandalen vor uns steht. Und genauso ist das mit der weißen Kleidung des Krankenhauspersonals: Wer einen weißen Kittel trägt, der wird schon eine Ahnung haben von dem, was er da tut – diese Erwartung haben die Patienten und ihre Angehörigen. Zumal sie ja nicht wissen können, ob derjenige vielleicht seinen ersten Tag in der Klinik hat oder eben den ersten Nachtdienst schiebt wie ich damals.

      Und sind wir ehrlich: Wir wollen es gar nicht genauer wissen. Sie wollen von dem Arzt, der gleich in Sie hineinschneidet, nicht hören, dass das seine erste Operation am lebenden Patienten ist. Auch wenn es so ist. Wir wollen den Fake. Wir fordern ihn geradezu ein. Ohne den Fake würde kein Ausbildungssystem, ja die ganze Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Jeder Chirurg muss irgendwann seinen ersten Patienten operieren. Jede Krankenschwester zum ersten Mal Blut abnehmen. Jeder Friseur seinen ersten Haarschnitt machen. Jeder Steuerberater seine erste Steuererklärung, jeder Automechaniker seine erste Reparatur an den Bremsen. Jede Führungskraft muss nach der Beförderung ihre erste schwerwiegende Entscheidung treffen. Und jeder Selbstständige seinen ersten Kunden ganz eigenverantwortlich glücklich machen.

      Und eben ich als Krankenpflegeschüler, beziehungsweise: designierter Lebensretter. Jeder von uns muss Dinge zum ersten Mal tun. Und dann zum zweiten und zum dritten Mal. Ohne die Erfahrung und Routine und Expertise, die von uns erwartet wird wegen etwas, das auf unserer Visitenkarte steht.

      Der Fake ist eine Kulturtechnik, welche die Welt im Innersten zusammenhält.

      Zu den Erwartungen von außen, die mich zum Faker machten, kamen noch die Anforderungen der Situation. Mir blieb ja gar nichts anderes übrig als die Rolle einzunehmen, die mir meine Maskierung aufzwang. Ich war Krankenpfleger, zwar ohne Ahnung und Erfahrung, aber Krankenpfleger, und in meiner Nachtschicht kollabierte eine Patientin. Also handelte ich.

      Heute glaube ich zu wissen, worauf meine schlotternden Knie in jener Nacht zurückzuführen waren. Nämlich auf ein Phänomen, das ich damals noch nicht reflektieren konnte, heute jedoch als kennzeichnend für den ersten Fake beschreibe: Ich hatte in jener Nacht, nachdem das Notfallteam eingetroffen und ich nicht mehr für die Versorgung der Patientin zuständig war, so etwas wie eine Selbstbildkrise. Auf der einen Seite fühlte ich mich als ganz kleines Licht, das noch nichts konnte und eigentlich nichts hätte dürfen sollen. Auf der anderen Seite war ich in den Nachtdienst geschickt worden mit der Anforderung: In den nächsten zwölf Stunden bist du allein verantwortlich für 35 Patienten. Diese Bürde hatte ich umgehängt bekommen, und der musste ich entsprechen. Ich musste mich so verhalten, als könnte ich das – ich hatte keine andere Wahl. Mein Job – oder soll ich sagen: das Leben? – zwang mich also dazu, ein Faker zu sein. Oder die 35 Patienten ihrem Schicksal zu überlassen. Auch das ist ein Unterschied zum Hochstapler: Der riskiert ganz bewusst Menschenleben, wenn er sich trotz fehlender Qualifikation als Arzt ausgibt.

      Am Ende der Nacht hatte sich herausgestellt, dass ich nicht nur Krankenpflegeschüler war, sondern eben auch Stationsbewacher und Lebensretter. Das ist das nächste Merkmal des Fakers: Das, was er vorgibt zu können, lernt er durch den Fake tatsächlich.

      Aus heutiger Sicht ist das Faken für Anfänger. Ein unbewusster, auferlegter Fake. Es ist das, was viele Menschen jeden Tag machen. Machen müssen. Und sich vielleicht schlecht dabei fühlen – weil sie denken, sie seien eigentlich Hochstapler. Mehr Schein als Sein. Die Kunst liegt darin, den Fake ganz bewusst einzusetzen. Da wird der Sprung ins kalte Wasser zur bewusst erworbenen Kulturtechnik: wenn wir gezielt vom Schein zum Sein wachsen. Den Fake als Methode wählen, um etwas zu erreichen. Damit arbeiten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und ohne uns zu fürchten. Wenn wir faken und dabei locker bleiben. Dann nehmen wir die Täuschung in einem gewissen Maß und zeitlich begrenzt in Kauf, um das, was wir zu sein vorgeben, am Ende tatsächlich zu sein.

      Ganz im Gegensatz zum Hochstapler, der bei seinem Tun ja kein höheres Ziel kennt. Sein Spiel endet, sobald er auffliegt. Fake it until you make it – wenn wir nach diesem Motto verfahren, verfolgen wir damit durchaus ein höheres Ziel. Wir wollen uns zu dem entwickeln, der wir sein können und zu sein anstreben. Absicht des Fakes ist es, als das angesehen und behandelt zu werden, was man irgendwann sein wird.

      Und damit wird der Fake zu einer Notwendigkeit und Voraussetzung für den Erfolg.

       DIE ANGST DES FAKERS

      Wer ein Anfänger auf dem Gebiet des Fakens ist, der hat einen ständigen Begleiter – die Angst. Damals, vor meinem ersten Nachtdienst, machte ich mir fast in die Hosen vor Angst. Ich war zuständig für das Überleben von 35 Menschen! Das mag sich anhören, als ob ich dramatisiere, aber genauso fühlte sich das in dieser Situation an. Ich! Ein Krankenpflegeschüler!

      Aber ich hatte nicht nur Angst, meine Patienten nicht gut versorgen zu können. In mir war auch eine große Angst, mein Versprechen, das ich mir selbst und den anderen gegeben hatte, nicht einhalten zu können – nämlich ein guter Krankenpfleger zu sein, dem man unbesorgt eine ganze Station zur Nachtwache anvertrauen konnte. Das ist der Schmerz des Fakers: die Angst, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, die er an sich selbst stellt. Sein Versprechen – „Ich kann das, was ich hier tue!“ – nicht halten zu können. Diese Angst kennt der Hochstapler nicht. Der hat nur vor einem Angst: dem Moment des Auffliegens. Die Angst des Fakers dagegen ist Ausdruck seines Verantwortungsgefühls.

      Ich bin mir sicher, jedem von Ihnen fällt eine Fake-Geschichte aus Ihrer Vergangenheit ein. Vielleicht beim Bewerbungsgespräch, als Sie gefragt wurden, ob Sie die Datenbanksoftware XY beherrschen. Als Sie Ihren ersten Kunden bedient haben. Als Sie zum ersten Mal ohne Fahrlehrer Auto gefahren sind … Wenn Ihnen eine solche Geschichte einfällt, dann denken Sie doch einmal darüber nach, was anschließend passiert ist – als Sie das nächste Mal in eine solche Situation kamen und wieder faken mussten. Da waren Sie schon deutlich entspannter, oder? Das war bei mir ganz genauso: Nicht lange nach dem Ende meiner Ausbildung als Krankenpfleger packte mich die Lust, das, was ich gelernt hatte, auch weiterzugeben. Ich fand das zwar sehr kühn, mich frisch diplomiert als Lehrer vor Schüler hinzustellen, die zum Teil älter waren als ich. Und ja, auch die Angst flammte wieder auf. Aber meine Entscheidung traf ich freiwillig, sehr bewusst und auch mit einer gewissen

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