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Sie sah Kate mit kühlen blaugrauen Augen an, aufmerksam, abschätzend und neugierig.

      Guy Adams’ Händedruck war warm und fest, und er hielt ihre Hand einige Sekunden länger als nötig. Sein Jackett und seine Krawatte waren creme-, sein Hemd kaffeefarben. Sie registrierte, dass er sein rötlich-blondes Haar sorgsam frisiert hatte, um zu kaschieren, wie dünn es war. Die grünen Augen blickten sie nicht direkt an. Er sieht aus wie aus einer Werbeanzeige der Brooks Brothers, dachte sie und versuchte erfolglos, eine spontane Abneigung zu unterdrücken.

      Sie sagte: »Ich hoffe, dass Sie sich alle darüber im Klaren sind, wie wichtig es ist, dass Sie uns alle Informationen zugänglich machen und dass Sie sich nicht untereinander über den Fall austauschen, bis wir die Vernehmungen abgeschlossen haben. Jeder von Ihnen könnte eine Information von entscheidender Wichtigkeit –«

      Ein scharfes Klopfen ertönte, und die Tür wurde aufgestoßen. Mit zunehmender Verblüffung starrte Kate die junge Frau an, die in den Raum geschlichen kam. Ein enger, wuscheliger, marineblauer Pullover bedeckte dünne, hängende Schultern und kaum wahrnehmbare Brüste. Nackte knochige Knie kamen unter einem zerknitterten Khakirock zum Vorschein, der die Umrisse spindeldürrer Oberschenkel erkennen ließ, die in ein hervortretendes Becken und einen vorgeschobenen Bauch übergingen. Ein spitzes Kinn ragte aggressiv nach vorn. Die Frau hatte einen Stoß Aktenordner achtlos unter den Arm geklemmt. Der Rauch einer Zigarette, die sie in der anderen Hand hielt, stieg nach oben.

      »Detective Delafield, das ist Billie Sullivan«, sagte Gail Freeman mit ausdrucksloser Stimme. »Fergus Parkers Sekretärin.«

      »Ein weiblicher Schnüffler«, krächzte Billie Sullivan und streckte ihre Hand aus. »Der Boss wäre verdammt sauer.«

      Kate schaffte es, ein Lachen zu unterdrücken, aber lächeln musste sie trotzdem. Sie ergriff skelettdünne Finger, die sich wie trockene Zweige anfühlten. Vom Konferenztisch kam Gehüstel und Geräusper. Gretchen Phillips kicherte leise.

      Billie Sullivan sagte: »Also, wie gefällt Ihnen die Modern Office-Methode, Beschäftigte loszuwerden?« Ihr Lachen klang wie das Zerspringen und Klirren von Glas.

      Gretchen Phillips kicherte nochmals. Gail Freeman fragte streng: »Billie, haben Sie den Sonderbericht für Philadelphia fertiggestellt?«

      »Fast. Den beschissenen Teil habe ich Ellie zum Tippen gegeben.« Sie fügte hinzu: »Die Büroidiotin, schreibt gerne Zahlen.« Diese letzte Bemerkung schien an Kate gerichtet gewesen zu sein, aber Billie Sullivans weit auseinanderstehende grünliche Augen sahen in zwei verschiedene Richtungen, und Kate war nicht ganz sicher. Billie schob ihr büscheliges, karottenfarbenes Haar aus der blassen, sommersprossigen Stirn und zog an ihrer Zigarette, ihre Wangen wirkten durch den Sog wie ausgehöhlt. Zischend stieß sie einen dünnen Rauchstrom aus.

      »Billie, pass mit der Asche auf diesem hellen Teppich auf«, warnte Fred Grayson.

      Sie warf einen Blick voll unverhüllter Verachtung auf Fred Grayson, deponierte die Aktenordner in einem unordentlichen Stapel auf dem Tisch des Konferenzraums und schnippte, ohne mit der Wimper zu zucken, zentimeterlange Asche in ihre Handfläche. Dann machte sie zwei lange abgehackte Schritte, wobei ihr skelettartiger Körper sich in Form eines Fragezeichens zusammenkrümmte, und schüttete die Asche aus ihrer Handfläche in den Papierkorb. Sie hob einen Fuß mit einer dicken Sandale daran und drückte ihre Zigarette an der Reliefsohle aus, wobei Funken kaskadenartig herabstürzten. Sie warf die geschwärzte Kippe in den Papierkorb.

      »Um Himmels willen«, murmelte Fred Grayson.

      »Danke, Billie.« Gail Freemans Stimme klang distanziert und förmlich. »Bitte bringen Sie mir den Bericht, sobald er fertiggestellt ist.«

      »Sicher. Sir«, fügte sie hinzu und grinste, wobei sie ein gelbes Wolfsgebiss enthüllte. Ein blaues Augenlid senkte sich über ein auf nichts Bestimmtes gerichtetes Auge. Kate konnte nicht einmal erraten, wem das Zwinkern gegolten hatte. Billie Sullivan trottete zur Tür und drehte sich um. »Es war eine Freude, Sie kennenzulernen, Lady Cop.« Die Tür schloss sich, und wieder war ein Geräusch wie zerspringendes Glas zu hören – Billie Sullivans Lachen.

      »Gail«, sagte Fred Grayson, »diese … diese Frau …«

      »Einer der ersten Punkte auf unserer neuen Tagesordnung«, sagte Gail Freeman kurz. Er erhob sich. »Warum verlegen wir die Konferenz nicht in dein Büro, Fred? Ich habe der Polizei diesen Raum versprochen.«

      Guy Adams erhob sich augenblicklich. Gretchen Phillips sammelte die Aktenordner ein, die auf dem Tisch lagen. »Wenn Sie bitte noch bleiben würden, Mr. Freeman«, sagte Kate.

      Die leitenden Angestellten strömten davon. Duane Fletcher blickte nervös über seine Schulter, als sei Gail Freeman ein Opfer, dem ein ungewisses, aber zweifellos schreckliches Schicksal bevorstand.

      »Eine hässliche Sache, Mr. Freeman«, sagte Kate ruhig.

      »Gail.« Freeman verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie offen an. »Das Schlimmste, was ich je gesehen habe, war der Kerl, der ohne Kopf und mit herausquellenden Eingeweiden in den Schützengraben fiel, in dem ich saß.«

      Kate sagte sanft: »Ich war in Da Nang. Marineinfanterie, Nachschubkorps. Aber so etwas habe ich erst gesehen, als ich zur Polizei ging.«

      »Pusan«, sagte Freeman und grinste über ihre Verwirrung. »Ein anderer Krieg. Korea. Ich bin älter, als ich aussehe.«

      »Dreiundfünfzig, Kate«, sagte Taylor.

      Taylor verschwendet bereits Zeit, dachte sie irritiert. »Mr. Freeman, wäre es möglich, uns außer diesem noch einen weiteren Raum zur Verfügung zu stellen?«

      »Luther Garrett ist gestern nach San Francisco gefahren. Sein Büro ist hinten neben der Textverarbeitung.«

      »Ich werde sein Büro nehmen, Kate«, sagte Taylor. »Wenn du mich brauchst, ich bin da drin und vernehme die Angestellten.«

      »Wir können Sie ausrufen lassen«, sagte Freeman.

      »Gut.« Sie entließ Taylor mit einem Kopfnicken. »Mr. Freeman, soweit ich weiß, war das Opfer Geschäftsführer dieser Zweigniederlassung. Wer leitet den Betrieb jetzt?«

      »Offiziell niemand. Diese Entscheidung wird von Philadelphia aus getroffen, vom Hauptsitz der Firma. Das kann ein paar Tage dauern.«

      »Verständlich. Aber hat niemand Fergus Parker vertreten, wenn er geschäftlich unterwegs oder im Urlaub war?«

      Freeman schüttelte den Kopf. »Er war immer telefonisch erreichbar. Allerdings, wenn er fand, dass es nicht dringend genug war, machte er einen zur Sau.«

      Kate grinste. »Vor Jahren habe ich mal für so jemanden gearbeitet. Wir nannten ihn den Unberechenbaren Kollegen.«

      »Ich würde Fergus Parker nicht unberechenbar nennen, paranoid vielleicht«, sagte Freeman trocken.

      »Das klingt, als hätten Sie nicht viel für ihn übrig gehabt«, sagte sie beiläufig und beobachtete ihn.

      Freeman sah sie fest an. »Lassen Sie es mich so ausdrücken. Ich habe die Leiche identifiziert. Ich fand, das Messer stand ihm ausgesprochen gut.«

      Kate räusperte sich energisch, um ein Lachen zu unterdrücken. »Es scheint Sie nicht sehr zu kümmern, ob Sie der Tat verdächtigt werden oder nicht.«

      Freeman lachte kurz. »Ich bin nur einer von vielen.«

      »Wirklich?« Sie steckte ihr Notizbuch in ihre Schultertasche, um ihn zum Reden zu ermutigen. »Wer sonst würde Fergus Parker gern tot sehen?«

      Freeman schüttelte den Kopf und lehnte sich gegen den Tisch, Hände in den Hosentaschen. »Ich spreche nur für Gail Freeman. Ganz besonders unter den gegebenen Umständen. Ich höre zu, wenn geredet wird, aber ich verbreite keinen Klatsch.«

      Sie erforschte sein strenges Gesicht mit den asketischen Wangenknochen. Sogar mit offenem Jackett und leicht verrutschter Krawatte bewahrte er eine gelassene Eleganz. Kühl sagte sie: »Wollen Sie nicht, dass der Mörder gefasst wird?«

      Freeman

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