Скачать книгу

Da fiel Mickel noch etwas ein, das er bis jetzt vergessen hatte. »Ah ja, und außerdem hat Albrecht einen Ritter zu Euch nach Cöpenick geschickt, den Ulric von Huysburg. Der sollte sich als Sohn des Obotritenfürsten Niklot ausgeben und bei Euch einschleichen, um von Euren Plänen zu erfahren.« Er sah sich um. »Wo steckt er denn?«

      Jaxa lachte. »Bei uns in Cöpenick im Verlies.«

      »Das ist gut so.«

      Nachdem er von Mickel alles erfahren hatte, was ihm wichtig schien, setzte sich der Sprewanenfürst mit Radogost zusammen, um ihm mitzuteilen, dass er nun doch einen Plan entwickelt habe. »Du kleidest dich um und reitest als Askanier durch die Tore der Brandenburg, als der Ritter Ulric von Huysburg.« Er gab weiter, was er von Mickel erfahren hatte. »Du erzählst vom Leben in Cöpenick, wiegst diesen Lynhardt von Schleibnitz, der ein Schwachkopf sein soll, in Sicherheit und machst ihm klar, dass die Sprewanen nicht daran denken, die Brandenburg anzugreifen. Ich sei mit den Meinen gerade nach Norden zu den Obotriten aufgebrochen, um Niklot gegen Heinrich den Löwen beizustehen.« Dann zog er einen Beutel mit Goldstücken aus seinem Wams. »Und hiermit versuchst du, so viele Askanier wie möglich zu kaufen.«

      Radogost grinste. »Gut. Und wer mir widersteht, der bekommt denselben Trunk aufgetischt wie dieser komische Ulric von Huysburg.«

      Jaxa nickte. »Wenn das erledigt ist, dann lässt du vom Wall oben eine Fanfare ertönen. Das ist für mich das Zeichen loszuschlagen. Eine kleine Schar lasse ich das Tor stürmen. Aber das nur zum Schein, um die zu binden, die vielleicht nichts von deinem Schlaftrunk genossen haben, aus welchem Grund auch immer. Während des Gefechts am Burgtor komme ich mit meiner Schar durch den geheimen Gang, dessen Eingang uns dieser Mickel zeigen wird, und besetze die Burg. Kein Tropfen Blut wird fließen, denn die Christen haben uns ja gelehrt: Du sollst nicht töten.«

      Ulric von Huysburg versuchte, den Ratten, die um ihn herumwuselten, klarzumachen, dass er noch am Leben war. Dazu schnellte er mit seinem Körper, sofern es die Hände, die hinter seinem Rücken zusammengebunden waren, und die ebenfalls gefesselten Füße zuließen, mal nach links, mal nach rechts. »Wartet doch, ihr verdammten Viecher, bis ich tot bin und in Verwesung übergehe, dann schmecke ich euch viel besser!«

      Dass er in seinem Cöpenicker Gefängnis ein jämmerliches Bild abgab, wie er da nicht gegen edle Ritter kämpfte, sondern gegen abgemagerte Ratten, war ihm schon bewusst. Aber sosehr Ulric auch an seinen Fesseln zog und zerrte, sie hielten ihm stand.

      So ergab er sich auch an diesem Tage wieder in sein Schicksal und schloss die Augen, um seine Gabe zu nutzen, große Ereignisse der Weltgeschichte in Gedanken so zu erleben, als wäre er selbst dabei gewesen.

      Da wurde der Deckel über seinem Kellerloch angehoben, und ein Knecht kam die Leiter heruntergestiegen, um ihn mit einem ekligen Hirsebrei zu füttern und ihm schales Wasser einzuflößen.

      »Was soll mit mir geschehen?«, brachte Ulric hervor, als alles seine Speiseröhre passiert hatte.

      »Ihr werdet aufgehoben.«

      Ulric kniff die Augen zusammen. »Um eurem Triglaw geopfert zu werden?«

      »Nein, wir sind Christen wie ihr.«

      »Was dann?«

      »Ganz einfach: Wenn Albrecht beim Kampf um die Brandenburg einen von unseren Leuten gefangen nehmen sollte, dann sollt Ihr gegen den ausgetauscht werden.«

      Damit war ihr Dialog beendet, und der Sprewane kletterte wieder nach oben. Dass Jaxa auf dem Weg zur Brandenburg war, hatte sich Ulric denken können. Albrecht aber war auf diesen Angriff in keinster Weise vorbereitet. Er würde ganz sicher seine, Ulrics, Rückkehr aus Cöpenick abwarten, ehe er eine ausreichend große Heerschar um sich sammelte, um die Brandenburg gegen Jaxa zu verteidigen. Die vorhandene Besatzung reichte bestenfalls aus, einem etwaigen Angriff einiger aufständischer Heveller standzuhalten.

      Diese Überlegungen brachten Ulric dahin, seine Bemühungen zu verdoppeln. Nach einer Viertelstunde hatte er es geschafft, sich aufzurichten und auf dem Gesäß Millimeter um Millimeter nach hinten zu rutschen, bis er an der Wand seines Verlieses angekommen war. Bald hatte er einen etwas hervorstehenden scharfkantigen Stein ertastet, und an dem rieb er nun die Stricke, die seine Hände zusammenhielten. Es war mehr als mühsam, aber es gelang ihm dennoch, Faser für Faser zu durchtrennen. Endlich hatte er die Hände frei! In Fetzen hing ihm die Haut an den Knöcheln herab, und es dauerte eine Weile, bis er alles Blut abgeleckt hatte. Die Füße freizubekommen war dagegen ein Kinderspiel, denn in seiner Hose hatte er ein kleines Messer eingenäht. Bald waren auch die Fußfesseln zerschnitten. Er wollte sich erheben, aber die Beine knickten ihm weg, und er musste sich an der Leiter festhalten. Es dauerte eine Weile, bis das Blut wieder durch die Adern strömte.

      Was nun? Sollte er warten, bis der Knecht wieder zu ihm herabstieg, um ihn zu füttern, und ihn dann überwältigen? Oder sollte er nach oben steigen und zusehen, ob es eine Gelegenheit gab, sein Pferd aus dem Stall zu holen und davonzusprengen? Er schwankte lange, entschied sich dann aber für die zweite Möglichkeit.

      Sprosse für Sprosse stieg er die Leiter nach oben, bis sein Kopf gegen die hölzerne Klappe stieß, die sein Verlies abdeckte. Er drückte sie ein wenig nach oben. Alles war dunkel, es schien später Abend oder Nacht zu sein. Nirgendwo brannte ein Kienspan. Ulric hob den Deckel vollends an und legte ihn nach hinten ab. Nun war es ein Leichtes, aus dem Verlies zu steigen. Er sah nicht das Allergeringste, aber sein Geruchssinn sagte ihm, dass er sich in einem Kornspeicher befand. Er wartete einen Augenblick und hoffte auf eine Eingebung. Die kam nicht, dafür aber ging knarrend eine Tür auf, und in der erschien der Knecht, der ihn bisher »betreut« hatte, einen Krug in der einen und eine Art Fackel in der anderen Hand. Ulric von Huysburg bückte sich und schlüpfte hinter ein paar aufgestapelte Säcke. Der Knecht kam vorbei, und mit einem wohlgezielten Faustschlag gegen die Schläfe hatte Ulric dieses Problem gelöst. Ehe der Mann wieder zu sich kam, war er schon längst über alle Berge. Der Krug fiel zwar auf den Boden und zerschellte, aber es war offenbar niemand da, der es gehört hätte. Ulric stülpte sich die Kappe des Slawen über den Kopf und warf sich seinen Umhang über die Schultern, dann nahm er den noch brennenden Kienspan vom Boden auf und schlich sich Richtung Tür.

      Als Ulric von Huysburg im Freien angekommen war, bemerkte er, dass es doch noch nicht so spät war, wie er angenommen hatte. Noch nicht alle waren schlafen gegangen. Eine Magd kam ihm entgegen.

      »Na, Vuk, hast du deinen Ritter gut versorgt?«

      »Tak, przestać robić swój obowiązek«, brummte er, das Gesicht zur Seite gewendet.

      Es funktionierte, und er machte sich auf die Suche nach dem Stall, in den man sein Pferd gebracht hatte. Eine Minute später hätte er auf dessen Rücken gesessen, wenn er nicht gegen eine junge Frau geprallt wäre.

      »Miluša!«

      Er umfing sie, und sie ließ es geschehen. Bald hatte er ihren Mund gefunden und mit seiner Zunge ihre Lippen geöffnet. Er war so entflammt, dass er vergaß, wo er war.

      »Ich will dich ganz und für immer!«, flüsterte er und biss ihr ins Ohrläppchen. »Du bist die große Liebe meines Lebens!«

      Schreie rissen ihn in die Wirklichkeit zurück. Irgendjemand musste diesen Vuk gefunden haben.

      »Flieh, Liebster, flieh!«, hauchte Miluša.

      Ulric von Huysburg riss sich los von ihr und rannte in die Richtung, in der er sein Pferd vermutete. Sein Instinkt ließ ihn nicht im Stich. Hinzu kam, dass in diesem Augenblick der Mond durch die Wolken brach. Die Stalltür stand offen, sein Hengst begrüßte ihn mit freudigem Wiehern. Schnell hatte er ihn losgebunden und sich auf seinen Rücken geschwungen.

      Im Jahre 1157 dauerte es in den östlichen Grenzregionen des Heiligen Römischen Reiches sehr lange, bis die Menschen im Orte A das erfuhren, was sich in B und C ereignet hatte, und so hatte Albrecht der Bär, als er auf dem Weg nach Althaldensleben war, nicht die geringste Ahnung davon, was sich in Cöpenick und auf der Brandenburg ereignet hatte. Im Prinzip wusste er, dass seine Zukunft im Osten lag, jenseits der Linie, die von der Havel und der Nuthe gebildet wurde, und

Скачать книгу