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von der Arbeit nach Hause kam und Dionysos sah, der verträumt neben dem Klavier ihres Mannes saß und seine kleinen Händchen über den weichen Teppich gleiten ließ, beschloss sie, vorerst nicht mehr beim Film zu arbeiten.

      III

      Etwa um diese Zeit spürte Dionysos wie sehr ihm die Musik gefiel. Wir schwärmten öfters miteinander davon und egal wie trostlos gerade unsere allgemeine Lage war, begann das Herz meines Freundes sich leidenschaftlich zu öffnen und vor Freude zu überfließen sobald musiziert wurde. Es war später sogar seine Taktik bei gedrückter und niedergeschlagener Stimmung eine Gitarre oder Flöte zur Hand zu nehmen und die Gemüter wieder fröhlich zu stimmen (meistens funktionierte es, wenn auch mancher Banause dann mit dem Spruch kam: „Das Gedudel hilft uns jetzt auch nicht!“).

      Obwohl Dionysos auch gerne malte oder las war die Musik das, was ihn auf der Welt am meisten faszinierte.

      Stundenlang konnte er seinem Vater beim Klavierspielen zuhören und sich dabei entweder völlig gedankenlos von den Melodien und Rhythmen mittragen lassen oder aber seine Fantasie zu immer neuen Universen und Planeten emporschwingen.

      Die Musik schien auf eine Weise zu sprechen wie sie jeder verstehen konnte. Man musste nicht erst überlegen welche Worte man benutzte und ob der Gegenüber sie vielleicht missverstehen würde; es war alles klar und deutlich. Für Dionysos war die Musik das Leben in seiner reinsten, unschuldigsten Form, die direkt vom Ohr in die Seele gelangte.

      Als er 10 Jahre alt war erwischten ihn seine Eltern wie er mit geschlossenen Augen zu einer klassischen Symphonie ekstatisch durch das Wohnzimmer tanzte, seine Arme zu den Tönen bewegte und manche Stellen mitsang. Er hörte schlagartig auf als er seine Zuschauer bemerkte und blieb den ganzen Tag auf seinem Zimmer, so schämte er sich.

      Bereits früher fand er es sehr seltsam, dass gewisse Dinge die er gerne tat im Verborgenen geschehen mussten; dass man sie niemandem erzählen durfte wenn man nicht ausgelacht oder noch schlimmer, verstoßen werden wollte. Aber wieso schien das nur ihm so zu gehen? Immer häufiger kam ihm der Gedanke, dass er nicht so war wie seine Eltern, Apollon oder die anderen Freunde die er hatte. Er fühlte sich immer mehr wie ein Sonderling und errichtete eine Traumwelt um sich herum.

      Als es Dionysos später bewusst wurde, dass jeder einen Teil von sich vor anderen Menschen versteckte, verstand er die Welt noch weniger. Warum hatte jeder Angst davor seiner Umwelt zu zeigen wer er wirklich war? Warum durfte man sich nicht wild oder ekstatisch zur Musik bewegen wenn man zu Hause war und den Klängen der Geigen und Posaunen lauschte? Warum durfte man es wenn in irgendeiner Kellerdisko die hektischen, elektronischen Rhythmen aus den völlig überdrehten Boxen dröhnten?

      Auf jeden Fall beschlossen seine Eltern ihm zum nächsten Geburtstag eine Gitarre zu schenken. Denn obwohl Dionysos wie man gerade sehen konnte auch klassische Musik mochte, fühlte er sich am meisten von den Klängen der Gitarrenspieler angezogen, die auf ihren sechs Saiten alle Möglichkeiten der Gefühlsäußerung scheinbar mühelos übersetzen konnten. Außerdem war er dem Mythos der die ganzen bekannten Gitarristen umweht, vollends ergeben: Es sah so aus, als gebe es für diese Menschen nur Freiheit, Unabhängigkeit und ihr Instrument.

      Er bekam schließlich eine relativ billige Gitarre geschenkt, die er nichtsdestotrotz von der ersten Sekunde an über alles liebte und überall mit hin nahm: In die Schule, auf Geburtstage, andere Feste, zu seinen Freunden usw.. Nach ein paar Monaten konnte er schon einfache Lieder mehr oder weniger perfekt spielen und sogar dazu singen.

      Alle liebten seine Stimme. Ich muss jedes Mal lächeln wenn ich an die Begeisterung der Menschen denke, die mir davon erzählten wie sie dem jungen Dionysos zuhörten. Er schien eine natürliche Begabung für die Welt der Klänge zu haben; vielleicht weil diese Welt die einzige war, in der der Junge sich aufgehoben und bestätigt fühlte. Am meisten freute sich jedoch sein Vater Petros, der stets den Wunsch gehegt hatte, dass sein Sohn sich ebenfalls für die Musik begeistern würde. Das einzige was ihn wurmte war die Tatsache, dass das Gitarrespielen Dionysos nur noch mehr in seine eigene Welt abgleiten ließ. So gut wie jede Drachme seines Taschengeldes wurde in neue Musik eingetauscht. Als Apollon dann eines Tages und einige Jahre später von einem Baumhaus erzählte das er gerne bauen würde, war Petros sofort Feuer und Flamme. Er fuhr mit den beiden zum Holzhandel, bezahlte das Material und sägte sogar eigenhändig die Bretter zurecht. Auch seinem Sohn machte die Arbeit Spaß und für ein paar Tage vergaß der junge Dionysos die Gitarre beinahe.

      IV

      An einem schönen Aprilnachmittag, an dem die Pflanzen gerade anfingen richtig aufzublühen, der Himmel klar und der Singsang der Vögel wieder zu vernehmen war, liefen Dionysos und Apollon nebeneinander Richtung Wald, mit Hammer, Säge und Nägeln ausgerüstet. Petros wollte zuerst beim Bauen helfen, doch die beiden bestanden darauf es selbst zu tun.

      Die Schulferien hatten gerade begonnen und die Jungen waren voller Tatendrang und Lebensfreude.

      Apollon war inzwischen um einiges größer und auch breiter als Dionysos. Man konnte bereits an seinen Gesichtszügen und seinem Gang erahnen, dass er einmal ein prächtiger Mann werden würde. Er hatte hohe Wangenknochen, einen markanten Kiefer und hellbraune Augen. In der Schule begannen sich die Mädchen für ihn zu interessieren, flüsterten hinter vorgehaltener Hand wenn er an ihnen vorbei lief und fingen dann plötzlich an zu kichern. Anscheinend hatte er schon einmal ein Mädchen nackt gesehen und sie sogar überall berühren dürfen. Dionysos dagegen wurde für still und wunderlich befunden. Seine tiefschwarzen Haare, die blauen Augen und ein leicht blasser Teint ließen ihn zusammen mit seiner träumerischen Art wie aus einer anderen Welt erscheinen. Jeder der ihn das erste Mal erblickte, sah ihn länger und eindringlicher an als das normalerweise der Fall ist. Und während Apollon stets der Mittelpunkt allen Treibens in ihrer Schulklasse war, der jeden mit seinem Scharfsinn und Wissen faszinierte, gehörte Dionysos das Gespräch unter vier Augen. Mit ihm konnte man über die Dinge sprechen, die tief in der eigenen Seele rührten. Er hatte etwas sanftes und Vertrauen erweckendes das jede gesellschaftliche Barriere brechen ließ.

      Trotz oder gerade wegen dieser Gegensätzlichkeit waren die beiden seit Jahren beste Freunde.

      Auf dem Weg in den Wald machte Dionysos auf einmal an einer Weggabelung halt. Geradeaus waren es noch etwa 100 Meter bis zu den großen Bäumen, in denen ihr Haus entstehen sollte. Zu ihrer Rechten erstreckte sich ein riesiges Weizenfeld während links ein mehr oder weniger verwahrlostes Stück Land zu sehen war auf dem sich seit Jahren der Wildwuchs breit gemacht hatte. Vor Letzterem ging Dionysos in die Knie und starrte gebannt nach unten.

      Vor ihm im Gras saß ein wunderschöner rot-schwarzer Schmetterling. Er streckte die Hand vor dem Tier aus und es setzte sich darauf. Ganz langsam bewegte es seine Flügel auf und ab; wie ein lebendiges, mobiles Kunstwerk das nur da ist um bestaunt zu werden.

      „Sag mal Dionysos … sind wir nicht zu alt um ein Baumhaus zu bauen?“, fragte Apollon.

      „Ich glaube man ist nie zu alt um ein Baumhaus zu bauen“, sagte Dionysos während er fasziniert den Schmetterling betrachtete.

      Apollon drehte sich plötzlich um. „Vorsicht! Da kommt jemand! Ab ins Gebüsch!“ Dionysos, traurig darüber, dass er den Schmetterling nicht beim Wegfliegen beobachten konnte, packte Hammer und Nägel und spurtete in geduckter Haltung zu seinem Freund, der bereits zwischen den hohen Gräsern und Sträuchern wartete. Viele Menschen haben nichts dagegen wenn Kinder im Wald ein Baumhaus bauen während andere strikt auf die Einhaltung der geschriebenen Gesetze pochen. Eine nochmals andere Gruppe sind die, die auf jeden Funken Glück und Freude mit Grimm reagieren und alle Ansätze dessen im Keim ersticken wollen.

      Dionysos und Apollon flüchteten gerade noch rechtzeitig, denn solch ein Jemand kam einen Augenblick später in Gestalt eines 54-Jährigen Mannes um die Ecke.

      „Oh nein, nicht der!“, flüsterte Apollon.

      Der Name dieses Mannes, den alle Kinder von Delphi immer nur mit Abscheu oder Angst in der Stimme aussprachen, war Orthos. Unter seinem blass-grünen, viel zu kleinen Anglerhut konnte man zusammengezogene, gemeine Augen erkennen, die

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