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ich bloß alles organisieren? Am Donnerstag kommt Albert aus Russland zurück. Sicher kann er mir mehr über Bernds Gesundheitszustand sagen.

      Im Haus herrscht gedrückte Stimmung. Ich rufe meinen Hausarzt an. Er schreibt mir beruhigende Medikamente auf und stellt mir ein Attest aus. Ich bringe es ins Schulbüro.

      Die Sekretärin tröstet mich, die Kolleginnen und Kollegen wollen meine Klasse bis zu den Ferien gemeinsam versorgen. Der Rektor ist in einer Besprechung.

      Wieder zu Hause renne ich hin und her und bringe nichts auf die Reihe. Auch der folgende Tag verläuft hektisch. Endlich kann ich mit Bernd telefonieren. Seine Stimme klingt schwach und krank. Er weint. Ich bin tief betroffen. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Jetzt rastet auch noch Christoph aus. Er fühlt sich verantwortlich für den Hof und beginnt, sich mit den Lehrlingen zu streiten. Nun kann nur noch ein ruhiges Gespräch helfen.

      Morgen soll Albert zurückkommen. Endlich werde ich Einzelheiten erfahren.

      Am nächsten Tag fahre ich zunächst in den Ort und regle in der Bank die wichtigsten Geldangelegenheiten, damit laufende Betriebskosten überwiesen werden können. Damit die Lehrlinge über Weihnachten nach Hause fahren können, schalte ich den Betriebshilfsdienst ein. Es ist fast Mitternacht, als Albert endlich anruft. Durch Verspätung des Fluges von Moskau nach Berlin sitzen die Münsteraner in Berlin fest, die Maschine nach Hannover hat nicht gewartet. Ich gebe ihm die Telefonnummer unseres Freundes Seppel, der in Berlin wohnt und für die Jäger ein Quartier besorgen soll.

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      Am 21. Dezember erfahre ich von einem Reisebüro in Hamburg, mit dem Frau Stühr Kontakt aufgenommen hat, dass ich schon am 23. Dezember nach Rijasan fliegen kann. Ich telefoniere mit Bernd. Er bittet mich, zu Weihnachten doch bei den Kindern zu bleiben. Kurze Zeit später ein Anruf aus Münster. Bernds Zustand hat sich verschlechtert, er sei doch sehr unruhig. Ich solle besser erst nach Weihnachten die Reise antreten. „Lieber Gott, lasse ihn nicht sterben“, bete ich verzweifelt. Ich muss einen klaren Kopf behalten und alles für die Reise neu organisieren. Zuerst telefoniere ich mit dem Büro in Hamburg; es wird umdisponiert. Als ich meinen Reisepass hervorhole, stelle ich fest, dass er abgelaufen ist. Auch das noch! Anruf bei der Gemeinde. Der zuständige Herr ist auf Dienstreise, also wird sein Vertreter informiert. Gott sei Dank mahlen die Mühlen des Amtes heute etwas schneller als gewöhnlich. Innerhalb von drei Tagen liegt der Reisepass vor. Jetzt muss ich mich bei einer russischen Dolmetscherin kundig machen. Was soll ich mitnehmen? Brauche ich Gastgeschenke oder etwas für das Ärzteteam in Rijasan? Muss ich vielleicht sogar die Krankenhauskosten vor Ort bezahlen? Anna, eine Russin, Dolmetscherin aus Havixbeck, rät mir, möglichst viel Werbegeschenke mitzunehmen, ebenso Einwegspritzen, an denen es dort mangelt. Ich bitte bei Banken und Versicherungen um Werbegeschenke und erhalte eine ganze Reisetasche voll. Die Einwegspritzen aus Apotheken und Kliniken hat Frau Stühr für mich organisiert. Anna beruhigt mich, wegen der Kosten solle ich mir keine Sorgen machen. Das wird später mit der Krankenkasse erledigt. Meine Eltern aus dem Oldenburger Land wollen kommen und sich um Kinder und Hof kümmern. Es regnet und regnet, der Wind peitscht um das Haus. Unsere Stimmung ist gereizt, traurig, aggressiv, mitfühlend.

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      Noch einen Tag bis Heiligabend. Jetzt scheint alles für die Reise geregelt zu sein. Letzte Einkäufe vor dem Fest. Jana fährt mit dem Bus nach Münster, um sich eine Winterjacke zu kaufen. Sonja braucht noch weiße Stiefel für das Weihnachtsspiel. Der Pastor kommt zu Besuch. Im Dorf wird viel über meinen Mann gesprochen. Ich berichte dem Pfarrer, was geschehen ist. Er will ihn in seine Gebete einschließen. Einige Nachbarn rufen an und erkundigen sich nach Bernds Befinden. Sie bieten mir ihre Unterstützung an. Gegen Abend telefonieren die Kinder mit ihrem Vater. Bevor sie zum Hörer greifen, flüstere ich ihnen zu: „Heult bloß nicht! Das belastet ihn noch zusätzlich!“

      Am Heiligabend versorgen Christoph und der Lehrling die Tiere. Ich fahre mit Jana und Sonja zur Kirche, sie sind Messdiener im Abendgottesdienst. Anschließend bereiten wir gemeinsam die Weihnachtsgeschenke für Paten und Großmutter vor, die wir am folgenden Tag besuchen wollen. Christoph stellt den Weihnachtsbaum auf und bringt die Lichterkette an. Ich schmücke mit den Mädchen den Baum. Abends kommen Luise und Heinrich, ein befreundetes Paar, die bei uns im Kötterhof zur Miete wohnen. Die Lehrlinge fahren zum Weihnachtsfest nach Hause. Wir essen Plätzchen und trinken Punsch. Ein warmes Essen will keiner mehr. Sonja will sofort ihre Geschenke auspacken und lotst uns alle ins Weihnachtszimmer. Jana spielt auf dem Klavier, Sonja auf ihrer Blockflöte.

      Wir sprechen über Bernd. Luise und Heinrich erzählen von ihrer Kindheit an Weihnachtstagen und helfen uns mit humorvollen Erzählungen über den Abend hinweg.

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      Am ersten Weihnachtstag besuchen wir den Festgottesdienst, nachdem Christoph und ich das Vieh versorgt haben. Gegen Mittag wollen wir nach Olfen zu den Paten von Jana und Sonja und zu ihrer Großmutter, die dort vorübergehend wohnt, aufbrechen.

      Wir müssen jedoch erst noch den Tierarzt abwarten, weil ein Rind erkrankt ist. Das Eintreffen des Arztes dauert sehr lang. Ich telefoniere mit Friedrich, einem Freund meines Mannes. Er schaut sich das Tier an. „Es ist alles in Ordnung, ihr könnt ruhig fahren!“ In diesem Augenblick steht auch der Tierarzt vor der Tür. Er untersucht zwei weitere Rinder, die Schwierigkeiten mit der Nachgeburt haben und gibt ihnen Tabletten. Für die Kälber soll das Hustenpulver weiter verabreicht werden.

      Endlich können wir losfahren. Bei der Tante gibt es Wildschweinbraten. Das ist wohl nicht das Richtige für die Kinder, aber das macht nichts, es gibt genug anderes zu essen. Außerdem werden sie mit Geschenken überhäuft. Auch hier dreht sich das Gespräch um den Kranken in Russland.

      Am zweiten Weihnachtstag steht ein weiterer Besuch des Gottesdienstes an, aber keines der Kinder will hingehen. Ich dränge sie nicht. Zum Mittagessen kommen meine Eltern mit meinem Bruder. Er hat sein Auto einen Tag vorher zu Schrott gefahren. Daher bringt er die Eltern mit deren Auto, um auf seinem Hof noch motorisiert zu sein. Zum Glück ist ihm nichts passiert. Auch die Lehrlinge kommen aus dem Weihnachtsurlaub zurück. Mein Vater regelt mit ihnen die Hofangelegenheiten.

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      Ich habe inzwischen alles für die große Reise gepackt. Heiner, ein befreundeter Architekt der Familie, und Jana bringen mich zum Flughafen nach Greven. Nach dem Einchecken haben wir gerade noch Zeit für einen Kaffee. Mir fällt ein, dass ich wohl besser noch ein paar Schachteln Zigaretten mitnehmen sollte, da ich meine Marke Lord in Russland wohl nicht bekommen werde.

      Als ich mich verabschiede, hat Heiner Tränen in den Augen, Jana drückt mich ganz fest und sieht ebenfalls sehr traurig aus. „Grüß Papa von uns!“, ruft sie mir zu.

      Mit meinem Handgepäck und der Gefriertasche mit einem Hasen, den ich als Geschenk für die Übernachtungsmöglichkeit bei Freunden in Berlin mitgenommen habe, betrete ich das Flugzeug.

      Der Flug verläuft ohne Probleme, aber vor Aufregung ist mir ganz schlecht. Neben mir sitzt ein Arzt der Unfallchirurgie und verwickelte mich in ein Gespräch, um mich abzulenken. Er hat seine Eltern in Münster-Gremmendorf besucht.

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      In Berlin- Tegel werde ich von Marlies, Seppel, ihrer Tochter Anja und ihrer Großmutter mit dem Auto abgeholt. Alle bemühen sich rührend um mich und versuchen mir, die Durchreise so angenehm wie möglich zu gestalten.

      Am folgenden Morgen bringen mich Marlies und Seppel zum Transitbahnhof. Dort warten schon einige Reisende von der Hansa-Touristik, die wie ich über den Ostberliner Flughafen Schönefeld nach Moskau fliegen wollen.

      Am Grenzübergang werden wir nur von Westdeutschen kontrolliert und können dann mit dem Bus gleich durchfahren. Auf der Gegenseite stehen Schlangen von Menschen, die von Ost nach West wollen. Am Flughafen Schönefeld klappt das Einchecken trotz meines viel zu schweren

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