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Opak. Matthias Falke
Читать онлайн.Название Opak
Год выпуска 0
isbn 9783957770486
Автор произведения Matthias Falke
Жанр Научная фантастика
Издательство Автор
Silesio bekundete, er wolle die Zeit für seine Abhandlung über die Kontingenzproblematik nutzen. Daraufhin löste Carlssen die informelle Sitzung auf und verschwand ins Cockpit.
»Ein bisschen wie das Nirwana.« Silesio schob seinen Springer vor und kassierte einen von Carlssens Bauern.
»Wenn du so weitermachst, spielst du mich ins Nirwana.« Der Commander versuchte eine Verzweiflungstat, indem er seinen Läufer quer über das Feld nach vorne schoss, wurde aber von einem versteckten Turm seines Chefprogrammierers abgefangen.
»Das Nirwana ist ein Zustand, der nicht positiv definiert werden kann, sondern nur negativ.« Silesio verfolgte amüsiert ein Verlegenheitsmanöver Carlssens und setzte dann seine im Abseits geparkte Dame um ein Feld vor: Schach! »Man kann nicht sagen, was es ist, nur, was es nicht ist.«
Der Commander legte interessiert seinen König auf den schwarzen Bauch.
»So ähnlich scheint auch das Opak beschaffen.«
Der Systemtheoretiker und promovierte Philosoph sammelte die Figuren ein und bot mit schwammigen Blicken eine Revanche an; Carlssen lehnte dankend ab.
»Wir können es nicht sehen, wir können es nicht berechnen; lediglich indem wir abgrenzen, wo es überall nicht ist, können wir Hypothesen über einzelne äußere Eigenschaften aufstellen.«
Carlssen inhalierte den ersten Zug der Qat-Zigarette, die er hinterher gerne rauchte. Er erhob sich unbehaglich und ging zu den Panoramascheiben der Messe. Ein lichtstarker, hellblauer Stern erfüllte den Ausschnitt mit smaragdenem Leuchten. Saturn, der sich in den nächsten Tagen von einem Punkt zu einer umgürteten Sichel verwandeln würde.
»Lass uns warten, bis wir da sind. Bei der letzten Extratour dieser Art, als wir den Kometen Golden Dust 75/3 observierten, waren die Schirme auch leer. Wir mussten bis auf zehn Kilometer rangehen, ehe wir was sahen. Ein rußiger, deformierter Schneeball von lächerlichen Ausmaßen. Fast hätten wir deswegen das Embarquement der Leibniz verpasst.«
Silesio hatte das Schachspiel zusammengesteckt und in seinem Spind verstaut. Er trat neben den Kommandanten, der das Sternenmeer jenseits der gewölbten Scheiben anschwieg. Schräg hinter Saturn glomm ein rostroter Fleck, der unschwer als Jupiter zu erkennen war. Die Planeten standen nicht in Konjunktion, aber dicht genug beieinander, dass der Swing-by-Effekt den Umweg wettmachte.
»Die letzten Updates waren so weit …«
»Im Rahmen dessen, was wir seit drei Wochen gewohnt sind.«
Carlssen sprach durch Tentakel schiefrigen Rauchs.
»Man hat die Toleranzwerte erhöhen müssen und die Statistik von einem 5- auf einen 10-Tages-Koeffizienten umgestellt. Es bewegt sich sehr sprunghaft und scheint bisweilen eine gewisse Wegstrecke zurückzuschnellen. Inzwischen gibt es Parameter über die Abweichungen, die über die errechneten Abweichungen hinaus zu erwarten sind. Sie gelten natürlich nur näherungsweise. Auch die Spurbreite, wenn du so willst, ist variabel. Manchmal taucht es um mehrere Bogengrad seitlich versetzt auf. Die Einzeldaten ergeben ein ziemlich wildes Hakenschlagen.«
»Man könnte es auch als Oszillieren bezeichnen.«
»Es hat keinen Sinn, sich um Begriffe zu streiten …«
»Solange wir noch nicht begriffen haben, was es ist. Wolltest du das sagen?«
»So ungefähr. Die statistische Kurve jedenfalls, die den jeweiligen Kohärenzpunkt deines Oszilloskops seit dessen Entdeckung verfolgt …«
»Verläuft erstaunlich eben; gewiss.«
»Ganz genau! Wenn es den gegenwärtigen Kurs beibehält, wird es auf der Höhe der Jupiterbahn die Ekliptik schneiden und unter dem Asteroidengürtel hindurchtauchen. Zwischen Mars- und Erdbahn wird es herumkommen und die Ekliptik wieder durchstoßen.«
»Interessierst du dich für Börsenkurse?«
»Nein, weshalb?«
»Der aktuelle Parketthandel zittert elektrisch hin und her; aber die Durchschnittsnotierung der letzten 200 Tage beschreibt eine elegante asymptotische Bewegung, die selbst den totalen Crash sanft abfängt und als unbedeutenden Ausrutscher in den weichen Armen ihres mütterlichen Verständnisses zerdrückt.«
»Du meinst …«
»Wir können die Phänomene nicht von unseren Zugangsmethoden trennen. Wenn wir etwas mit mathematischen Funktionen beschreiben, können wir nichts anderes herausbekommen als Zahlennebel und statistische Ziffernwolken.«
»Wenn das Phänomen nun aber ein Nichtphänomen ist?«
»Eben ein Opak.«
Silesio verzog die schütteren Tränensäcke zu einem vielsagenden Feixen. In diesem Augenblick betrat Theresa die Messe. Sie kniff die entzündeten Augen zusammen und ließ sich in einen der gravimetrischen Drehsessel fallen. Carlssen bestellte ihr den abendlichen Cognac aus der Automatik, während Silesio sie mit möglichstem Charme darauf hinwies, dass es eine Sünde sei, ein so hübsches Gesicht durch derartige Überanstrengung zu entstellen.
»Noch eine Woche.« Die Erste Offizierin lauschte dem Abgang des Entspannungsdrinks nach. »Dann kann ich auch Alpha- und Beta-Shuttles fliegen. Aber das sag ich euch: Zehn Stunden täglich an den Simulatoren sind ein echter odd job.« Sie fuhr die Lehne in die Waagerechte zurück und schloss die geröteten Lider. »Aber es ist die einzige vernünftige Möglichkeit, die Zeit zu nutzen. Ich verstehe die beiden nicht, die rumnölen, ihrem Urlaub nachtrauern und nicht kapieren, dass das hier genauso gut sinnvolle Zeit sein kann.«
»Sie wollen die Zeit eben nicht nutzen, sondern lieber vertrödeln, sprich: totschlagen. Kennt jemand Joseph Brodsky? Russischer Autor des 20. Jahrhunderts. In seinem Theaterstück ›Marmor‹ geben zwei lebenslänglich Inhaftierte aufgrund einer Wette die Freiheit, die sie hätten erlangen können, für ein Röhrchen Schlaftabletten wieder her.«
»Sehr philosophisch.« Allmählich wich die Anstrengung von Theresas Zügen; nur ab und zu lief noch ein Zucken über ihr Gesicht oder verebbte eine reflexhafte Kontraktion in ihren Unterarmen. »Apropos, wo wart ihr gerade?«
»Ach, wir hatten einen Kursus in buddhistischer Logik, Wissenschaftstheorie und phänomenologischer Skepsis.«
»Also nichts Besonderes. Darling, hast du dir für heute Abend schon etwas überlegt?«
»Du hast abgenommen.«
»Diese virtuellen Kurse sind ein ziemlicher Stress.« Theresa strich ihre kupferfarbene Mähne nach vorne über die Stirn und drehte ihren verspannten Nacken heraus. Unter dem Druck von Carlssens Händen begann sie, wohlig zu grinsen. »Das Gehirn ist der größte Energieverbraucher. Was du in zwei, drei Stunden derartiger Konzentration verbrennst, könntest du mit reinem Muskeltraining am ganzen Tag nicht einholen.«
»Trotzdem solltest du dich nicht so verausgaben. Es ist höchst löblich, dass du die Flugphase