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sich befand und warum. Er hatte ihn angefleht, nichts zu verpfuschen und lieber gar nichts zu malen als Schrott. Und er hatte ihn unter Tränen bekniet, Joana so pfleglich zu behandeln wie eines seiner vielschichtigen Gemälde, die er in einer Mischung aus Rausch und Kalkül von der Leinwand stahl, als wären sie ein Stück Marmor oder Granit.

      Karl-Heinz fühlte sich wie ein Dieb im eigenen Haus. Er stolperte ungeschickt über ein paar Holzlatten, hielt sich an der Staffelei fest und hätte sie beinahe umgerissen. Wo war Joana? Er hatte sich auf dem Weg ein paar einleitende Sätze zurechtgelegt, witzig und schlagfertig, wie sie seiner Ansicht nach zu Sigi passten. Plötzlich waren sie wie weggeblasen. Zaghaft öffnete er die Tür zu den Privaträumen. Vor ihm lag eine gemütliche kleine Wohnküche. Durch das hoch liegende Erkerfenster lugte die Sonne. Abgesehen von ein paar zwitschernden Vögeln vor dem Fenster war es vollkommen still.

      »Joana?«

      Seine Stimme klang so dumpf, als dringe sie aus einem Berg von Watte. Er drückte sich um den Küchentisch und lehnte sich steif an die Kante. Der Schweiß rann ihm über die Stirne, sammelte sich hinter seinen Ohren und im Nacken. Eine Welle von Panik schlug in ihm hoch und war nahe daran, ihn zu ersticken. Wo war Joana?

      Vielleicht hatte sie die Schmierenkomödie irgendwie entdeckt und sich davongestohlen? Oder sie war erbost über sein nächtliches Ausbleiben und beschloss, es ihm heimzuzahlen … Sabine hätte so gehandelt. Aus welchem Holz aber war Joana gestrickt? Er verfluchte Sigi, dass er ihn nicht besser instruiert hatte.

      Die ganze Situation war ja vollkommen lächerlich und absurd. Er würde jetzt sofort die Wohnung verlassen und von Sigi seinen Schlüssel fordern. Wie hatte er sich nur auf so ein idiotisches Spiel einlassen können?

      Karl-Heinz wandte sich zur Tür und war von einem Moment zum anderen vollkommen blind. Zwei Hände legten sich wie Klammern über seine Augen, und ein unsichtbarer Körper bedrohte ihn von hinten. Karl-Heinz schrie auf, riss die Hände vom Gesicht, drehte sich auf dem Absatz um und griff an. Er starrte in das erschrockene Gesicht Joanas.

      Das Lachen, das ihr auf den Lippen lag, gefror zu einer Grimasse. Sie räusperte sich, starrte ihn einen Moment lang an und wedelte mit der Hand.

      »Ich bin kein Seeungeheuer, keine Klapperschlange und auch kein Drache!« Das Lächeln kehrte wieder zurück, und sie begann zu kichern. »Du musst ja eine furchtbare Nacht hinter dir haben, so wie du aussiehst.« Sie strich ihm über die stoppelige Wange. »Mein armer Sigi!«

      Einen Augenblick lang drehte sich alles um ihn im Kreis. Er schloss die Augen, hielt sich reflexartig an etwas fest, merkte, dass es warm und weich war, und stieß das fremde Objekt vorsorglich weg. Wie durch einen Nebel erblickte er die hochgezogene Stirne seiner dunklen Frau.

      »Joana«, krächzte er. »Ich dachte, dass … du bist hier?« Sein Gesichtsausdruck glich dem eines Dreijährigen, der eine Trigonometrie-Aufgabe vor sich sieht.

      »Mein armer Sigi«, wiederholte Joana und trat kopfschüttelnd an den Gasherd. »Ich glaube, ich mache dir erst mal einen Tee … Wo bist du überhaupt gewesen? Du hättest mich ja ruhig anrufen können!«

      Karl-Heinz stierte auf einen Miniatur-Nikolaus, der zeitlos und hässlich neben Oregano-, Safran- und Pfefferdosen auf dem hohen Regal stand.

      »Ich war mit Sigi«, er griff sich an die Stirn, »will sagen mit Karl-Heinz in unserer Kneipe. Es war auch ein Kumpel aus alten Zeiten da, und wir haben Wiedersehen gefeiert bis zum Morgen. Du bist mir doch nicht böse, oder?«

      Joana unterdrückte ein Lächeln. »Kleine Jungen schlagen manchmal über die Stränge … Ich verzeihe dir ausnahmsweise, aber nur, wenn du bis zum Ende austrinkst.«

      Sie reichte ihm den streng riechenden Tee. Karl-Heinz schnüffelte daran, verzog das Gesicht und begann mit Todesverachtung zu trinken. Es geht ja, dachte er und fühlte sich plötzlich von einer Euphorie davongetragen. Es funktioniert tatsächlich.

      Schon etwas sicherer bestellte er Sigis unnachahmlichen Hundeblick und richtete ihn auf Joana. Innerlich jauchzend stellte er fest, dass ihre Augen weich wurden und zu glänzen begannen. Sein Blick rutschte tiefer und fiel auf das einladende Dekolleté. Fast entsetzt bemerkte er, dass sie keinen BH trug. Karl-Heinz stellte den Tee ab und verschüttete die Hälfte. Auf einmal überschwemmte ihn eine Welle von Gier. Seine Hand machte sich selbstständig und glitt von Joanas Schulter über den Halsansatz zu dem Tal zwischen ihren Brüsten.

      Joana schlug ihn auf die Hand und wies auf den Küchentisch. »Alles austrinken!«, flüsterte sie heiser.

      Karl-Heinz trank den Becher in einem Zug leer, verschluckte sich und begann zu husten. Seine Frau schüttelte ungläubig den Kopf. »Du benimmst dich ja, als hättest du eine Woche keine Frau angerührt.«

      … Womit du durchaus recht hast, dachte Karl-Heinz, stürzte sich auf sie und riss ihr das bunt gefleckte Kleid von den Schultern.

      Sekunden später war er nicht mehr vorhanden. Sigis Körper übernahm die Regie, so als wüsste er im Schlaf, wo Joanas Lieblingsstellen waren, wo er streicheln musste und wo drücken. Er wusste, wann es galt, eine Pause zu machen, um ihren aufgelösten Blick in der Schale des seinen zu fangen und dann unendlich langsam erneut zu spielen; bis sein Bewusstsein sich auflöste in ein Feuerwerk, das er eigentlich erst zu Silvester erwartet hatte.

       12. Büro

      Sein Freund Sigi machte sich auf den Weg durch Friedrichshain in die Richtung von Karl-Heinz’ Büro. Er hatte es nicht eilig. Die Nachmittagssonne beschien gleichermaßen Wiesen und Bäume, telefonierende Manager, türkische Hausfrauen mit riesigen Tüten und die immer zahlreicher werdenden Bewohner der Straße.

      Er ging über die Brücke, die zur Köpenicker Straße führte, schlenderte den Kanal entlang und bewunderte die Ausflugsboote. Unermüdlich pendelten sie von einem Ende der Stadt zum anderen und beförderten Touristen, die gierig den Geschichten über ehemalige Todeszonen und Stacheldraht lauschten. Scharen von Tauben kreisten über dem Wasser und verlangten gurrend, dass man sie bediente. Ein bärtiger Landstreicher teilte seine Brotzeit mit den Vögeln, die ihn aufgeregt umflatterten und versuchten, sich gegenseitig die Brocken wegzuschnappen.

      Sigi senkte seine Hand in den ungewohnten Stoff seiner Hose, kramte eine von Karl-Heinz’ Münzen hervor und legte sie dem Mann auf die Decke. Der Landstreicher lockte eine zögerliche Taube, die ihn aus starren Augen anblickte. Er war so in den stummen Dialog versunken, dass er nicht einmal nach oben sah.

      Sieben Tage, dachte Sigi. Wenn man dabei war, ein Bild zu malen und nachts davon träumte, etwas zu schaffen, das noch viel mehr war: ein Strudel, in den man absinken konnte und sich in seinen Untiefen verlieren; um dann vielleicht wieder aufzutauchen in einem Blitz des Erkennens – dann konnte eine Woche sehr kurz sein. Wenn man auf einen verlorengegangenen Körper und seine ausgeliehene Frau wartete, war sie wahrscheinlich entsetzlich lang.

      Man konnte diese Zeit aber auch wie ein Bild sehen; ein Kunstwerk, das er schuf, indem er es lebte. Ein Lernen und, wer weiß, am Schluss ein Gelingen. Er beschloss, eine vielleicht gerade jetzt unter seinem fremden Körper liegende Joana zu vergessen und horchte nach innen. Er betrachtete seine angespannten Hände mit den hervorstehenden Venen und strich über seine arrogante Nase und den Mund wie ein Blinder, der mit dem Tastsinn sieht; er meinte zu fühlen, wie sein drängendes Blut durch die dünnen Adern strömte. Und er lauschte der fast quälenden Unruhe, die in jeder Faser dieses Körpers pulste. Sein Besitzer, dachte er befremdet, hatte sich zum Erfolghaben verurteilt …

      Fast wie von selbst gelangte er nach Kreuzberg und in die Oranienstraße. Wie immer, wenn er hier war, genoss er die an sich unverdauliche Mischung aus Kiez, Kunst und Kommerz; ein schickes indisches Restaurant, das zur Dekoration den halben Palast eines Maharadschas geplündert zu haben schien, lag neben einem nach Kebab duftenden Türkenladen. Die Enklave von Istanbul fand sich nicht weit entfernt von Greenwich Village; gleich daneben stieß man auf Auslagerungen Persiens, Afghanistans, Polens und der Ukraine. Ein Drogensüchtiger konnte hier neben einem Börsianer sitzen, und ein russischer Zuhälter neben einer Beauftragten für Frauenrechte.

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