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er im Knast gelandet. Und heute? Heute saß er wie eine Ratte in dieser Kloake und glaubte tatsächlich, ausgerechnet ihm könne so ein Coup gelingen? Fast musste er lachen. Und selbst wenn es ihm gelang, seinen Plan durchzuführen, würde man ihn jagen, bis man ihn gefasst hatte. Und dann? Mindestens zwölf Jahre Knast erwarteten ihn. Und wenn Karl Grothner etwas zustoßen würde bei der ganzen Sache, käme er wohl niemals wieder frei. Er fror. Die Dunkelheit ließ Lichtpunkte vor seinen Augen tanzen und die Geräusche, die die Ratten in der Kanalisation verursachten, schienen immer lauter zu werden. Fast bekam er Angst vor dem, was da hinten in der Dunkelheit scharrte und trippelte.

      Die Vorräte im Rucksack gingen zur Neige und trotz der Enthaltsamkeit beim Trinken verspürte er einen immer stärkeren Harndrang. Sich hier zu erleichtern war ausgeschlossen, er würde sein genetisches Material gleich deziliterweise hinterlassen.

      Resigniert kroch er wieder durch das Rohr und verließ das Kanalsystem, um sich zu erleichtern. Die neue Nacht war angenehm warm, jedenfalls hier oben, und die Grillen gaben ihr Konzert in der Ferne. Er beschloss, nachdem er seine Notdurft verrichtet hatte, seine Sachen aus dem Schacht zu holen und die Aktion abzubrechen. Es sollte offensichtlich nicht sein. Er konnte nicht noch länger in dem engen Kanal sitzen und auf sein Opfer warten. Das würde er nicht aushalten. Die Schwachstelle in seinem ansonsten grandiosen Plan war er selber. Er hatte nicht gedacht, dass er schon nach weniger als zwanzig Stunden so weit war. Bei der Planung hatte er sich noch vier oder mehr Tage zugetraut. Enttäuscht ging er in Richtung des geöffneten Kanaldeckels, als plötzlich Scheinwerfer zu erkennen waren. Grothner kehrte zurück. Sofort wurde Kleinhans Körper von Adrenalin durchflutet, das innerhalb des Bruchteils einer Sekunde seine Zweifel davonspülte. Schnell warf er sich hinter eine Buschgruppe, um nicht von den Scheinwerfern der beiden Fahrzeuge erfasst zu werden. Nachdem die kleine Wagenkolonne ihn passiert hatte, stieg er rasch wieder in das Kanalrohr, schloss den Deckel und kroch so schnell er konnte zu seinem Lager zurück. Marius Kleinhans glaubte nicht, dass den Insassen der beiden Fahrzeuge der verschobene Gullydeckel aufgefallen war, und wenn doch, konnte er es jetzt nicht mehr ändern. Er wollte den richtigen Moment abpassen, möglichst unmittelbar, nachdem der Range Rover zum Stehen gekommen war, denn dann würde im Inneren des Autos noch die größte Unruhe herrschen. Der Karabinerhaken und die ersten dreißig Zentimeter der zwanzig Meter langen Stahltrosse waren von ihm mit Isolierband ummantelt worden, damit es keine oder nur wenige Geräusche gab. Er nahm den Karabinerhaken und befestigte ihn an seinem Gürtel, stieg dann die Leiter hinauf und blickte durch die runden Löcher des Kanaldeckels. Tatsächlich stand der Wagen direkt über ihm. Ohne lange zu überlegen drückte Kleinhans den Deckel nach oben und schob ihn langsam und möglichst leise so weit zur Seite, dass der Kanal halb geöffnet war. Er lauschte, doch es erfolgte keine Reaktion auf seine Aktivität. Den Bodyguards über ihm in ihrem schweren Geländewagen würde schon früh genug auffallen, dass er hier war, dachte er grimmig. Kleinhans war erstaunt, wieviel Raum zwischen der Fahrbahndecke und der Unterseite des Geländewagens bestand. Dieser Umstand erleichterte sein Vorhaben und vorsichtig schob er sich unter das Auto. Es gelang ihm, den Karabiner um die vordere rechte Radaufhängung zu legen und ihn dann zweimal um die Traverse zu wickeln, an der das rechte Vorderrad befestigt war, bevor er den Karabinerhaken an der Stahltrosse einrasten ließ. Das war nach seiner Einschätzung die schwierigste Phase in seinem Plan. Er kroch in den Gully zurück und schob den Deckel wieder über die Öffnung. Das Stahlseil verhinderte, dass sich der Deckel wieder komplett einfügte, aber das spielte keine Rolle. Der heraufschnellende Gullydeckel würde den Schaden an dem Fahrzeug vergrößern, wenn es anfuhr. Auf dem Grund des waagerechten Kanals überprüfte er den Sitz des Stahlseils an der massiven Eisenstange, die er so platziert hatte, dass sie als Anker fungieren würde, wenn das sich spannende Seil sie empor riss. Mit der Taschenlampe kontrollierte er seine Arbeit und suchte jeden Zentimeter ab, um auszuschließen, dass er irgendetwas versehentlich liegengelassen hatte. Morgen würden Ermittler und Forensiker hier herumkriechen und nach irgendeinem Hinweis auf den oder die Täter suchen. Nach zwanzig Minuten verließ er den engen Kanal und lief zu dem Renault, der versteckt in dem Wald stand, der das Grundstück Grothners umrahmte. Die Stunden in dem engen Rohr hatten ihren Tribut gefordert. Ihm tat jeder Muskel und jeder Knochen weh, doch die Bewegung jetzt ließ den Schmerz schnell vergehen. Allerdings hatte er nun wieder ein gutes Gefühl, was seinen Plan anging. Karl Grothner würde morgen seine Geisel sein. Er würde im Keller des ehemaligen Pförtnerhauses in der Industriebrache der alten »Buttwanger« Fabrik am Stadtrand liegen, ein Ort, der so verlassen war, wie man es sich als Entführer nur wünschen konnte. Um acht Uhr würde Grothner noch guter Dinge sein. Um acht Uhr und fünfzehn Minuten würde sich das zu einhundert Prozent geändert haben, dessen war sich Marius Kleinhans sicher.

      Vier

      Der Flug war stets der lästigste Teil bei manchen Geschäften. Was dazu führte, dass Karl Grothner, den ohnehin ständig die Aura des Schlechtgelaunt-seins umgab, zu noch weniger Konzessionen und Kompromissen bereit war als ohnehin üblich. Sein Anwalt hatte ihm nahegelegt, diese kurze Dienstreise zu unternehmen, um persönlich für das letzte Quäntchen Überzeugungskraft zu sorgen. Mit rein juristischen oder betriebswirtschaftlichen Argumenten sei dem betreffenden Gesprächspartner nicht beizukommen. Es bedürfe dieser »speziellen« Verhandlungsweise, wie sie nur Grothner zu eigen sei. Und so stieg Karl Grothner mit seinem Anwalt und zwei seiner Leibwächter in den Firmenjet und flog nach Den Haag, um dort eine mittelgroße Spedition zu kaufen und danach sofort zu zerschlagen. Die Spedition wurde durch einen einzigen Mann gelenkt, Daniel Dickens, der dem Unternehmen auch den Namen gab: »Dickens Transport«. Ihm war es gelungen, einen europaweit agierenden Lebensmittelkonzern davon zu überzeugen, ihm allein die Transporte von Rohstoffen innerhalb der Benelux-Staaten zu überlassen. Damit kam er aber der »Grothner Transport & Logistic« in die Quere, die ebenfalls Verträge mit dem Lebensmittelkonzern hatte. Grothner ließ kontinuierlich den Druck auf Daniel Dickens erhöhen und warb Kunden des Spediteurs ab. Dickens musste gemerkt haben, dass ihm ein wirklicher Riese in diesem Geschäft den Krieg erklärt hatte, doch der Niederländer war stur und uneinsichtig.

      Im nächsten Schritt schickte Karl Grothner ihm seinen privaten Anwalt auf den Hals. Dr. Krieger war ein Jurist in Reinkultur. Einer der ganz wenigen Menschen in Grothners innerem Zirkel, der Fragen stellen durfte, ohne gefeuert zu werden. Weil er der Einzige war, dem es manchmal gelang, Schwachstellen in Grothners Strategien zu erkennen. Dr. Krieger war ein hochgewachsener, sehr stämmiger Mann mit etwas zu langem, fast weißem Haar. Er trug stets einen schwarzen Anzug und eine rote Seidenkrawatte, die mit einem gestickten Paragraphenzeichen versehen war. Trotz der Tatsache, dass es Zahnersatz und Brücken in keramischer Form gab, die als solche nicht zu erkennen waren, besaß Dr. Krieger zwei Goldzähne, einen rechts und einen links im Oberkiefer, was ihm die Aura eines Dinosauriers verlieh und seinem Lachen etwas Unheimliches gab. Dr. Krieger war Karl Grothners Vollstrecker. Bei ihm ging es niemals darum, ob etwas ging, sondern nur wie es zu bewerkstelligen war. Und wenn alle Mittel versagten, erstattete Dr. Krieger Bericht und Karl Grothner musste die Hinrichtung seiner Gegner selbst bewerkstelligen.

      Unangenehm für alle Beteiligten. Grothner hatte seine Beziehungen spielen lassen und seinen »Schnüffler« von der Leine gelassen. Karl Grothner nannte den Mann nur »den Schnüffler«, ein Privatdetektiv, dessen kriminelle Vergangenheit Grothner völlig egal war. Auf seinen »Schnüffler« war auch dann Verlass, wenn alle anderen, legalen Mittel versagten. Und auch im aktuellen Fall hatte der Mann interessante Dinge ausgegraben, Munition für Grothner, um seinen Gegner zur Strecke zu bringen.

      Dr. Krieger hatte den Termin bei Daniel Dickens angebahnt und Dickens hatte erst nach Wochen eingewilligt, Karl Grothner zu treffen und mit ihm persönlich zu reden. Als Grothners Mietlimousine auf das Gelände der Spedition einbog, stand Dickens hinter dem Fenster seines Büros und verfluchte den Tag, an dem er in den Fokus des Interesses der Grothner-Gruppe geraten war. Er führte die Spedition nun in vierter Generation und hatte den Führungsstil seiner Vorfahren fortgesetzt. Er hatte die Spedition vergrößert und sie zu einem florierenden Unternehmen geschmiedet. Jeder seiner Angestellten wurde von ihm als Freund betrachtet und auch so behandelt. Es gab keine personelle Fluktuation bei »Dickens-Transport«, die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter war das Ergebnis seines stets freundlichen, ehrlichen, aber auch konsequenten Umgangs mit ihnen. Und die Verlässlichkeit in der Umsetzung aller Aufträge war auch in den Kreisen der Mitbewerber anerkannt. Dickens hatte schon

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