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und wie aufgeheizt die Stimmung war, denn die Lokalzeitung setzte die Stellungnahme der Gewerkschaften direkt in die Spalte neben die Interviews der Zechendirektoren. 1.500 Arbeiter drängten sich an diesem Tage im Saal bei Küppers in Alstaden zusammen. Der Redner der Gewerkschaften rief eingangs mehrfach zur Besonnenheit auf und warnte vor dem „größten Feind des Arbeiters im wirtschaftlichen Kampfe, dem Alkohol“, wandte sich dann aber leidenschaftlich gegen die Behauptung der Zechendirektoren, alle Wünsche seien doch erfüllt. Er schloss unter donnerndem Applaus mit dem Satz: „Wir wollen kein Blutbad, wir wollen nur unser Recht, mehr Brot für Weib und Kind, mehr Freiheit.“169 Die ungünstige Ausgangslage für die Arbeiter wurde schon an diesem Tage dadurch offenbar, dass sich zur selben Zeit im Husemannschen Saal in Osterfeld 1.000 katholische Bergleute versammelten und auf Antrag des Christlichen Gewerkvereins eine Resolution gegen den Streik verabschiedeten. Der Riss ging mitten durch Osterfeld: Zwei Drittel der Arbeiter auf der Zeche Osterfeld waren in den Christlichen Gewerkschaften organisiert, auf der unmittelbar benachbarten Zeche Vondern gehörte die Mehrheit der Bergleute zu den freien Gewerkschaften.

      Was bei einem langen Streik auch in Oberhausen und den nördlichen Nachbarstädten zu befürchten war, malte der „Generalanzeiger“ in einem düsteren Katastrophen-Szenario aus: „Das Gespenst des Hungertodes über England. Je mehr riesige Schornsteine rauchlos in das Blaue starren, je mehr sich der Himmel über den Fabriken aufhellt, desto düsterer werden die Aussichten für das arbeitende Volk. Heute wird sich die Zahl der unschuldig brotlos gewordenen wieder um 100.000 vermehren. Geschlossene Fabriken, unbeleuchtete Straßen, leere Wagen, müßige Lokomotiven, verlassene Schiffe und eine große unheimliche Stille geben dem Ernst in dem sonst so emsigen Lande das Gepräge.“ In Sheffield, Leeds und Nottingham würden die Ausgesperrten „bereits am Hungertuche nagen“.170

      Einen Tag später wurde auf den Zechen Vondern, Sterkrade und Hugo nur noch jeweils eine Schicht pro Tag gefahren; die Zechen Osterfeld, Oberhausen und Ludwig arbeiteten jedoch weiter in drei Schichten. Trotzdem rief Reusch sofort nach der Polizei. In seinem Bericht an den Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Haniel kritisierte er den nach Aussage der Betriebsführer „vollständig unzureichenden … Schutz der Arbeitswilligen“. Er habe sich deshalb telegraphisch an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf, an den Polizeipräsidenten in Essen und an die Bürgermeister der „Betriebsgemeinden“ gewandt.171 Wenn Reuschs Schilderung zutreffend war, dann dürfte die Situation in Oberhausen nicht repräsentativ für das gesamte Streikgebiet gewesen sein, denn vor Streikbeginn waren aus dem ganzen Reichsgebiet Polizisten zusammen gezogen worden. Vom ersten Streiktag an wurden 5.500 Polizeibeamte aufgeboten, um die Streikenden einzuschüchtern – ohne Erfolg, denn am 13. März beteiligten sich 235.000 Bergarbeiter, 61,24% der Belegschaften, an dem Ausstand. In Oberhausen kamen an diesem Tag 57% der Bergleute nicht zur Arbeit.172

      Innerhalb des heutigen Stadtgebiets von Oberhausen war die Beteiligung am Ausstand auf der Zeche Osterfeld, wo die „Christlichen“ besonders stark waren, deutlich niedriger als auf den anderen GHH-Zechen. Die christlichen Gewerkschaften und das Zentrum machten sich Reuschs nationalistische Argumentation zu eigen. Sie polemisierten heftig gegen den „Sympathiestreik für England“, bezeichneten ihn als „eine Torheit“: „Die Engländer haben uns bei dem Streik im Jahre 1905 umfangreiche Absatzgebiete abwendig gemacht, die wir jetzt hätten wiederholen können, denn hierin müssen die Interessen der Arbeiter und Grubenbesitzer dieselben sein.“173 Die „Christlichen“ wiesen den Vorwurf, Streikbrecher zu sein, entschieden zurück, forderten gleichzeitig aber die Arbeitgeber auf, keine „Prämien für Nichtstreikende“ auszuzahlen.174

      Die hohe Beteiligung machte vor allem die Führer der „gelben“ Werkvereine nervös; von ihnen kam jetzt die Forderung, Militär zum Schutz der Arbeitswilligen einzusetzen. Am 14. März marschierten tatsächlich 5.000 Soldaten, darunter zwei Maschinengewehr-Abteilungen, in die Kreise Dortmund, Hamm und Recklinghausen ein. Der Düsseldorfer Regierungspräsident forderte für das westliche Ruhrgebiet dagegen kein Militär an, obwohl es gerade dort, in Hamborn, zu blutigen Zusammenstößen gekommen war.175 Nach dem 14. März ging die Streikbeteiligung rasch zurück. Bereits eine Woche später musste der Streik nach einer Delegiertenkonferenz der drei beteiligten Gewerkschaften ergebnislos abgebrochen werden, da die erforderliche Zweidrittelmehrheit für eine Fortsetzung nicht erreicht wurde.176 Es war eine bittere Niederlage vor allem für den sozialdemokratisch orientierten „Alten Verband“. Eine harte Klassenjustiz bürdete vielen Arbeitern anschließend noch Geld- und Gefängnisstrafen für angebliche Streikvergehen auf. Die Konsequenz waren erhebliche Mitgliederverluste in den folgenden Monaten.177 Das Kalkül der Arbeitgeber, in so entlarvender Weise von Gustav Krupp in seiner Denkschrift für Kaiser Wilhelm in Worte gefasst, war aufgegangen.

      Im Juli 1912 wurde die Zeche Osterfeld von einer schweren Schlagwetter-Explosion erschüttert. 16 Bergleute kamen dabei ums Leben, sechs weitere überlebten mit schweren Verletzungen. Schon einen Tag später war Reusch sich sicher, dass die Betriebsleitung keine Schuld traf.178 Im Bericht an den Aufsichtsrat wird auf das Ergebnis der behördlichen Untersuchung, das am Tag nach dem Unglück bereits vorlag, verwiesen. Demnach traf die Schuld entweder den Schießmeister oder zwei Gesteinshauer, die bei dem Unglück alle ums Leben kamen.179 Von Seiten der Arbeiter und auch der Steiger wurde diese Darstellung ganz entschieden bestritten. In der „Arbeiter-Zeitung“ wurde auf die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen verwiesen und auf den Druck, der seit den Arbeitskämpfen mit den „Beamten“-Verbänden in den davor liegenden Monaten gerade auf den Steigern lastete. Es wurde ausdrücklich ein Zusammenhang hergestellt zwischen den Arbeitsbedingungen und der Schlagwetterkatastrophe, und der Betriebsleitung wurde vorgeworfen, dass Presseerklärungen von Steigern, die die offizielle Version der Unglücksursachen stützten, unter massivem Druck zustande gekommen seien. Einem schwer verletzten Steiger habe man im Krankenhaus eine vorformulierte Erklärung zur Unterschrift vorgelegt. Die betreffenden Zeitungsartikel wurden Reusch persönlich vorgelegt.180

      Abb. 6:Das furchtbare Grubenunglück auf der Zeche Osterfeld: Abonnentenwerbung, GA 9. 7. 1912, StA Oberhausen

      Reusch veranlasste sofort, dass die Hinterbliebenen je ein Sparkassenbuch über 1.000 Mark erhielten. Der Oberpräsident der Provinz Rheinland Freiherr von Rheinbaben kam eigens nach Osterfeld, um gemeinsam mit Reusch die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Die toten Bergleute wurden getrennt nach Konfessionen, die Katholiken in Osterfeld, die Protestanten in Oberhausen, beerdigt. Zumindest aber war es „gelungen, die Geistlichen beider Konfessionen zu veranlassen, dass vormittags 10 Uhr eine gemeinsame Trauerfeier [stattfand]“.181

      Kompromisslose Härte gegenüber Streikenden, Ablenkung der Spannungen nach außen und großzügige Fürsorge bei Wohlverhalten, dies gehörte für Reusch untrennbar zusammen. Dies war die Strategie beim Aufbau der wirtschaftsfriedlichen, „gelben“ Werkvereine, für die Reusch sich wie kein anderer Großunternehmer schon in den Jahren vor dem Krieg einsetzte.

      Das Anwachsen der Wählerstimmen für die SPD und das Zentrum bei den Reichstagswahlen im Januar und der Bergarbeiterstreik im März 1912 veranlassten Reusch, die Pläne für die Gründung wirtschaftsfriedlicher Werkvereine bei der GHH energisch voranzutreiben. Bereits im Juni 1911 war in der GHH eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, um die wirtschaftliche, soziale und politische Problematik derartiger Gründungen zu prüfen. Reusch schien die 1908 gegründete, stramm nationale „Deutsche Vereinigung“ als Führungsorganisation der Werksvereinsbewegung besonders geeignet. Nach den März-Streiks wurde die Gründung des Werkvereins bei der GHH in beeindruckendem Tempo durchgezogen: Im April 1912 holte der nationalliberale Parteisekretär Max Liebscher im Auftrag der GHH Informationen bei der Firma Krupp in Essen ein; im Juni standen die „Grundzüge für die Bildung eines Werkvereins“ schriftlich fest; im August 1912 berieten die leitenden Angestellten bereits eine Satzung; im Oktober fanden unter Aufsicht der jeweiligen Betriebsleiter die konstituierenden Sitzungen auf den Zechen und in den einzelnen Werken der GHH statt;

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