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lange Kleider und hatte langes, blondes Haar. Wenn man unbedingt etwas abfälliges über Xenia behaupten wollte, könnte man sie höchstens als etwas sonderbar bezeichnen aber was ist schon sonderbar, oder vielmehr: was ist denn nicht sonderbar?

      Xenia hatte eine stille, verträumte Art. Manchmal saß sie einfach stundenlang in ihrem Garten und beobachtete die Spatzen, die Bäume oder ihre Sonnenblumen. Letztere liebte sie über alles. Sie hing sogar eine über das Ehebett! Ihre Arbeit bei der Filmproduktionsfirma hätte sie wegen ihrer Eigenheiten sicherlich längst verloren wenn sie nicht so gut gewesen wäre. Manchmal stand sie bei allgemeiner Aufregung oder der sooft vorkommenden Alltagshektik, wenn alle Menschen durcheinander reden und sich gegenseitig anstießen einfach auf einem Fleck, war nicht ansprechbar und betrachtete irgendein bestimmtes Objekt oder sie schloss gar ganz die Augen. Doch Xenia hatte immer das richtige Gespür wenn es darum ging einen Drehort zu gestalten. Niemand anderes den ihr Chef kannte schien bei dieser Tätigkeit eine so sichere Hand zu haben.

      Ihr Mann Petros dagegen war um einiges bodenständiger und simpler gestrickt.

      Seine Familie lebte seit vielen Generationen in Delphi und hatte den hohen Ruf stets ehrlich, zuvorkommend und anständig zu sein. Umso erstaunlicher war es, dass gerade ihr Sohn Petros, der dasselbe Ansehen genoss, eine so seltsame Verbindung eingegangen war. Er war damals junger Teamleiter einer Firma, die unter anderem auch Scheinwerfer herstellte. Eines Tages kam eine wunderschöne blonde Frau mit dunkelblauen Augen in sein Büro und sein Schicksal schien sich entschieden zu haben.

      Als die beiden sich dann schließlich ein Haus in Delphi kauften, drängten sich die neugierigen Augen vor die Fenster um einen Blick auf die hübsche, seltsame Blonde werfen zu können wenn sie morgens zum Bäcker schlenderte.

      Der erste der sie bei einem Spaziergang ansprach war jedoch der alte Diogenes, der vor seinem Haus mitten auf dem Rasen saß, rauchte und an einem Stück Holz schnitzte („Was für ein Zufall … das war ja klar, dass die zuerst mit dem redet!“, hörte man es noch Tage später von den Leuten). Er durfte gerade seit zwei Tagen wieder im Haus wohnen und trug seine übliche blaue Ballonmütze und eine stark mitgenommene Latzhose.

      „Na, junge Dame … schon in Delphi eingelebt?“, fragte er grinsend mit seinem bärtigen, zahnlosen Mund. Xenia blieb stehen und betrachtete ihn freundlich. Es dauerte eine Weile bis sie antwortete und Diogenes wollte sich schon wieder seinem Holzstück zuwenden als sie sagte: „Es ist sehr schön hier. Wir haben ein kleines Haus gleich dort oben auf dem Dodona-Hügel. Direkt neben dem großen Maisfeld …“

      „Das Haus kenn’ ich … is bildhübsch … und wie findeste die Leut’?“ Das Grinsen des Alten wurde immer breiter. Sie war wirklich eine Pracht.

      „Naja, bis jetzt habe ich noch nicht viele kennen gelernt. Was schnitzen Sie denn da?“

      „Sach ruhich ‚du‘. Ich bin Diogenes“, sagte er und schlug sich dabei feierlich auf die Brust. „Weiß noch nich’ genau, was das werden soll … mal sehn’. Aber wenn du jemand Nettes kennenlernen willst, dann versuchs ma mit Oknos. Der wohnt gleich eine Straße hinter der Bäckerei und macht den besten Wein hier im Umkreis.“

      „Der wird dann nur für meinen Mann sein. Man sieht es noch nicht, aber bald sind wir zu dritt“, sagte sie lächelnd und streichelte ihren Bauch.

      „Mit wem redest du schon wieder? Hör endlich auf die armen Leute zu belästigen!“, dröhnte eine Stimme aus dem Inneren des Hauses.

      „Am besten du ziehst weiter bevor gleich das Gewitter losgeht“, sagte der Alte und schielte mit einem bedeutenden Blick hinter sich. „Und lass dich ma’ wieder blicken Mädchen. Wie heißte eigentlich?“

      „Xenia!“

      „DIOGENES!!!“ Die Stimme war noch lauter als beim letzten Mal.

      „Oh, du alte … tschuldigung … na, dann machs ma gut Xenia!“

      „Du auch, Diogenes!“

      Der Alte sah ihr noch lange nach und hörte kaum auf das Gemecker, das aus dem Inneren seines Hauses kam. Danach machte er sich wieder an die Arbeit. Er wusste nun, was er schnitzen würde …

      II

      Circa sechs Monate später verbreitete sich die Nachricht, dass Xenia einen Jungen bekommen hatte. Er hieß Dionysos und schien ihr wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein. Nur die rabenschwarzen Haare hatte er von seinem Vater.

      Wenn man diese Zeilen gelesen hat und gleichzeitig an die Geschichten denkt, die über Dionysos kursieren, fällt es einem schwer zu glauben, dass er aus solch einem friedlichen und ruhigen Dorf kam. Aber was sind das auch für Geschichten!? Eine ganze Zeit lang schien er an allem schuld zu sein: Eine Tankstelle wurde ausgeraubt – das kann nur Dionysos gewesen sein; ein Telefonmast zerstört – bestimmt der randalierende Dionysos; Hühner gestohlen – Dionysos; Wahlen manipuliert – vielleicht … Dionysos?

      Die Liste kann unendlich fortgesetzt werden.

      Seine ersten Lebensjahre ließen auch gar nicht darauf schließen was einmal aus ihm werden sollte.

      Er war ein kleines Kind wie alle anderen, weder zurückgeblieben noch außerordentlich talentiert. Die einzige Besonderheit die damals auffiel war seine extreme Ruhe, die Dionysos wahrscheinlich von seiner Mutter hatte. Dennoch machte sich Xenia des öfteren Sorgen, wenn sie in der Nacht manchmal stundenlang nichts von ihm hörte. Sie eilte oft wie von einem stummen Ruf geweckt an seine Wiege, nur um sich zu vergewissern, dass er noch atmete. Abgesehen davon war Dionysos ein unkompliziertes, liebenswürdiges Kind, das den ganzen Tag mit seiner Mutter im Freien zubrachte und dabei mit seinen Spielzeugautos die Wiesen, Straßen und Gehwege rauf und runter rannte.

      Er hatte auch schon einen Freund gefunden. Den ein paar Straßen weiter wohnenden und nur einige wenige Monate älteren Apollon. Jeden Morgen gingen die beiden mit Xenia und Leto, Apollons Mutter, zusammen auf den Spielplatz oder in den kleinen, aber dennoch sehr hübsch hergerichteten Park. Abends trafen sich die Familien zum Grillen und die Kinder spielten in ihrem Sandkasten.

      Diese Idylle in Dionysos Leben hielt an bis er in die Schule kam. Während der ersten Wochen war er noch durchaus begeistert was ihn dort erwarten würde. Er freute sich darauf zu lernen, wenn er auch bereits durch seine Mutter sehr gut lesen und schreiben konnte. Doch kurze Zeit nach der Einschulung begann er sich zu langweilen und fing an den Unterricht zu stören. Sein Sitznachbar Apollon dagegen war bei allen Lehrern beliebt und wurde mit Lob überhäuft, vor allem weil er ein so ausgezeichnetes Talent für die Mathematik zu haben schien. Dionysos verstand nicht, wenn er es auch nicht in Worte verpacken konnte, was er in dieser Schule eigentlich tun sollte. War er nur dort um den Lehrern zu gefallen? Xenia arbeitete von nun an wieder sporadisch beim Film was den kleinen Jungen noch mehr verbitterte.

      „Warum gehst du immer weg, Mama?“, fragte er sie einmal. Xenia nahm ihn daraufhin in den Arm und sagte: „Auch ich muss arbeiten gehen, mein Lieber. Meine Arbeit macht mir Spaß und du bist jetzt schon ein so großer Junge, dass du es ja bestimmt auch mal ein paar Stunden ohne mich aushältst, oder?“ Sie gab ihm einen Kuss. „Außerdem bin ich ja nur ganz selten weg … und Papa und Oma und Opa sind ja auch noch da.“ –

      „Aber wieso muss ich in die Schule gehen? Ich mag es dort nicht … die Lehrer mögen mich nicht …“ Er fing an zu weinen und seine Mutter drückte ihn sanft an ihre Brust.

      „Jedes Kind muss in die Schule gehen. Es ist wichtig, dass du viel lernst … denn wenn du viel lernst wirst du es später, wenn du ganz groß bist, einmal sehr schön haben. Und zu den Lehrern musst du nett sein … dann sind sie auch nett zu dir. Sollen wir nach unten gehen und Papa zuhören wie er spielt?“ Das Gesicht des Jungen hellte sich auf. „JA!!“ – „Na, also komm mein Schatz.“

      Xenia war von einem entzweienden Schmerz ergriffen. Einerseits wollte sie weiter voll für ihren Jungen da sein und ihm all die Liebe und Sicherheit schenken die er brauchte und andererseits wieder gerne als Set-Dekorateurin arbeiten. Sie und Petros waren damals nicht, wie so viele andere Familien,

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