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„Und nun ließ ich alle meine Angestellten bewaffnen, hißte die Konsulatsflagge, und dann ging’s piff, paff aus den Fenstern auf die Tataren.“ Staunend hörte der Klub die Erzählung an, und jeden überlief es kalt bei der Schilderung des Kampfes.

      Nun möchte wohl so mancher meiner Leser einwerfen: „Dann war ja dieser Herr Tartarin ein ganz abscheulicher Lügner.“

      O nein! Tartarin war durchaus kein Lügner.

      „Aber er mußte doch recht wohl wissen, daß er niemals nach Schanghai gereist war.“

      Nun ja, das wußte er allerdings. Und dennoch …

      Ich will das näher zu erklären versuchen.

      Es ist wirklich an der Zeit, sich ein für allemal darüber zu verständigen, daß die Bewohner der nördlichen Länder denen der südlich gelegenen ganz mit Unrecht den Vorwurf machen, sie seien alle zusammen Lügner. Es gibt keine Lügner im Süden, weder in Marseille noch in Nimes, weder in Toulouse noch in Tarascon. Der Südländer lügt eben nicht, er – irrt sich nur; er ist stets in einer eigentümlichen Selbsttäuschung befangen. Er sagt nicht immer die Wahrheit, das ist richtig – aber er glaubt doch immer, daß er sie sagt.

      Die Lüge des Südländers ist keine Lüge, wenigstens ist sie nicht das, was man für gewöhnlich mit diesem Worte bezeichnet, sondern sie ist eine ganz merkwürdige Erscheinung.

      Ja, ein merkwürdiges Etwas! Und wer mich nicht ganz versteht oder wer sich von der Richtigkeit meiner Behauptung überzeugen will, der gehe einmal nach dem Süden. Er wird sein Wunder erleben. Er wird den Dämon dieses Landes kennen lernen, in dem die Sonne alle Gegenstände so eigentümlich beleuchtet, daß sie in ganz anderen Dimen­sio­nen erscheinen, als sie in Wirklichkeit haben. Die kleinen Hügel der Provence, die nicht höher sind als der Montmartre, werden ihm als riesig hohe Bergzüge erscheinen. Die Maison carrée in Nimes, die auf dem Nippestisch Platz zu haben scheint, kommt ihm so groß vor, wie Notre-Dame in Paris.

      Der Beschauer wird auch entdecken, daß der einzige südländische Lügner, wenn überhaupt von einem solchen die Rede sein kann, die – Sonne ist. Alles, worauf ihre Strahlen fallen, verändert und vergrößert sie. Was war denn Sparta zur Zeit seines höchsten Glanzes und Ruhmes? Ein Marktflecken. Und was war Athen? Höchstens das, was man heute als kleines Landstädtchen bezeichnet. Und doch erscheinen sie uns in der griechischen Geschichte als Großstädte. Die Sonne hat’s gemacht.

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       Tarragona

      Die Katalanen nennen diese eindrucksvolle Aquäduktbrücke „Pont del Diable“, „Brücke des Teufels“. Wann der Aquädukt errichtet wurde, ist nicht ganz klar; die meisten Anhaltspunkte sprechen dafür, dass er in augusteischer Zeit entstand, auf jeden Fall wohl im 1. Jh. n. Chr. Die Brücke zählt zu den besterhaltenen Beispielen aus römischer Zeit – wahrscheinlich weil sie mehrere Kilometer von der antiken Stadt Tarraco, dem modernen Tarragona, entfernt lag, sodass sie nicht allzu attraktiv für Steinräuber war. Außerdem versorgte die Wasserleitung, die über diese Brücke führte, bis ins Mittelalter hinein die Bevölkerung von Tarragona mit Wasser, sodass sie immer wieder ausgebessert wurde – und, wie man bei Joseph Townsend nachlesen kann, auch noch im 18. Jh., auf Kosten der Kirche. Heute findet man das Bauwerk an der Kreuzung der Autobahn AP7 mit der Schnellstraße N240. Aber es lohnt sich, an der dortigen Mautstelle zu parken und den 2005 hier entstandenen „Parc ecohistòric del Pont del Diable“ zu besuchen: 217 m lang ist die Brücke, 27 m hoch und im Großen und Ganzen so vollständig erhalten, dass sie aussieht wie frisch erbaut. Man kann sogar von einem Ende zum anderen darüberspazieren – wenn auch bitte ganz vorsichtig.

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      Aus: Joseph Townsend,

       Reise durch Spanien in den Jahren

       1786 und 1787 (1791)

      Joseph Townsend (1739–1816)

       war ein englischer Geistlicher, Arzt und Geologe. Er war einer der frühesten Verfechter der Einführung eines Systems zur sozialen Absicherung und Unterstützung der Armen. Außerdem entdeckte er ein Heilmittel gegen Syphilis.

      Eine Stunde hinter Hospitalet kommt man in eine fruchtbare Ebene, welche auf der linken Seite von Bergen eingefaßt ist, und auf der rechten die See hat. Wir reisten nun einige Stunden durch einen beständigen Garten, der mit zahlreichen Dörfern besetzt ist, und ostwärts vor uns warfen die hohen Thürme ihrer Kirchen die Strahlen der untergehenden Sonne zurück. Dieses ergiebige Thal, Campo de Tarragona genannt, trägt in einer beständigen schnellen Folge hinter einander Weizen, Gerste, Mais, Bohnen, Erbsen, Garbanzos, Vicebohnen, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Melonen, Gurken, Kalebassen, (cucurbita lignosa L.) Artischocken, Oliven, Oel, Wein, Mandeln, Granatäpfel, Feigen, Aprikosen, Johannisbrod, Flachs, Hanf, Seide, Luzerne, und allerley andre Gewächse, die theils zur Fütterung des Viehes, theils zur menschlichen Nahrung dienen.

      In der Nähe von Tarragona wurden die Oelbäume niedergeschlagen, um den Weinreben Platz zu machen, zu einer Zeit da der Branntewein starken Abgang fand, seitdem dieser aber im Preise gefallen ist, hat man keine Oelgärten wieder angelegt.

      Tarragona kann einen Liebhaber der Alterthümer unter allen spanischen Städten am meisten beschäftigen. Seine Aufmerksamkeit wird hier mannichfaltig gereizt, er findet Ueberbleibsel von einem Amphi­thea­ter, von einem Theater, von einem Circus, von einem Palast Augusts, von Tempeln, von einem Aquädukt, von Befestigungswerken, die zwar nicht von gleichem Alter mit jenen, aber doch auch alt sind.

      Die Stadt hieß bey den Römern Tarraco. Man hat hier auch viele Münzen und Inschriften gefunden. Weil Scipio sie befestigte, so giebt man ein altes Grabmal, welches zwischen hier und Barcelona hinter Alta Fuilla linker Hand von der Strasse im Gebüsche steht, für das Grab des Vaters und Oheims vom Scipio Africanus, welche beyde in Spanien getödtet wurden, aus. […]

      Die Wasserleitung bringt das Wasser 7 Stunden weit her und ist vermittelst einer Brücke über eine tiefe Ravine geleitet. Diese ist 700 Fuß lang und 100 Fuß hoch; unten hat sie 11 Bogen, und oben 25. Der verstorbne Erzbischof hat sie bloß auf seine Kosten wieder herstellen lassen.

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       Vers-Pont-du-Gard

      Diese Aquäduktbrücke ist nicht nur eine der besterhaltenen ihrer Art, sie ist zugleich das größte römische Bauwerk, das man in Südfrankreich besichtigen kann – der Pont du Gard, benannt nach dem Fluss, der unter ihm hindurchfließt (auch wenn dieser heute „Gardon“ heißt und nicht mehr „Gard“). 275 m lang ist die Brücke, deren Wasser­leitung einst Nemausus (Nîmes) mit 20 Millionen Litern Wasser pro Tag versorgte. Bis ins Frühmittelalter wurde der Aquädukt als solcher genutzt, später dann zur Straßenbrücke umfunktioniert. Was der berühmte Aufklärer Rousseau im 18. Jh. in seinen „Bekenntnissen“ eindrucksvoll beschreibt, gilt heute nicht weniger: Wer unter dieser Brücke steht, die so hoch ist wie ein 15-stöckiges Gebäude, kann kaum anders als in Ehrfrucht vor der Baukunst der alten Römer zu erstarren, die selbst einem doch eigentlich alltäglichen „Gebrauchsgegenstand“ wie einer Leitung zur Versorgung der Bevölkerung mit Wasser etwas Erhabenes zu verleihen vermochte. Und dann die Nerven mit einem Schluck Evian, Perrier oder Volvic zu beruhigen.

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      Aus: Jean Jacques Rousseau,

       Rousseau’s Bekenntnisse (1765)

      Jean Jacques Rousseau (1712–1778)

       war Philosoph und Pädagoge; er gilt als der bedeutendste Vertreter der ­französischen Aufklärung und einer der geistigen Väter der Französischen Revolution.

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