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verrückt gewordener Fahranfänger stieß er mit dem Wagen vor und zurück. Er drehte Kreise mit dem Wagen, wendete und walzte so das Unkraut um das Haus herum nieder. Er hoffte, dass aus der Luft nun keine einzelne Spur mehr zu erkennen sein würde, sondern einfach eine Stelle, an der großflächig das Unkraut niedergedrückt worden war. Er rangierte den Wagen so dicht an das Gebäude wie möglich und stapelte alte, halb vermoderte Bretter auf das Dach und die Motorhaube des Autos. Er fand einige Euro-Paletten, die er rund um den Renault herum aufstellte. Er fragte sich, wie viele Dinge er bei der Planung noch übersehen hatte, und welche davon ihm zum Verhängnis werden könnten. Marius wurde bewusst, dass nun der gesamte Polizeiapparat hinter ihm her war. Er hatte hier nicht irgendeinen reichen Mann entführt. Er hatte Karl Grothner entführt, und man würde ihn jagen, bis zur Hölle und zurück. Alleine schon wegen des Toten, den es bereits gegeben hatte. Marius drängte die Gedanken an den Chauffeur zurück und betrat rasch wieder das flache Gebäude, um nach seinem Opfer zu sehen. Das Geräusch des Hubschraubers kam näher. Könnte sein, dass das Ganze schon in einer Stunde zu Ende war, sollten die Piloten Verdacht schöpfen und das Bodenpersonal herbeordern. Marius blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu hoffen.

      Neun

      »Weiter hinten kommt ein Parkplatz, elf Uhr. Danach die Straße Richtung Nord-Nordost.« Der Copilot hatte eine laminierte Landkarte auf den Knien und gab seine Anweisungen an den Piloten des Hubschraubers weiter. Der Auftrag lautete, im Radius von zwanzig Kilometern alle Straßen und Parkplätze abzufliegen, um nach einem blauen PKW Ausschau zu halten, der mutmaßlich von den Tätern benutzt wurde. Die SOKO »Karl« ging davon aus, dass das Fahrzeug irgendwo getauscht worden war, um die Spuren zu verwischen. Also musste der Kombi irgendwo stehen, wenn man ihn nicht in einem der kleinen Seen hier versenkt hatte, was aber unwahrscheinlich war. In etwa dreißig Metern Höhe überflog die Maschine nun seit drei Stunden das Gebiet um den Tatort herum. Das Suchgebiet war in zwei Sektoren geteilt, der andere Halbkreis wurde von Kollegen des LKA überprüft, da ihrer Dienststelle nur ein Hubschrauber zur Verfügung stand.

      »Parkplatz ist leer. Zieh mal rechts rüber, da ist eine alte Fabrik oder so etwas.« Die Stimme klang verzerrt durch die Kopfhörer. Der Pilot zog die Maschine langsam nach rechts und ließ sie eine Zeitlang über dem Gelände der ehemaligen Buttwanger-Fabrik in der Luft stehen. Dann drehte er den Hubschrauber langsam, so dass sie das gesamte Gelände absuchen konnten.

      »Flieg mal zu dem Tor da«, sagte der Copilot, und kurz darauf schwebte die Maschine dicht über einem Bungalow, der etwa dreißig Meter vom Eingangstor des umzäunten Geländes entfernt stand.

      »Das Tor ist zu, sieht nicht aus, als sei jemand hier gewesen.« Der Pilot ließ die Maschine noch tiefer sinken, die Kufen des Hubschraubers waren nur noch zwei Meter vom Flachdach des Pförtnerhauses entfernt. Durch ein Fernglas schaute der zweite Mann angestrengt in Richtung des Tores und bemerkte eine Kette, mit der das Tor noch zusätzlich verschlossen worden war.

      »Hier ist er nicht«, konstatierte er, und die Maschine gewann wieder an Höhe, drehte ab und bald hörte man das Motorengeräusch nur noch aus der Ferne. Der enorme Wind, den die Rotorblätter verursacht hatten, hatte Bretter und Europaletten davongewirbelt. Das blaue Dach eines Kombi, der dicht an der Außenwand des Bungalows geparkt war, war nun deutlich zu erkennen. Der Hubschrauber hatte direkt über ihm in der Luft gestanden, doch sie hatten ihn nicht gesehen.

      Zehn

      Sie hatten ihn. Sie hatten ihn. Sie hatten ihn. Gebetsmühlenartig spie sein Gehirn die Worte aus. Der unglaubliche Lärm, den der Hubschrauber direkt über ihm machte, war kaum zu ertragen. Sicher seilten sich bereits schwarz gekleidete Männer zu ihm herab und in wenigen Sekunden würde er gefesselt in einem Polizeiwagen sitzen. Die kürzeste Entführung aller Zeiten. Marius hielt sich die Ohren zu. Tränen rannen über sein Gesicht.

      »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, brüllte er so laut er konnte. In dieser Sekunde fühlte er tiefste Reue über das, was er getan hatte. Tiefstes Bedauern über den Tod von Grothners Fahrer. Und die Lächerlichkeit seines Vorhabens wurde ihm überdeutlich bewusst. Marius ahnte, dass sein Leben nun zu Ende war. Sein Leben in Freiheit zumindest. Er kniete auf dem dreckigen Boden im Hauptzimmer des Hauses und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Erst nach Minuten nahm er wahr, dass der Hubschrauber fort war. Nur in der Ferne konnte man sein Brummen hören. Sie suchten weiter, sie hatten ihn nicht gefunden. Marius bekam einen Weinkrampf, sein ganzer Körper bebte und es brauchte einige Zeit, bis er sich so weit gefasst hatte, dass er das Haus verlassen konnte. Die Bretter waren vom Dach des Renaults geweht worden und die Euro-Paletten lagen verstreut umher. Bis auf das gleichmäßige Brummen in einiger Entfernung war nichts zu hören. Marius sammelte die Bretter wieder ein und tarnte das Auto erneut. Er glaubte nicht, dass die Polizei noch einmal herkommen würde, warum sollten sie zweimal an derselben Stelle suchen? Er hatte offensichtlich richtig gehandelt, als er die Kette, die das Eingangstor zum Gelände verschloss, wieder an die alte Position gebracht hatte. Nichts sollte auf seine Anwesenheit hindeuten. Langsam fiel die Spannung von ihm ab und nun wurde es Zeit, sich um seinen Gast zu kümmern.

      Elf

      Die Benommenheit wich langsam und Sequenz für Sequenz kehrte die Erinnerung zurück. Sein Fahrer hatte laut geschrien, dann gab es einen fürchterlichen Ruck, als der Mercedes in den Lastwagen gekracht war. Die Airbags hatten ausgelöst, doch der Aufprall war so verheerend, dass er trotz des Schutzmechanismus hart mit dem Kopf auf die Sitzlehne des Beifahrersitzes geprallt war. Dann war die Schwärze über ihn gekommen. Noch hielt er die Augen geschlossen. Es rauschte in seinen Ohren, als könne er sein Blut fließen hören. Es war kühl. Fakt. Er war bei einem Unfall verletzt worden. Fakt. Er lebte. Fakt. Er befand sich nicht mehr in seinem Auto. Fakt. Seine Handgelenke waren gefesselt. Fakt. Etwas lag um seinen Hals. Fakt. Es roch muffig, wie in einem Keller. Fakt. Wenn etwas wie Scheiße aussah, wie Scheiße roch und sich wie Scheiße anfühlte, dann ist es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Scheiße. Fakt ... Karl Grothner öffnete die Augen.

      Eine rissige Betondecke, abblätternde weiße Farbe. Stockfleckig. Daran, provisorisch befestigt, ein rotes Stromkabel, an dessen Ende eine Glühbirne schwaches Licht in den Raum warf. Er hob seine zusammengebundenen Hände und begutachtete den Kabelbinder, der ihm ins Fleisch schnitt. Die Kopfverletzung schmerzte. Nicht zu ändern, weswegen er den Schmerz in seine Realität integrierte. Karl drehte den Kopf nach rechts. Eine Kellerwand. Putz war herabgefallen und gab den Blick auf stellenweise grau patinierten, roten Klinker frei. Sein Blick tastete jeden Quadratzentimeter des Raumes ab, in dem er sich befand. Er nahm einen Eisenring wahr, der an der hinteren Stirnwand befestigt war. Er sah die Kette und folgerte, dass das Ende dieser Kette ebenfalls in einem Ring endete, der um seinen Hals lag. Die Situation war klar. Er war entführt worden. Karl Grothner schloss seine Augen wieder und dachte nach. Derzeit gab es für ihn keine Handlungsalternativen. Er brauchte mehr Informationen, um Entschlüsse fassen zu können. Grothner versuchte mit seinen gefesselten Händen zu ertasten, ob er vielleicht an sein Smartphone, das in der rechten Innentasche seines Sakkos steckte, kommen könnte, musste aber einsehen, dass es absolut unmöglich war, das Gerät aus der Tasche zu ziehen. Was waren das für Verbrecher, die ihrem Opfer das Handy ließen? Er konnte das Smartphone durch den Stoff spüren und versuchte nun, es durch Drücken und Schieben von außen aus der Innentasche zu befördern. Für eine Sekunde konnte er die glatte und kühle Oberfläche des Gerätes an seinem Kinn fühlen, nachdem es aus der Tasche gerutscht war. Er konnte nicht verhindern, dass das Smartphone von der Pritsche fiel und mit einem kühlen Geräusch auf dem Kellerboden aufschlug. Dieses klackende Geräusch initiierte eine Millisekunden dauernde Erinnerungssequenz in Grothners Gehirn. Der Kopf seines Fahrers war aufgeplatzt, als er mit brachialer Gewalt gegen die Windschutzscheibe geprallt war. Teile der Schädeldecke und blutig-graue Gehirnmasse waren an ihm vorbeigeflogen und mit einem schmatzenden Geräusch an der Heckscheibe gelandet, bevor er selbst das Bewusstsein verloren hatte. Dann war die Szene vorbei und Grothner wusste, dass sein Fahrer bei dem offenbar bewusst herbeigeführten Unfall zu Tode gekommen war. Das ließ Rückschlüsse auf die Gewaltbereitschaft seiner Entführer zu. Fakt. Er versuchte, sich auf der schmalen Pritsche aufzurichten, doch dazu fehlte ihm die notwendige Kraft. Also drehte er sich auf die rechte Seite, um so, mit den ebenfalls gefesselten Beinen voran, langsam von der Pritsche

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