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      Nach zwei Wochen verkaufte er den ganzen Hof.

      Bauer Erwin hatte nun viel Geld auf der Bank. Er nahm sich ein Zimmer im Hotel und wollte sich erst mal gründlich ausruhen. Und überlegen, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Irgendwann musste er auch eine Wohnung für sich finden, ewig im Hotel leben wollte er nicht.

      Abends dachte er: Ich bin ein reicher Mann. Morgens dachte er: Ich bin ein armer Mann. Vormittags dachte er: Ich bin ein glücklicher Mann, weil ich nicht mehr arbeiten muss. Und nachmittags dachte er: Ich bin ein unglücklicher Mann, weil ich keine Beschäftigung mehr habe. Was soll ich bloß den lieben langen Tag machen ohne Arbeit und ohne meine Pferde?

      Jeden Tag kauft er sich eine Zeitung. Zeit zum Lesen hatte er ja jetzt. An einem Vormittag saß er zusammengesunken auf seinem Bett und blätterte in der Tageszeitung. Einfach mal durchblättern, dachte er, lesen kann ich später. Plötzlich richtete er sich auf und zog das Blatt näher ans Gesicht: »Neues Wohnheim für Senioren«, las er laut vor. »In ruhiger Umgebung, mit schönem Blick auf den See«, stand da. Mehr musste er nicht wissen. Er ging an die Rezeption und ließ die Nummer wählen.

      »Ja, natürlich haben wir noch eine Wohnung frei, wir haben ja gerade erst eröffnet«, sagte eine freundliche Frauenstimme.

      Zwei Stunden später lenkte Bauer Erwin – er war ja eigentlich kein Bauer mehr – seinen Wagen auf den Hof der schönen Anlage. Wie gepflegt alles war. Und die großartige Aussicht! Die Chefin des Hauses begrüßte ihn freundlich und zeigte ihm mehrere kleine Wohnungen. Es roch nach frischem Anstrich. Erwin durfte sich ein Appartement aussuchen. Es sollte nicht zu klein sein, aber auch nicht zu groß; nicht zu dunkel, aber auch nicht zu hell. Die Wohnung sollte ruhig sein, aber nicht zu ruhig; etwas höher liegen, aber auch nicht zu hoch. Er wollte auf das Wasser schauen können, aber auch auf den Wald und die Wiesen. Erwin brauchte mehr als eine Stunde bis er alles bedacht hatte und sich entscheiden konnte. Schlussendlich nahm er die Wohnung im zweiten Stock. Von hier aus konnte er nach rechts auf den See schauen, wenn er es wollte, aber auch links auf die Wiesen und den kleinen Wald, wenn ihm danach war.

      Als er sich entschieden hatte, ging er glücklich zur Hausleitung und unterschrieb den Mietvertrag. So eine gute Wahl, dachte er. Ich habe genau die richtige Wohnung für mich gefunden. »Darf ich noch mal schnell nach oben gehen und sie anschauen?«, fragte er die Chefin, als alles geregelt war.

      »Ja, selbstverständlich, sie gehört ja jetzt Ihnen und Sie haben ja schon den Schlüssel in der Tasche.«

      Erwin ging voller Erwartung die Treppen hoch. In seine eigene Wohnung! Hoffentlich habe ich nichts übersehen, fing er an zu zweifeln, ob er wirklich richtig entschieden hatte. Er hätte auch den Lift nehmen können, aber das wollte er nicht. »Wer Treppen steigt, bleibt fit«, sagte er sich nun fast übermütig.

      Er öffnete seine Wohnungstür, ging sofort zum Fenster und öffnete es. Doch, er hatte vorhin etwas übersehen: Links, unweit des kleinen Wäldchens, beleuchtete die Sonne jetzt ein großes rotes Hausdach, das vorher im Schatten gelegen hatte. Arme Leute sind das nicht, dachte er und schloss das Fenster.

       EINE PERLE OHNE GLANZ

      Seit Anfang des Jahres hatte Dana immer wieder Bauchschmerzen. Inzwischen war es schon Mitte Mai und Frau Furler, ihre Mutter, hatte gehofft, dass es nach dem Winter besser werden würde.

      Dana stand am Fenster und weinte.

      »Noch immer Bauchweh?«, fragte die Mutter.

      Dana legte ihre Hände an den Bauch und nickte.

      »Du musst noch ein bisschen warten, gleich geht’s dir besser.«

      Das Kind zog die Schultern hoch, sagte aber nichts.

      »Willst du dich lieber hinsetzten?«

      Dana schüttelte den Kopf. »Dann sehe ich ja nichts«, flüsterte sie.

      »Noch fünf Minuten, dann kommt das Schiff«, versuchte die Mutter die leidende Dana abzulenken. Ablenkung half manchmal. Immer diese Bauchschmerzen, dachte sie. Und das jetzt schon ein halbes Jahr lang. Kein Arzt kann uns sagen, was sie hat. Hoffentlich hilft die neue Idee!

      »Gibt es irgendetwas, das Dana sich sehr wünscht?«, hatte der Kinderarzt gefragt. »Oder etwas, worüber sie sich sehr freuen würde? Gehen Sie doch mal in den Zoo oder auf einen Reithof«, hatte er vorgeschlagen. »Vielleicht ist das die beste Medizin!«

      Danas Mutter hatte sofort mit ihrem Mann gesprochen. Schon am nächsten Tag hatte er angerufen und ihr von seiner »sehr guten Idee« erzählt. Sie erinnerte sich noch gut an das Gespräch am Telefon.

      »Weißt du, ich glaube, ein Tier könnte ihr helfen. Man hört doch immer wieder, dass Tiere eine heilsame Wirkung auf Kinder haben.«

      »Meinst du Delfine?« hatte sie gefragt. »Delfine haben wir nicht in unserem See.«

      »Es müssen ja nicht gleich Delfine sein, was ist mit einer Katze, einem Hund, oder …«

      »Einem Pferd?«

      »Ja, genau, ein Pferd!«

      »Es muss natürlich ein kleines Pferd sein, Dana ist ja erst fünfeinhalb.«

      »Ja, natürlich … Und Platz haben wir ja in unserem Stall.«

      »Aber wie kommen wir zu einem Pferd?«

      »Lass das mal meine Sorge sein, ich schicke meine Leute los …«

      »Mama, komm«, rief Dana laut, »ich sehe das Schiff.«

      Danas Mutter eilte zum Fenster und stellte Dana auf den Fenstersims. Sie konnte jetzt auch das Ufer sehen, wo das Schiff anlegte. Genau im richtigen Augenblick, denn jetzt fuhr ganz langsam ein Auto mit einem Anhänger auf den Hof. Dana bemerkte nichts. Sie beobachtete, was unten am Ufer passierte. Ein paar Leute stiegen aus dem Schiff, andere gingen über den kurzen Steg ins Boot. Es waren immer nur wenige Menschen, die ein- oder ausstiegen. Nach zehn Minuten legte das Schiff wieder ab und fuhr auf die gegenüberliegende Seite des Sees. Oft stand Dana so lange am Fenster, bis sie das Boot nicht mehr sehen konnte. Aber nicht heute.

      »Wie geht’s dem Bauch?«, fragte Danas Mutter.

      »Besser«, antwortete Dana, ohne sich umzudrehen.

      »Komm, ich will dir was zeigen«, sagte die Mutter mit halblauter Stimme.

      »Nein, lass mich noch ein bisschen schauen, ich seh das Boot noch.«

      Danas Mutter ging auch ans Fenster und legte ihren Arm um Danas Schulter. Sie tat so, als wäre das andere, was sie ihr zeigen wollte, nichts Besonderes. Darum redete sie langsam. »Aah-Ohahaaa«, gähnte sie, »dann schaue ich halt allein ….« Sie ging ein paar Schritte, drehte sich dann aber wieder zurück zu Dana. »Aber vielleicht ist das, was ich dir zeigen will, dann traurig, wenn ich ohne dich komme.«

      Dana spürte, dass ihre Mutter nur mit ihr spielte. In ihrer Stimme lag etwas Geheimnisvolles. Sie drehte sich zu ihr und streckte ihre Arme aus. »Maamaaa, was willst du mir zeigen?«, fragte Dana nun voller Erwartung. Ihre Augen glänzten.

      Die Mutter öffnete ihre Arme: »Spring!« Sie stellte Dana auf den Boden und machte eine wegwischende Handbewegung: »Ich verrate nichts, du musst schon mitkommen.«

      »Dann los«, lachte Dana, »ich will’s jetzt sehen.« Sie fasste die Hand der Mutter und riss sie mit zur Tür.

      Der Wagen mit dem Anhänger war inzwischen wieder vom Hof gefahren. Dana sah nichts Auffälliges, als sie aus der Tür trat. Als ahnte sie etwas, zog sie ihre Mutter zum Stall. Im Vorderteil waren allerlei Geräte abgestellt: Rasenmäher, Leitern, Baumscheren und ein alter Pflug vom früheren Besitzer. Der hintere Teil war leer. Bis heute.

      Dana zog ihre Mutter zur hinteren Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spaltbreit. Ein besonderer Geruch schlug ihr entgegen. Links bewegte sich etwas. Dana hielt den Atem an und öffnete die Tür etwas weiter. Langsam drehte sie ihren Kopf nach links und guckte um die Ecke: »Ein

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