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wollte es nicht immer. Da sagte Johann in seiner bärigen Art: „Mehr Kraft.“

      Es gelang mir. Ich war überglücklich – ich konnte mit Johanns Fingern knacken. Ab jetzt tat ich das ausgiebig und immer, wenn ich Gelegenheit dazu hatte. Das war schön, denn so hatte ich immer mit Johann Kontakt und konnte mit ihm quasi spielen.

      Endlich – es wurde ja nun auch wirklich Zeit – trat Oma mit einem triumphierenden Lächeln in die Türöffnung. Alle schauten interessiert zu ihr hin. Sie hielt einen ziemlich großen geräucherten Schinken in der Hand. Na, das war doch was. Alle schauten fröhlich in die Runde. Ehrfürchtig schaute ich zu Johann hin – mir schien, als wenn sein Blick jetzt glücklicher, vor allem erleichterter war. Vielleicht ging ihm durch den Kopf, dass es mit dieser Familie doch recht harmonisch sein könnte und seine Unruhe verschwand ein wenig.

      Unser Anführer Oma legte den Schinken feierlich in die Mitte des Tisches, setzte sich hin und sagte: „Guten Appetit allerseits.“ Alle murmelten das gleiche, nur die Kriegsgefangenen hielten sich zurück. Marcel und die zwei Russen schwiegen, nur Johann sagte: „Bon Appetit“, verbesserte sich aber sofort: „Gooten Appetit.“

      Meine Mama schaute sofort glücklich in die Runde, als sie von Johann deutsche Worte hörte.

      Nikolai und Tascha langten zuerst zum Speck mit Senf und Brot, Johann schmierte sich eine Schnitte mit Butter und Quark. Es herrschte eine gefräßige Ruhe. Mutti hatte mir gerade eine Bemme geschmiert und brachte sie mir. Ich wollte erwachsen erscheinen, schaute Johann selbstsicher an: „Das kann ich doch alles selbst, Mutti.“

      Wir kamen aber immer noch nicht zur Ruhe, denn plötzlich ging mit einem lauten Knall die Tür auf und herein kam der blödeste und unsympathischste Mensch, den ich je kennengelernt hatte – es war Schinderhannes. Ohne Guten Tag zu sagen, trampelte er mit seinen schmutzigen Gummistiefeln in die Wohnstube und meckerte: „Mich kann wohl keiner zum Essen einladen – ich darf nur arbeiten – was ist denn hier los?“

      Mutti stand sofort auf und ging zu ihm hin. Man hörte sie flüstern: „Hannes, sei doch ruhig und vernünftig. Heute sind die vier Kriegsgefangenen eingetroffen und es gab viel Hektik. Wir wussten doch gar nicht, wo du bist. Du musst auch ordentlich Bescheid sagen, welche Arbeiten du verrichtest. So geht das einfach nicht.“

      „Ach so, da sind nun die Kriegsgefangenen da und ich werde nicht mehr gebraucht. Ihr seid ja eine tolle Bagage und denkt nur an euch. Ich kann nur schuften – Pfui Teufel mit euch.“

      „Hannes, jetzt ist aber Schluss“, empörte sich meine Mutti nun endlich. „Setz dich und gib Ruhe. Über die Arbeitseinteilung reden wir morgen früh.“

      Da schrie Hannes: „Was heißt hier Arbeitseinteilung – die mache gefälligst immer noch ich und niemand anders. Ich gehe jetzt die Kühe füttern, denn sonst gibt es ja niemanden, der etwas Vernünftiges tut.“

      Ich schaute genauer zu Hannes hin – seine hellblaue Arbeitshose stand vor Dreck, die immer liederlich offene Jacke in ehemalig gleicher Farbe war ebenfalls sehr verdreckt und ramponiert, von seinen Schultern fiel Getreidespreu. Sein vergammelter, schmieriger Hut war nach oben geschoben und saß schnapp ab auf seinem kahlen Schädel.

      „Oma, der Hannes hat an seinen Stiefeln Kuhscheiße, genauso an seiner Hose und an der Jacke – das ist doch eine große Schweinerei“, meckerte ich empört. Ich wollte meine Empörung bei Oma anbringen, stattdessen hob meine Mama verärgert die Stimme. Sie wurde aber übertönt von einem extrem beleidigten Hannes: „Das geht dich kleinen Zwinsch überhaupt nichts an, lerne erst mal arbeiten und das im Dreck und im Mist.“ In höchster Wut fügte er noch hinzu: „Wenn sich hier schon die Kinder in die Arbeit Erwachsener einmischen, da ist das Chaos nicht mehr weit.“

      Dann knallte er heftig die Tür zu, das heißt er ging so trampelig hinaus, wie er hereingekommen war und hinterließ einen unangenehmen Geruch im Zimmer, welcher mir schon, von anderen Bauern her, vertraut war. Dieser hier war aber besonders unangenehm – es roch nach Getreide, Kuh und Pferd, Gras, Mist und Scheiße. Diese Ausdünstungen empfand ich immer als äußerst eklig.

      Alle schauten betreten – die Stimmung war dahin. Ich hatte sogar den Eindruck, dass die Gefangenen nach dieser unschönen Aktion nicht nur verunsichert, sondern sogar verängstigt waren.

      Ich wollte Hilfe geben und schaute Johann liebevoll in sein Gesicht: „Lass dich nicht beirren, Johann, der Hannes ist immer so dämlich. Wenn du wüsstest, wie der die Tiere schindet. Einmal hat er unsere Kuh Elsa mit dem Knüppel so sehr geschlagen, dass sie fast gestorben ist – wir mussten den Tierarzt holen. Vorgestern hat er meinen Liebling, Kater Moritz, mit Rattenfutter vergiftet und das nur deshalb, weil er keine Ahnung hat, in welche Löcher man das Rattengift stecken muss, damit nur Ratten hinkommen und es keine Katze erreichen kann. Der ist so etwas von dumm und will alles immer besser wissen. Uns Kinder schreit er immer an und nennt uns faule Rotzlöffel. Ich kann den überhaupt nicht leiden.“

      Aber was passierte nun? Ich ahnte es schon. Mama schaltete sich ein: „Also, Klausmann, dir kommt es überhaupt nicht zu, über Erwachsene so zu reden, noch dazu so frech. Sei still, iss jetzt in Ruhe und schaue dir bei Johann ab, wie man mit Messer und Gabel isst.“

      „Nie darf ich etwas sagen – wir Kinder dürfen überhaupt nichts!“ Ich war zu Tode beleidigt, zog einen Schmollmund und ließ den Kopf hängen. Johann drückte meinen Kopf an seine Schulter und streichelte mir über den Kopf.

      Oma beruhigte: „Lasst euch den Abend nicht verderben. Wir wollen jetzt in Ruhe essen und unsere neuen Gäste und Arbeiter ordentlich begrüßen, wie sich das halt so gehört. Ich habe noch eine Überraschung für euch und zwar habe ich noch einen schönen Kirschbrand im Keller. Den holen wir, wenn wir alle fertig gegessen haben.“

      Nachdem alle gespeist hatten, wurde es wieder etwas lauter. Marcel flüsterte leise mit Johann, Tascha und Nikolai taten das gleiche. Mama, Tante Friedel und Tante Erika räumten das Geschirr und das übrig gebliebene Essen in die Küche nebenan. Dabei ließen sie natürlich die Tür auf und man konnte hören, wie Friedel und Mama laut kicherten. Nachdem der Tisch gesäubert und abgewischt worden war, trat eine erwartungsvolle Stille ein. Nur Lothar rief laut: „Klaus, komm doch mit auf den Hof, die Peunerts wollten uns doch zwei kleine Kätzchen bringen.“

      „Nein, Lothar, jetzt nicht, ich will hier dabei sein.“

      Opa zündete sich eine Zigarre an und paffte wie eine Rangierlok. Oma stand auf, um in den Keller zu gehen und den Schnaps zu holen. Kaum war sie wieder oben, ließ sie Friedel die kleinen Schnapsgläser holen. Danach wollte sie die Einliterflasche öffnen, wusste aber nicht wie, da diese oben auf dem Korken mit einer Art Siegellack verschlossen war. Hilflos schaute sie in die Runde und bekam Hilfe von Opa. „Martha, wir haben das als Soldaten immer so gemacht, dass wir den Flaschenhals abgeschlagen haben.“

      „Alfred, also so ein Unsinn. Diese Flasche wird ordentlich geöffnet. Findet sich denn in diesem Kreis niemand, der das sauber erledigen kann? Da geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte und zwar stand Nikolai auf, ging langsam zur Oma und fragte auf Russisch: „Darf ich? Soll ich die Flasche öffnen?“

      Natürlich hatte keiner etwas verstanden, aber es war ja klar, dass er helfen wollte. Er nahm die Flasche, griff in seine Hosentasche, holte ein Messer heraus und begann den Siegellack abzuschneiden. Bis auf ein paar Reste gelang dies sehr ordentlich. Dann drehte er an dem überhängenden, großen Korken, bis mit einem „Floppp“ die Flasche auf war, sagte „Choroscho“ und setzte sich wieder hin. Während dieser Aktion schaute ihm Oma wohlwollend und mit Freude zu.

      „Danke Nikolai, das hast du fein gemacht. Wenn das auch auf den Feldern oder mit den Tieren so gut geht, das wäre ja wunderbar.“

      Nun ging es ans Gläserfüllen. Friedel stand auf, nahm die Flasche und wollte diese Aufgabe übernehmen. Sie goss Kirschbrand in das vor ihr stehende Glas ein, aber ihre Hand zitterte mächtig und mit einem großen Schwups überschüttete sie das Glas – mindestens die Hälfte landete auf der blank gescheuerten Holzplatte.

      „Auweia“, dachte ich. Dann ging sie zum nächsten, welches bei Opa stand. Da war aber nach ihrer Schüttaktion wieder

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