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waren, fielen nur geringe Zuschüsse des Betriebs für den Werkverein an: Für das Jahr 1913 nur ca. 7.000 Mark.182 Die Oberaufsicht lag bei Reuschs Stellvertreter Woltmann, der seinem Chef regelmäßig berichtete und u. a. dem Aufsichtsrat für die Sitzung im August 1912 ein „Normalstatut für Werkvereine“ vorzulegen hatte.183

      Vor allem die christlichen Arbeitervereine beider Konfessionen empfanden die Werkvereine als unangenehme Konkurrenz; für die Mitgliedschaft in katholischen Arbeitervereinen galt ab Ende 1912 ein Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber den „gelben“ Werkvereinen. Die Auswirkungen ließen sich in Osterfeld exemplarisch studieren. Auf der Zeche Osterfeld existierte ab Mai 1912 ein Werkverein, der bis zum Jahresende auf annähernd 1.000 Mitglieder anwuchs. Nach dem Dözesan-Delegiertentag der katholischen Arbeitervereine und dem dort gefassten Unvereinbarkeitsbeschluss schrumpfte die Zahl der Mitglieder auf 300. „In einer fast rein katholischen Gegend wie Osterfeld war es einem Bergarbeiter nicht möglich, aus dem katholischen Knappenverein auszutreten. Er setzte sich dadurch mit seiner ganzen Familie massiven Repressionen aus, die vom ,Schneiden’ auf dem Arbeitsplatz bis zur ,Ermahnung’ von der Kanzel herab reichten.“184

      Aber nicht nur im Lager der Katholiken gab es Vorbehalte gegenüber den „gelben“ Werkvereinen. Der Vorsitzende der Nationalliberalen im Wahlkreis Duisburg-Mülheim-Oberhausen äußerte sich ebenfalls sehr kritisch über die Gründungswelle dieser völlig von den Unternehmern abhängigen Organisationen; er befürchtete eine Spaltung des Nationalliberalen Volksvereins und als Folge die Erosion der Wählerbasis seiner Partei. Die Vertreter der Schwerindustrie, allen voran Paul Reusch, wiesen seine Kritik scharf zurück. Nach ersten Erfolgen bei den Landtagswahlen 1913, bei denen die Nationalliberalen Gewinne erzielen konnten auf Kosten der SPD und des Zentrums und als zur Freude Reuschs im ganzen Ruhrgebiet „rechtstehende Männer“ in die Fraktion einzogen, erhoffte er sich für die Zukunft auch eine stärkere Rechts-Orientierung in der Reichstagsfraktion der Nationalliberalen.185

      Am 26. Oktober 1913 schlossen sich die Werkvereine des Ruhrgebiets auf einer Tagung in Oberhausen zum Verband der wirtschaftsfriedlich-nationalen Arbeitervereine im rheinisch-westfälischen Industriegebiet zusammen. Die Unternehmer verfolgten mit ihrer finanziellen Unterstützung die folgenden Ziele: Die ideologische Beeinflussung der Arbeiter im Sinne von Werksgemeinschaft, Arbeitsfrieden und nationaler Größe; die Abschottung der Belegschaften gegen eine „Vergewerkschaftung“; den Aufbau eines umfassenden Hilfskassenwesens und die Pflege der Geselligkeit. Neben diesen handfesten materiellen Vorteilen für die Mitglieder der Werkvereine legten die Satzungen allerdings auch fest, dass bei einer Streikbeteiligung finanzielle Zuwendungen unterbrochen bzw. Darlehen zurückgefordert werden konnten. Paul Reusch legte besonderen Wert darauf, dass seine leitenden „Beamten“ regelmäßig an den Vereinsfesten teilnahmen.186

      Unter Reuschs Obhut entwickelten sich die sogenannten „gelben“ Gewerkschaften in Oberhausen prächtig. Für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg konnte der GHH-Chef 1913 zufrieden feststellen, dass es „den Arbeiterorganisationen weder gelungen [sei], der Großeisenindustrie ihren Willen aufzuzwingen“ noch in der Arbeiterschaft der GHH „in maßgebendem Umfang Fuß zu fassen“. Dieser „gute Geist“ sei vor allem auf das Wirken der wirtschaftsfriedlichen Gewerkschaften in der GHH-Belegschaft zurückzuführen.187

      Die Förderung der Werkvereine war für Reusch Teil eines langfristig angelegten, mit großer Verbissenheit geführten Kampfes gegen die Sozialdemokratie. In den Besprechungen der Ruhr-Industriellen war dieses Thema ständig auf der Tagesordnung, so z. B. im Dezember 1912 bei einem von Hugenberg arrangierten Treffen mit August Thyssen, Stinnes, Klöckner und Reuschs Stellvertreter Woltmann im Essener Hof. Die Runde diskutierte die „Gefahren“, die von einer sozialdemokratischen Volksversicherung ausgehen würden: Die SPD würde große Geldmittel kontrollieren können, und die Bindung der Arbeiter an diese Partei würde noch enger werden. Deswegen wollte Hugenberg die Reichsregierung drängen, diese Volksversicherung qua Gesetz zu verhindern. Stinnes bezweifelte, dass dies möglich sein werde, und gab zu bedenken, dass der Bedarf für eine derartige Versicherung tatsächlich vorhanden sei. Als keine Einigung zustande kam, kündigte Hugenberg einen Alleingang bei der Reichsregierung an.188

      Reusch scheint in dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Hugenbergs harte Linie unterstützt zu haben. Er brach im September 1913 die Geschäftsbeziehungen zu einer süddeutschen Firma ab, weil er deren „schmähende Worte“ gegen die Firma Krupp nicht akzeptieren wollte – dies mit der folgenden skurrilen Begründung: Man sehe an diesem Geschäftsgebaren, „welche Blüten die Schwäche treibt, mit welcher unsere Reichsregierung der sozialdemokratischen Wühlarbeit gegenübersteht“.189

      Offenbar unterstützte er auch Hugenbergs Anstrengungen, Zeitungsverlage unter seine Kontrolle zu bringen. Seit der Jahrhundertwende waren die „Berliner Neuesten Nachrichten“ Sprachrohr des Centralverbandes Deutscher Industrieller: Von einem Grundkapital von 575.000 Mark, das fast vollständig in der Hand der Schwerindustrie war, übernahm z. B. Krupp 150.000 Mark und die GHH 20.000 Mark. Im Aufsichtsrat saß seit 1900 Reuschs Vorgänger Carl Lueg von der GHH.190 Nach dem Bergarbeiterstreik von 1905, als Teile der Presse entschieden gegen die Schwerindustrie Stellung bezogen hatten, intensivierten die Ruhrbarone die Bemühungen, weitere Zeitungen auf ihre Linie zu bringen. Im Spektrum der rechts-konservativen Blätter wurde vor allem „Die Post“ mit direkten finanziellen Zuwendungen unterstützt. „Die Post“ stand so weit rechts, dass selbst Kaiser Wilhelm in dem Blatt nach der zweiten Marokkokrise als zu zaghaft („Guillaume le timide“191) verspottet wurde. Gerade wegen ihrer „stramm nationalen“ Haltung wurde sie Reusch besonders empfohlen; die Zeitung bekämpfe „nachdrücklich und unerschrocken alle umstürzlerischen Bestrebungen“ und bringe „industriellen Angelegenheiten“ im Unterschied zu anderen Blättern immer Interesse entgegen.192 Im Kreis der rheinischen Schwerindustriellen setzte sich Reusch daraufhin bei seinen Kollegen ganz besonders für diese Unterstützung ein; die GHH zahlte 1911 einen Betrag von 830,80 Mark, d. h. 10 Pfennig pro Kopf der Beschäftigten.193

      Die treibende Kraft bei den Bemühungen der Industrie, Einfluss auf die Massen-Presse zu gewinnen, war jedoch schon vor dem Krieg Alfred Hugenberg. Die Grundlage für den Hugenbergschen Pressekonzern der Zwanziger Jahre wurde durch die Gründung des Deutschen Verlagsvereins, der den Scherl’schen Zeitungsverlag übernahm, geschaffen. Reusch setzte sich entschieden für diese Übernahme ein. Die Industrie, so schrieb er seinem Aufsichtsratsvorsitzenden, habe „ein außerordentlich großes Interesse … zu verhindern, dass der Scherl’sche Verlag in die Hände von Rudolf Mosse übergeht und damit die außerordentlich verbreiteten Zeitungen in ein industrie-feindliches freihändlerisches Fahrwasser geraten“. Das Berliner Tageblatt und andere Zeitungen des Scherl-Verlages legten bereits jetzt eine „abstoßende und widerwärtige Haltung“ an den Tag.194 Bemerkenswert ist die Gleichsetzung der Attribute „freihändlerisch“ und „industrie-feindlich“; hier brachte Reusch seine Unterstützung für die Wiederbelebung des Bündnisses der Schwerindustrie mit den adeligen Großgrundbesitzern zum Ausdruck. Als „abstoßend“ und „widerwärtig“ galt ihm zweifellos jegliche Kompromissbereitschaft gegenüber der Sozialdemokratie.

      Wenn es um die Politik der Linksliberalen oder – noch schlimmer – der Sozialdemokratie ging, taktierte Paul Reusch nicht, sondern handelte aus tiefster Überzeugung. Dies machte er in einem Bekennerbrief an Franz Haniel deutlich. Als der Schaafhausen’sche Bankverein Ende 1913 Gewerkschaften als Kunden akzeptierte, obwohl diese als Bedingung die Anerkennung des Koalitionsrechtes verlangten, brach Reusch alle Verbindungen zu dieser Bank ab. Aus seiner Sicht hatte der Bankverein „mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften einen Pakt geschlossen“ und sei damit der Deutschen Bank „auf eine geradezu schmähliche Weise in den Rücken gefallen“. Die GHH habe es „sich zur Aufgabe gestellt …, die sozial-demokratischen Gewerkschaften auf das energischste zu bekämpfen“. Für seine Person legte Reusch ein emphatisches Bekenntnis ab: „Ich habe mir, solange ich im wirtschaftlichen Leben stehe, stets die größte Mühe gegeben, der Sozialdemokratie und den sozialdemokratischen Gewerkschaften das Wasser abzugraben, und mich auch nicht

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